„The Times They Are A'Changin”
- Bob Dylan
„Quis custodiet ipsos custodes?“ (
„Who watches the Watchmen?“)
- Juvenal aus seiner Satire VI (Vers 347)
1986 erschien mit „Watchmen“ eine der besten – wenn nicht sogar
die beste – Graphic Novels bis dato.
Zunächst in den USA über „DC Comics“ als zwölfteilige Comic-Reihe veröffentlicht, gehört das von Dave Gibbons gezeichnete und von Alan Moore („From Hell“, „V wie Vendetta“) geschriebene, extrem komplexe Werk zu den von Presse und Fans am meisten gefeierten Geschichten, die sich mit dem Thema „Superhelden“ auseinandergesetzt haben.
2005 ist „Watchmen“ vom New Yorker „Time Magazine“ sogar als einziger Comic in die Liste der 100 besten Romane seit 1923 aufgenommen worden – das ist schon eine Leistung!
Natürlich lockt der Erfolg einer potentiellen Vorlage recht schnell sämtliche Produzenten von Hollywoods Großstudios aus den Löchern hervor, um, mit dicken Scheckheften bewaffnet, die Film-Rechte zu dem betreffenden Stoff zu ergattern.
Seit Ende der ´80er ist die Story schließlich von Studio zu Studio und von Regisseur zu Regisseur gereicht worden, allerdings ohne Resultat.
Erst ist „
Brazil“-Regisseur Terry Gilliam für die Umsetzung des Drehbuchs von Sam Hamm („Batman“) im Gespräch gewesen. Allerdings lehnte dieser „Watchmen“ schließlich aufgrund des unbefriedigenden Skripts ab und fügte an, dass er die Geschichte nur in einer fünfstündigen Miniserie aufarbeiten würde.
Auch Verhandlungen mit Paul Greengrass („Flug 93“, „
Das Bourne Ultimatum“) haben letztendlich zu keinem fruchtbaren Ergebnis geführt.
Als die Rechte schließlich auf den Tischen der „Warner Bros.“-Studios gelandet sind, haben diese vorerst mit dem visionären Darren Aronofsky („
Requiem for a Dream“, „
The Wrestler“) auf dem Regiestuhl geliebäugelt – bis es zu Komplikationen bei dem gemeinsamen Projekt „
The Fountain“ (2006) kam, und auf eine zweite Zusammenarbeit erstmal verzichtet wurde.
Nach zwei Dekaden soll dann aber das fast Undenkbare doch geschehen:
„Watchmen“ erblickt unter der Regie von Zack Snyder („
Dawn of the Dead“, „
300“) endlich das Licht der weltweiten Leinwände.
Was nun durch die Kollaboration der Studios „Warner Bros.“ und „Paramount“ auf die Beine gestemmt worden ist, wäre aber diesmal fast aus einem anderen Grund gescheitert. So scheint der Kauf der Filmrechte im Laufe der Jahre ein wenig undurchsichtig geworden zu sein, so dass „Warner Bros.“ von „Twentieth Century Fox“, die sich tatsächlich als Teil-Besitzer des „Watchmen“-Universums herausgestellt haben, kurz vor dem Start erfolgreich verklagt wurden. Leider konnte die Klage zuerst nicht mit einer finanziellen Einigung abgehandelt werden, weshalb es kurze Zeit so aussah, als ob es der fertige Film es nun doch nicht in die Kinos schaffen wird – zum Glück haben sich die beiden Parteien dann nochmal an einen Tisch gesetzt und die unangenehme Situation bereinigt, so dass man sich hierzulande ab dem 05.03.2009 selbst ein Bild der fleischgewordenen „Wächter“ machen darf…
„The world will look up and shout "Save us!"... And I'll whisper "No."”
- Rorschach
Die Vorlage von Moore und Gibbons ist in den USA der ´80er Jahre angesiedelt – in einer Zeit, in welcher der
Kalte Krieg und die Angst vor einem atomaren Anschlag von Seiten der Sowjetunion noch andauert.
Anders als in der Realität existieren Superhelden nicht nur in Comicbüchern, sondern haben zwei Generationen lang auch auf der Strasse für Recht und Ordnung gesorgt…bis in den ´70ern der „Keene-Erlass“ die maskierten Helden aufgrund ihres zunehmend gnadenloseren Auftretens entweder in den Ruhestand versetzte oder als Arbeiter für die Regierung abkommandierte.
