„You are without doubt the worst pirate I’ve ever heard of.”
„But you have heard of me.”
Lange Zeit galt das Genre des Piratenfilms als tot. Errol Flynn war in etlichen frühen Produktionen ("Unter Piratenflagge" [1935], "Der Herr der sieben Meere" [1940]) zum Star avanciert, doch die eigentliche Geburtsstunde des Genres sollte erst der Oscar-prämierte "Der Seeräuber" [1943] markieren. Im Jahr 1953 erreichte das Schaffen dann seinen gigantischen Höhepunkt, als mehr als zehn Piratenfilme für das Kino produziert wurden – in den Nachfolgejahren hatten es die Verantwortlichen da deutlich schwerer.
Filmemacher wie Renny Harlin ("Die Piratenbraut" [1995]) und auch Größen wie Roman Polanski ("Piraten" [1986]) versuchten in den späten 80er und frühen 90er Jahren, an den Erfolg von damals anzuknüpfen, und lieferten letztlich entweder nur halbgare Durchschnittskost (Harlin) oder handwerklich perfekte Unterhaltung (Polanski) ab – gemein war allen Produktionen, dass der Erfolg an der Kinokasse in so weiter Ferne lag wie das Taka-Tuka-Land für Pippi Langstrumpf und ihre Freunde zu Beginn des gleichnamigen Films [1970]. Piratenfilme verkamen so zu reiner Flopware, die drauf und dran war, den 1953er Höhepunkt unter einer zunehmenden Welle roter Zahlen zu begraben und ihm fast ein gar tristes Dasein in der Vergessenheit zu bescheren gedachte. Fast. Denn 2003 begann Produzent
Jerry Bruckheimer mit den
in Anbetracht der bisherigen Entwicklung zurecht skeptisch betrachteten Vorbereitungen für eine Wiederbelebung des totgeglaubten Genres, und der Mut sollte sich auszahlen: überraschend, wenn auch sicherlich im tiefsten Innern erhofft, wurde
"FLUCH DER KARIBIK" unter der Regie von
Gore Verbinski ein weltweiter Kinoerfolg, der sowohl Kritiker als auch Kinogänger gleichermaßen begeisterte. Und plötzlich war es gar nicht mehr so mausetot, das Piratengenre, sondern mehr als quicklebendig. Totgeglaubte leben manchmal eben doch länger.
Zunächst zur Geschichte: Der extravagante Pirat Captain (!) Jack Sparrow (Johnny Depp) gehört nicht gerade zu den Freibeutern mit Vorbildfunktion. Seine ungewöhnliche Lebensweise, die ihm nichtsdestotrotz ein bisher unbeschwertes Leben voller Abenteuer und Meuterei auf karibischer See ermöglicht hat, wird nur noch durch einen seltsamen Zustand von Dauerbetrunkenheit übertroffen. Paradiesisch. Doch als der eiskalte Captain Barbossa (Geoffrey Rush) aus heiterem Himmel Sparrows Schiff, die
Black Pearl, kapert und mit ihm in die Hafenstadt Port Royal einfällt, ist urplötzlich Schluss mit dem paradiesischen Leben ohne Verdruss. Denn Barbossa entführt dort Elizabeth Swann (Keira Knightley), die Tochter des Gouverneurs, was Jack Sparrow, der in erster Linie sein Schiff wiederhaben möchte, mit dem abenteuerlustigen Will Turner (Orlando Bloom) zusammenführt, welcher in erster Linie seine heimliche Liebe zu retten gedenkt. Und so stürzen sich die beiden Draufgänger an Bord des schnellsten Schiffs der britischen Flotte in eine waghalsige Verfolgungsaktion, um Barbossa schlussendlich dingfest zu machen und das, was er unrechtmäßig erlangt hat, wieder an sich zu nehmen. Doch so einfach, wie sich Jack und Will ihren Plan ausgemalt hatten, soll es letztlich dann doch nicht werden. Denn auf dem Verfolgten und seiner kompletten Mannschaft lastet ein gar unheimlicher Fluch, der sie dazu verdammt, als Untote ewiglich durch die schwarze Nacht zu flanieren, während einzig und allein der Mondschein in der Lage ist, das wahre Gesicht der Unseeligen zu enthüllen. Kann der Fluch letztlich gebrochen werden und das Vorhaben von Jack und Will gar von Erfolg gekrönt sein? Das Abenteuer nimmt seinen Lauf.
Obwohl Themen- und Vergnügungsparks bekannt sind für ihre anregende und aufmunternde Wirkung, die selbst in den trübsten Tag die Sonne zurückzuzaubern vermag, ist es doch erstaunlich, dass es einer Handvoll der in solch einem Märchenland beheimateten Attraktionen gelungen ist, für eine derart triumphale Rückkehr der Freibeuterkultur in den Fokus der Öffentlichkeit zu sorgen. Oder vielleicht auch nicht. Denn genau genommen ist es gerade der verspielte Ton, der trotz der teils sehr düsteren Elemente der Geschichte für Verzückung und Begeisterung auf Seiten der Kinogänger und damit den enormen Erfolg des Films verantwortlich war. Man könnte sagen, nach seiner viel zitierten Wiedergeburt steckt das Piratengenre noch in seinen Kinderschuhen. Keineswegs in technischer Hinsicht, denn wie zur Genüge festgestellt wurde, sind Dramaturgie, Inszenierung, Ausstattung, Effekte, Darbietung und dergleichen durchweg ausgereift. Vielmehr ist es das kindliche Gemüt der Erzählung, welches den Eindruck hinterlässt, man würde einer Horde Heranwachsender dabei zuschauen, wie sie sich quietschvergnügt selbst als Darsteller in Disneys Piratenshow versuchen dürfen. Erwachsene leben mit modernsten Techniken Kindheitsträume aus. So wurde aus dem reinen Abenteuer eine Abenteuerkomödie, aus den furchteinflößenden Piraten heldenhafte Draufgänger, und aus dem phantastischen Hauch, der viele Mythen um Freibeuter und Seemonster umgibt, ein von (dunkler) Magie gefüllter Sturm, der jedes einzelne Segel bis zum Zerreißen spannt und das Schiff vorantreibt.
