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Wenn Träume fliegen lernen

Wenn Träume fliegen lernen

Ein Film von Marc Forster

London, 1903: der Theaterautor James Matthew Barrie beginnt, mit sich selbst und seinen Werken zu hadern, als ein viel versprechendes Theaterstück bei seiner Premiere kläglich an dem Versuch, das Publikum zu begeistern, scheitert. Das Stück wird abgesetzt und Barrie macht sich niedergeschlagen doch wenig hoffnungsvoll an die Arbeit, ein neues Werk zu erschaffen. Hilfe bekommte er dabei von ganz unerwartete Seite, als er im Park zufällig die Bekanntschaft der Witwe Sylvia Llewelyn Davies und ihrer vier Söhne macht. Barrie schließt nahezu augenblicklich Freundschaft mit den Jungen und ersinnt in Folge immer wieder phantasievolle Rollenspiele, um die Jungen zu unterhalten. Lediglich Peter, der seit dem Tode seines Vaters wenig lebensfroh und in sich gekehrt ist, öffnet sich kaum und fasst nur sehr langsam Zutrauen. Doch schließlich kann Barrie ihn sogar dazu ermutigen, sich selbst als Schriftsteller zu versuchen. Unterdessen inspirieren der ständige Kontakt mit den Jungen und deren kindliche Abenteuerlust Barrie dazu, eine neue Geschichte voller Phantasie und Magie zu erschaffen, die schließlich in der glanzvollen Premiere von „Peter Pan“ der Welt präsentiert wird...

Marc Forster ("Stay", "Monster´s Ball") schuf mit "WENN TRÄUME FLIEGEN LERNEN" ein zauberhaftes und bewegendes Filmerlebnis, welches den Zuschauer vom ersten Augen
blick an in seinen Bann zieht. Vor allem die Sequenzen, in denen die Grenzen zwischen Realität und Phantasie verschwinden, zeugen von Innovationswillen, Einfallsreichtum und Liebe zur künstlerischen Bildgestaltung. Barries Tanz mit dem Zirkusbären versetzt das Publikum in eine traumgleiche Welt. Und wenn das Piratenschiff auf den tosenden Pappmaché-Wellen den Launen des Wetters trotzt, wirkt die Filmwelt selbst wie eine Bühnenkulisse, und so huldigt der Film immer wieder der in ihren Möglichkeiten der Ausstattung begrenzten und dennoch magischen Welt des Theaters.

Der Soundtrack, komponiert von Jan A. P. Kaczmarek ("Aimée und Jaguar", "Lost Souls"), unterstützt die ungewöhnliche Bildwelt des Films in innovativer Weise und wurde vollkommen zurecht mit dem Academy Award in der Kategorie Best Original Score ausgezeichnet. Der symphonische Charakter der Musik ist alles andere als schwerfällig und wird vor allem durch den Wechsel von Streichern und dem filigranen Pianospiel von Leszek Możdżer aufgelockert. Gerade in den phantastischen Szenen verstärkt der Einsatz von volkstümlichem Flötenspiel oder Instrumenten wie der Mandoline den zauberhaften Charakter des Films und schafft eine leichte Atmosphäre. Verbunden mit den vokalistischen Einlagen des Knabenchors der Brompton Oratory School wirkt die Musik mitunter geradezu magisch und trägt damit in unterstützender, aber eben nicht wuchtig bestimmender Weise zum märchenhaften Gesamtbild der Erzählung bei.

Tatsächlich war auch Jim Carrey im Gespräch für die Rolle des nach Inspiration suchenden Autors. Doch können wir mehr als dankbar dafür sein, dass schließlich doch Johnny Depp ("Sweeney Todd", "Fluch der Karibik") diesen Part übernommen hat. Er geht vollkommen in seiner Rolle auf, und die Chemie zwischen ihm und einer bezaubernden Kate Winslet ("Little Children", "Liebe braucht keine Ferien") lässt die Leinwand geradezu erstrahlen. In der Riege der Jungdarsteller überzeugt vor allem Freddie Highmore ("Die Geheimnisse der Spiderwicks"), der mit seiner Leistung Johnny Depp derart beeindruckt hat, dass dieser ihn in Folge für die Rolle des Titelhelden in "Charlie und die Schokoladenfabrik" vorschlug.

Im Hinblick auf die Kostüme, die Sets und die übrige Ausstattung legt der Film sichtbar Wert auf Authentizität, und auch Johnny Depps detailliert einstudierter schottischer Akzent trägt dazu bei. Doch erhebt das Werk zu seiner Zeit den Anspruch einer faktengetreuen Darstellung der Lebensgeschichte J. M. Barries. Immerhin beruht es nicht auf einer Biographie, sondern vielmehr auf dem Theaterstück „The Man Who Was Peter Pan“ von Allan Knee, welches selber eng an historische Fakten gebunden ist – soweit diese rekonstruierbar sind – aber trotzdem in Vielem Fiktion bleibt. Der Film entfernt sich nicht nur durch die im wahrsten Sinne des Wortes phantastischen Szenen, welche die Imagination Barries auf die Leinwand projizieren, von der Realität, sondern vor allem auch durch die Abweichung von historischen Details zugunsten der filmischen Dramaturgie. So wird der jüngste der Brüder Llewelyn Davies, Nicholas, im Film nicht erwähnt, und der Vater der Jungen, welcher sogar noch die Theaterpremiere von „Peter Pan“ miterlebte, ist im Film bereits verstorben, als Barrie die Familie Llewelyn Davies kennen lernt, sodass eine engere Verbindung zwischen ihnen entstehen kann. So ist "WENN TRÄUME FLIEGEN LERNEN" weniger eine Biographie mit phantastischen Elementen als vielmehr ein Fantasy-Drama mit einigen biographischen Fakten.