Während der mit echten Superkräften ausgestattete „Dr. Manhattan“ und der brutale „Comedian“ letzteres Angebot annahmen und sich in der Forschung oder für den Geheimdienst verdient machten, zogen sich andere Kostümträger wie „Nite Owl II“ oder „Silk Spectre II“ in ein normales Leben ohne Abenteuer zurück.
Lediglich der psychotische „Rorschach“ jagt noch im Untergrund als Einzelgänger Verbrecher.
Nach dem mysteriösen Mord an dem „Comedian“ riecht „Rorschach“ ein Komplott in der modrigen Luft und versucht auf eigene Faust, die Hintergründe der Tat ans Licht zu bringen…
Bereits für frühere „Watchmen“-Filmpläne kursierten die Namen diverser großer Schauspieler herum, die in die Rollen der Charaktere schlüpfen sollten: Kevin Costner, Robin Williams, Jamie Lee Curtis, Joaquin Phoenix und Hilary Swank - um nur einige zu nennen.
Für Zack Snyders Werk hat sich das Besetzungskarussell erneut gedreht, und so sind nun Oscar-Nominee Jackie Earle Haley („
Little Children“) als „Rorschach“, Patrick Wilson („
Hard Candy“) als „Nite Owl II“, Billy Crudup („
Big Fish - Der Zauber, der ein Leben zur Legende macht“, „
Almost Famous“) als „Dr. Manhattan“, Malin Akerman („
Nach 7 Tagen ausgeflittert“) als „Silk Spectre II“, Matthew Goode („Match Point“) als „Ozymandias“ und „
Supernatural“-Star Jeffrey Dean Morgan als der „Comedian“ auf der Leinwand zu sehen.
Die große Preisfrage lautet jetzt natürlich: Haben es Regisseur und Darsteller zusammen geschafft, die aus der Vorlage bekannte Welt auch auf die Leinwand zu transportieren, oder leidet der Film womöglich doch unter den für eine Kinoauswertung nötigen Änderungen und Kürzungen?
Holen wir für die Antwort doch etwas weiter aus und ziehen die Schöpfer der Graphic Novel hinzu. Da wäre ja auf der einen Seite der Zeichner Dave Gibbons, der sich bereits nach einem Setbesuch von der Detailtreue der Kulissen und Kostüme beeindruckt zeigte, und letztlich sogar ein Teaser-Plakat angefertigt hat. Auf der anderen Seite steht nun Alan Moore, der Adaptionen seiner Werke a priori ablehnt, und bereits im Vorfeld angekündigt hat, sich die Umsetzung seines Babys keinesfalls anzusehen – was man ihm nach dem sehr mittelmäßigen „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ (2003) unter der Regie von Stephen Norrington zwar nicht unbedingt übel nehmen kann, man allerdings dennoch anmerken muss, dass die „
From Hell“-Verfilmung (2001) der Hughes-Brothers trotz vieler Freiheiten ein ungemein starker Streifen geworden ist, der beweist, dass eine gute Moore-Comic-Adaption möglich ist…wenn man gewisse Regeln des Film-Mediums akzeptiert.
Die Wahrheit liegt also wie so oft
irgendwo dazwischen – und damit sind hier die unterschiedlichen Standpunkte der Herren Gibbons und Moore gemeint. Es hängt also auch davon ab, ob man a) die Vorlage überhaupt kennt und b) in diesem Fall eine Reduzierung auf das Wesentliche toleriert.
Denn natürlich ist es auch bei einem Film mit einer stolzen Laufzeit von 163 Minuten nicht möglich, eine über 400 Seiten starke Story gänzlich abzuhandeln, ohne den Zuschauer mit Informationen völlig zu überfordern oder das Ganze eben etwas einzuschränken. Eine Alternative wäre vielleicht ein zweigeteilter Film à la „
Kill Bill Vol. I & II“ gewesen, was aber ein eindeutiges Problem mit sich gebracht hätte: Schließlich wartet gerade die erste Hälfte der Graphic Novel mit extrem wenig Action auf, was bestimmt viele normale Kinogänger gelangweilt oder abgeschreckt hätte, so dass sich dann der zweite Teil in der Folge womöglich als großer Flop entpuppt, was mit Sicherheit weder im Interesse der Studios noch in dem des Regisseurs liegen dürfte.
Nun ist aber das Zusammenstauchen der Nebenstränge lediglich für engstirnige Liebhaber der Vorlage störend – wer sich „Watchmen“ ohne Vorbehalte nähert, muss sogar zugeben, dass es sich dabei um eine der intelligentesten und besten Comic-Verfilmungen bisher handelt, die sich trotz kleinerer Schwächen auch mit dem erstklassigen „Batman“-Opus „
The Dark Knight“ (2008) messen darf.