Man könnte meinen,
das böse Tentakelwesen Ursula hätte seine Zauberkräfte spielen lassen, jedoch eine Wirkung herbeigeführt, die fern ab von Gräuel und Schandtaten das genaue Gegenteil hat Wirklichkeit werden lassen. Nicht anders ist es nämlich zu erklären, dass sich ein
Elb in einen Schmiedehammer-schwingenden Freibeuter wider Willen verwandelt, eine eher unscheinbare Kickerin plötzlich als heißblütige Piratenbraut in der Karibik die Sinne der Männern betört, die Stimme eines Braunpelikans mit Sehschwäche sich flugs in einem fiesen Geisterpiraten mit schlechtem Gebiss wieder findet, ein alternder Rockstar einer Band aus der Kreidezeit plötzlich seine späte Wiedergeburt durch einen lallenden, extravaganten Captain (!) erfährt, und das Ganze dann tatsächlich ein ebenso kohärentes wie mitreißendes Gesamtgefüge ergibt. Der Hauptgrund für das durchweg unterhaltsame Filmvergnügen liegt hier sicherlich in der Person
Johnny Depps begründet, respektive in der Rolle, die er verkörpert. Selten war eine Filmfigur so eng an rollentypische Vorlagen gebunden und zur gleichen Zeit so weit von ihnen entfernt. Captain (!) Jack Sparrow scheint direkt dem Märchenbuch entsprungen und schreibt gleichzeitig eine gänzlich neue Figurengeschichte. Johnny Depp gibt dem alten Piratenklischee mächtig Pfeffer und setzt dem Ganzen zur Krönung seinen eigenen individuellen Stempel auf. Herausgekommen ist eine der schillerndsten Filmfiguren der jüngsten Kinogeschichte, deren Ausarbeitung wohl nicht ohne Grund in einer Oscarnominierung für die beste Hauptrolle gipfelte. Es zeigt sich: Auch Piraten, die ihr Schiff verloren haben, werfen (mitunter) lange Schatten, in denen selbst die ausnahmslos soliden Leistungen der übrigen Darsteller ein wenig verblassen.
Doch die tollste Idee kann schnell zu einem faden Einheitsbrei verkommen, wenn der dadurch aufgebaute Aufwind in der Inszenierung nicht genutzt wird und das Endergebnis wirkt, als wäre der Regisseur vor Fertigstellung des Werkes kielgeholt worden. Von solchen Eskapaden ist
"FLUCH DER KARIBIK" aber glücklicherweise meilenweit entfernt. Die Tatsache, dass Jerry Bruckheimer, seines Zeichens Krawallmacher Nr. 1 in der Traumfabrik, als Produzent des Projektes zur Verfügung stand, lässt in etwa schon erahnen, dass hier mit wenig gegeizt wurde – am allerwenigsten mit Schauwerten. So schlagen sich die Produktionskosten von 140 Millionen Dollar nieder in aufwendigen Visual Effects aus der Schmiede von George Lucas' ILM und noch aufwendigeren Sets und Bauten, mit deren Hilfe die effektgeladene Bildgewalt die atemberaubende Kraft der weiten See ohne Energieverlust aufgreift.
Während also Barbossa und seine Crew ihrer düsteren Unsterblichkeit zu entkommen suchen, bejubelt die Filmwelt die Frischzellenkur, die dem Genre verpasst wurde. Der Film wurde über alle sieben Weltmeere hinweg ein riesiger Erfolg und bewies so eindrucksvoll, dass entgegen dem dunklen Fluch, welcher auf der Leinwand die Herrschaft übernimmt, über das wie ein geblähtes Segel gespannte Stückchen Stoff hinaus ein deutlich friedfertigerer Zauber wirken kann. Es stimmt also wirklich: in der magischen Welt der Filme ist alles möglich, wenn man nur fest genug daran glaubt. Seit "
Peter Pan" sind die Piraten weit gekommen und erlauben sich nun einen Blick über den Schiffsrand hinaus. Nicht mehr nur der Wille zu plündern und zu rauben diktiert ihr abenteuerliches Dasein. Plötzlich orientieren auch sie sich an moralischen Tugenden, bis ihr Ehrenkodex sogar Außenstehenden ins Blut übergegangen ist. Altbekanntes in neuer Aufmachung wirkt eben doch Wunder. Zumindest Captain (!) Jack Sparrow scheint dies alles schon lange gewusst zu haben. In diesem Sinne: Klar soweit?
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