Wohl die wenigsten Kinogänger dürften bisher mit dem Namen Todd Field vertraut sein. Angefangen hat er seine Karriere als Schauspieler in diversen TV-Serien. Auch in dem Stanley Kubrick-Vermächtnis
„Eyes Wide Shut“ (1999) ist Field als Tom Cruises Ex-Studienkommilitone und Klavierspieler Nick Nightingale zu sehen.
Erste wirkliche Aufmerksamkeit hat er erst 2001 mit dem hervorragenden und mehrfach Oscar-nominierten Drama „In The Bedroom“ erregt.
Danach sollte es fünf Jahre dauern bis sich der frischgebackene Regisseur an seinem zweiten Kinofilm zu schaffen macht. Doch das Warten hat sich gelohnt, übertrifft doch „Little Children“ den schon mehr als gelungenen „In The Bedroom“ um Längen! Im Gegensatz zu dem todernsten Vorgänger schleicht sich nämlich immer wieder ein beißend-sarkastischer Humor in das tiefgründige Werk ein.
Alles beginnt auf dem Kinderspielplatz eines verschlafenen amerikanischen Vorortes.
Die junge Mutter Sarah Pierce (Kate Winslet, „Titanic“,
„Wenn Träume fliegen lernen“) vertreibt sich ihre Zeit allein auf einer Bank während ihre Tochter Lucy mit den anderen Kindern herumtollt und deren Mütter sich Klein
stadt-üblich gehässig über Gott und die Welt auslassen. Sarah verabscheut ihre obligatorischen „Freundinnen“ und enthält sich nach Möglichkeit jeder Konversation.
Das zwar zermürbende aber dennoch vorhandene Gleichgewicht auf dem Spielplatz zerbricht völlig, als der von den Frauen „Ballkönig“ getaufte Brad Adamson (Patrick Wilson,
„Hard Candy“) nach längerer Abstinenz mit seinem kleinen Sohn Aaron den Hof betritt. Schon beginnen die Hormone der hysterischen Mütter beim Anblick des jungen und attraktiven Vaters außer Kontrolle zu geraten. Sarah wird von den Anderen zu einer kleinen Wette eingeladen: Sie soll versuchen, die Telefonnummer des ahnungslosen Sexobjekts in Erfahrung zu bringen. Da sie selbst dem sympathischen Schönling nicht abgeneigt ist, schlägt sie ein…und bekommt letztendlich nicht nur die Nummer sondern auch einen Märchen-tauglichen Kuss vor den Augen der eifersüchtigen Hyänen.
Obwohl Sarah ein oberflächlich komfortables Leben führt, fühlt sie sich innerlich nicht erfüllt. So hat sie jüngst erst ihren Ehemann Richard dabei ertappt wie er mit einem vor dem Mund festgebundenen Tanga während einiger Fetisch-Clips im Internet ejakuliert hat. Auch ihr Spielplatz-Romeo Brad kann sich nicht vollkommen glücklich schätzen: Seine wunderschöne und erfolgreiche Frau Kathy (Jennifer Connelly, „A Beautiful Mind“,
„Requiem For A Dream“,
„Blood Diamond“) ist diejenige, die in der Beziehung „die Hosen anhat“. Während Kathy den Lebensunterhalt für ihre kleine Familie verdient, lernt Brad für sein ständig nach hinten verschobenes Jura-Examen und kümmert sich rührend um seinen Sohn, der allerdings immer in dessen Anwesenheit eine Narrenkappe trägt…ist das Zufall, oder will er damit seinem Vater dessen Sinnlosigkeit symbolisieren??
Nach der kurzen Bekanntschaft auf dem Spielplatz treffen sich Brad und Sarah häufig im örtlichen Freibad, natürlich ohne das Wissen der jeweiligen Ehepartner. Dabei scheint die Situation zunächst für beide klar zu sein: Das Leben in ihren Familien bleibt für sie die Realität während die wenigen Stunden im Schwimmbad eine Art von unerfüllbarem Wunschtraum darstellen. Bis die beiden sich an einem verregneten Nachmittag nicht mehr widerstehen können und in Sarahs Haus den „verbotenen“ nächsten Schritt wagen…
Die idyllische Fassade der Kleinstadt beginnt aber nun nicht nur innerlich zu bröckeln, denn inzwischen ist der verurteilte Pädophile Ronnie McGorvey (Jackie Earle Haley) aus der Haft entlassen worden und der Ex-Polizist Larry Hedges (Noah Emmerich, „Cop Land“) hat bereits eine Initiative gegen dessen Wiederkehr ins Leben gerufen, welcher sich auch Brad angeschlossen hat. Die Frage ist nur, ob dies nicht ein paar zu viele Ereignisse für solch eine kleine Gemeinde sind, in der jeder jeden kennt?!