Um dann auch kurz bei den genannten Schwächen zu bleiben:
Im direkten Vergleich steht das Spiel des Gesamt-Ensembles von „Watchmen“ schon ein wenig hinter dem von Christopher Nolans Megahit zurück, was aber auch nicht sonderlich negativ auffällt, da man gerade die wohl markantesten Rollen mit fantastischen Schauspielern besetzt hat – an erster Stelle Jackie Earle Haley und Patrick Wilson, die bereits zusammen bei Todd Fields „
Little Children“ (2006) zusammen vor der Kamera gestanden haben.
Schon etwas störender fallen im Film Zack Snyders typische Spielereien während der wenigen Kampfszenen auf – bereits bei dem sehr unterhaltsamen „
300“ (2006) haben die ständigen Zeitlupen-Einlagen einen kontraproduktiven Effekt erzielt, und die ansonsten schweißtreibenden Schlachten in ihrer rohen Gewalt etwas abgebremst.
Da es sich hier aber um alles andere als ein Action-Spektakel handelt – obwohl man für die Kinoauswertung die Kämpfe schon ein wenig ausgebaut hat -, sei auch über dieses Manko hinweg gesehen.
Optisch kann „Watchmen“ erwartungsgemäß in jeder Hinsicht (ob auf der Erde oder auf dem Mars) überzeugen, wobei man aber zum Glück das Hauptgewicht auf das Erzählen der Geschichte gelegt hat, und die Bilder und Spezialeffekte nicht zum Selbstzweck verkommen lässt – tatsächlich hat sich das Film-Team die größte Mühe gegeben, die Comic-Stadt akribisch für die Kamera herzurichten, was nicht nur Dave Gibbons gefallen hat, sondern auch sämtliche Fans begeistern sollte.
Als musikalische Untermalung hat man sich diverse Songs aus jener Zeit herausgepickt (sogar
Nena ist mit „99 Luftballons“ vertreten, was deutsche Zuschauer während der Szene etwas verwirren könnte), ansonsten kümmert sich Snyders Haus-Komponist Tyler Bates („
The Devil`s Rejects“) um den manchmal knallenden und manchmal angenehm ruhigen Score...ähnlich prägnant wie bei „
300“ ist die Musik aber diesmal nicht ausgefallen.
Den Zuschauern, die mit der Geschichte vertraut sind und über das Fehlen oder Ändern mancher Stellen der Vorlage (das Ende ist z.B. ein wenig anders dargestellt worden, aber hinterlässt beim Publikum einen fast identischen Effekt wie bei der Leserschaft) hinwegsehen können, kann man „Watchmen“ also wärmstens empfehlen. Alle Anderen - vor allem Leute, die sich von der Beteiligung des „
300“-Regisseurs angesprochen fühlen – seien ausdrücklich davor gewarnt, ein hastiges Spektakel zu erwarten.
Es handelt sich hier nicht um eine typische Comic-Verfilmung, sondern vielmehr um eine Demontierung des bekannten Superhelden-Mythos. Eine echte Identifikationsfigur fehlt dem Zuschauer zum Beispiel völlig - wenn überhaupt, würden sich da wohl am ehesten der brutale „Rorschach“ oder der Loser „Nite Owl“ eignen…einen „Batman“ oder „Superman“ sucht man im Werk zumindest vergebens.
Selbst der so gern benutzte Umhang ist einem Helden der ersten Generation zum Verhängnis geworden, da sich dieser in einer Drehtür verfing, während Verbrecher auf ihn schossen.
Vieles bei „Watchmen“ ist tiefgründig, bitter, hart und nicht oberflächlich cool.
Fazit: Zack Snyder hat nach seinen visuell brillanten aber inhaltlich platten Vorgängern einen großen Schritt in Richtung Erzähler gemacht und es geschafft, das von Gibbons und Moore erdachte Universum recht werkgetreu auf die Leinwand zu bringen – eine Leistung, die vor ihm viele hochkarätige Kollegen angestrebt, aber nie vollbracht haben.
Für die DVD-Auswertung ist übrigens eine längere Fassung geplant, die auch die aus der Graphic Novel bekannte Piraten-Nebengeschichte beinhalten soll. Vielleicht wird diese Version dann auch die letzten Nörgler überzeugen…wenn nicht, bleibt ihnen immer noch die Original-Vorlage, die eigentlich auch Pflichtprogramm für alle Fans des Films sein sollte.