Zur Folge hat dies unter anderem auch, dass die Ermunterung zu Abenteuerlust, kindlichem Vergnügen und regelmäßigem Gebrauch der Vorstellungskraft auch im Erwachsenenalter aus der Geschichte herausgelöst wird und einen allgemeineren Charakter annimmt. Der zeitweilige Arbeitstitel „J. M. Barrie’s Neverland“ schien noch sehr an die historische Figur gebunden. Zur Veröffentlichung jedoch gelangte schließlich ein anderer Titel, nämlich „Finding Neverland“. Sowohl der Originaltitel als auch die deutsche Version trennen sich nun von der Figur des J. M. Barrie und betonen so die Tatsache, dass sein Potenzial an Schöpfungskraft, Wagemut und kindlich unbeschwerter Lebensfreude in jedem von uns verborgen liegt und auf Verwirklichung wartet.

Magisch, bewegend und wahrhaft inspirierend – so zeigt sich "WENN TRÄUME FLIEGEN LERNEN" dem Zuschauer, der in eine phantastische Welt entführt wird und kaum dazu kommt, sich ihrem Zauber zu entziehen. Wahrhaft magisch.

Eine Rezension von Nicole Goldstein
(19. April 2007)
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Daten zum Film
Wenn Träume fliegen lernen UK/USA 2004
(Finding Neverland)
Regie Marc Forster Drehbuch David Magee
Produktion Richard N. Gladstein, Nellie Bellflower, Bob Weinstein u.a. (Miramax Films) Kamera Roberto Schaefer
Darsteller Johnny Depp, Kate Winslet, Julie Christie, Freddie Highmore, Radha Mitchell, Luke Spill, Nick Roud, Dustin Hoffman, Kelly Macdonald, Joe Prospero, Angus Barnett
Länge ca. 101 Min. FSK ohne Altersbeschränkung
http://www.miramax.com/findingneverland/
Filmmusik Jan A. P. Kaczmarek
Nach dem Theaterstück "The Man who was Peter Pan" von Allan Knee
Kommentare zu dieser Kritik
Florian TEAM sagte am 19.04.2007 um 21:26 Uhr

Möchte diese gelungene Rezension durch ein schönes Zitat aus der Schlußszene, die mir aus persönlichen Gründen immer wieder sehr nahe geht, ergänzen:

Peter Llewelyn Davies: "But why did she have to die?"

J.M. Barrie: "I don't know, Peter. When I think of your mother, I will always remember how happy she looked, sitting there in the parlor watching a play about her family, about her boys that never grew up. She went to Neverland. And you can visit her any time you like if you just go there yourself."
Renee TEAM sagte am 20.04.2007 um 06:48 Uhr

Ein gut gewähltes Zitat! Sylvias Tod als Reise nach Neverland darzustellen, fand ich sehr einfallsreich und vor allem unheimlich bewegend. Grandios!
Tine sagte am 27.04.2007 um 15:41 Uhr

Eine sehr, sehr schöne Rezension zu einem ganz tollen Film, den ich mir bestimmt nicht mehr angucken kann, weil er so unglaublich traurig ist. Und dabei würde ich ihn doch so gern nochmal sehen. Ein schrecklicher Konflikt!
Wenn man den Film kennt, stimmt einen sogar die Rezension traurig, aber man schafft es grad noch so, nicht in Tränen auszubrechen. Aber dann hilft ja Florian nach mit dem tollen Schlusszitat. Dankeschön.
Und was ich doll erschreckend fand: Jim Carrey??? Der hätte aus solch einem Film absoluten Schrott gemacht. Was für ein Glück, dass es Johnny Depp gibt.
Stefan R. TEAM sagte am 16.09.2008 um 20:30 Uhr

"Finding Neverland" ist ein ganz wunderbarer zu Herzen gehender Film, eine zu Tränen rührende Ode an die Kraft der Vorstellung, die einzig und allein die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zu durchbrechen in der Lage ist. Die Verquickung von biographischen und phantastischen Elementen gelingt Marc Forster - der sich anschickt, mein neuer Lieblingsregisseur zu werden - wahrlich ausgezeichnet. Vor allem bemerkenswert ist die Tatsache, dass die verbildlichte (kindliche) Vorstellungskraft Barries sich in jeder Szene nahtlos in das Gesamtbild einfügt, ohne wie ein Fremdkörper zu erscheinen. Als ob es das eine nie ohne das andere gegeben hätte und/oder geben wird. Und genau das macht diesen Film so unglaublich schön, so wahnsinnig traurig. Wer diese Erkenntnis in dem hinreißenden Spiel von Johnny Depp, Kate Winslet und Freddie Highmore zu erkennen in der Lage ist - und es wird so ziemlich jeder sein -, darf sich getrost auf die Schulter klopfen. Denn der Grund für das so harmonisch wirkende Zusammenspiel der sonst so verschiedenen (Realitäts-)Ebenen ist so einfach wie naheliegend:

In JEDEM von uns schlummert es nämlich, ein kleines, kindliches Gemüt, welches uns mit einem gesunden Maß an Vorstellungskraft segnet. Manchmal muss man allerdings erst erwachsen werden, um dies zu begreifen :)

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