Und so beginnen die Dinge nach und nach außer Kontrolle zu geraten…
Mit „Little Children“ hat Todd Field ein kleines Meisterwerk geschaffen, das aber leider trotz seiner 3 Nominierungen (Kate Winslet für die „Beste weibliche Hauptrolle“, Jackie Earle Haley für die „Beste männliche Nebenrolle“ und für das „Beste adaptierte Drehbuch“) bei der letzten Oscar-Nacht leer ausgegangen ist. Das spricht allerdings überhaupt nicht gegen die Qualität des Films sondern viel eher gegen den Geschmack der Academy…
Teilweise erinnert das Werk an Sam Mendes
„American Beauty“ (1999), in dem ebenfalls hinter die Fassaden einer eigentlich so perfekten Kleinstadt und deren Familien geblickt worden ist. Während Mendes Film allerdings fast durchgehend Ironie und Sarkasmus ausstrahlt, verlässt sich Field doch eher auf die Dramatik der Geschichte. Es gibt einige Momente, in denen der Zuschauer schmunzeln oder sogar lachen muss, aber etwa zur zweiten Filmhälfte ziehen mehr und mehr dunkle Wolken auf und die Atmosphäre verfinstert sich bis man sich nicht mehr sicher sein kann ob überhaupt noch ein versöhnliches Ende in Sicht sein kann.
Ein weiterer Verknüpfungspunkt mit
„American Beauty“ ist die Musik von Thomas Newman, die erneut perfekt zur Atmosphäre des Films passt.
Todd Field hat sich nach „In The Bedroom“ als Regisseur enorm weiterentwickelt und überzeugt mit einer extrem gut ausbalancierten Inszenierung. Der Spagat zwischen Kleinstadt-Satire und Familien-Drama funktioniert vortrefflich und auch das Tempo der Geschichte ist richtig gewählt: Der Film nimmt sich einerseits Zeit, seine Charaktere ausführlich vorzustellen und sie liebevoll mit Leben zu füllen und ist andererseits so straff erzählt dass der Zuschauer keinen Blick auf seine Uhr wagen wird.
Ganz besonders sind bei „Little Children“ auch die großartigen Darsteller hervorzuheben, die allesamt über sich hinauswachsen und teilweise die Darstellung ihres Lebens abliefern. So fiel Brad-Darsteller Patrick Wilson bereits in dem bösen Kammerspiel
„Hard Candy“ (2005) positiv auf, aber dass er mal eine solch fantastische Leistung abliefern würde, war nach dem Vorgänger nicht in diesem Maße abzusehen. Er ist auf jeden Fall neben Jackie Earle Haley, der den pädophilen Ronnie spielt, die größte Überraschung auf der schauspielerischen Ebene. Eigentlich braucht man nämlich über die anderen Hauptdarsteller, Kate Winslet und Jennifer Connelly, nicht besonders viele Worte verlieren, denn die beiden Hochkaräter können scheinbar gar keine schlechte Leistung vollbringen. Allerdings könnte selbst der beste Schauspieler einen Film nicht retten, wenn das Zusammenspiel zugunsten des Storyverlaufs nicht harmonieren würde, doch dieser Umstand ist hier keineswegs gegeben. Im Zentrum des Films steht definitiv die Geschichte, welche allerdings erst durch die Leistungen des Ensembles mit dieser Wucht ausgestattet werden konnte.
Fazit: Für viele Zuschauer trägt der große Oscar-Abräumer
„Departed“ den Titel „Film des Jahres“, doch für den Verfasser dieser Zeilen bleibt dieses kleine Juwel der heimliche Gewinner!