„Harry, your eyesight really is
awful.“
Nicht etwa Voldemort, sondern die Zeit ist all die Jahre Harry Potters größter Gegner gewesen. Die Abenteuer des unscheinbaren Jungen, der sich quasi über Nacht zum unstreitig berühmtesten Zauberlehrling des 21. Jahrhundert gemausert hat, waren und sind als Bücher nach wie vor ein riesiger Erfolg, was sich so auch ohne Probleme auf die Filme übertragen lässt, die zusammengenommen die wohl gewinnträchtigste Filmreihe aller Zeiten bilden. Doch abseits des schnöden Mammons folgt bei jeder neuen Verfilmung auch unweigerlich eine altbekannte Debatte im Schlepptau, die sich getätigten Änderungen, Charakterbesetzungen und dem wohl leidigsten Thema von allen widmet: den Kürzungen. Das Entfernen von (vermeintlich) wichtigen Buchpassagen und die damit einhergehende Straffung der Geschichte sind dabei sicherlich Faktoren, die Erwägung finden, den Film als solchen aber nicht überlagern sollten. Denn was bringt eine 1:1-Umsetzung, wenn man genauso gut (und mit deutlich weniger Ärger verbunden) noch einmal das Buch lesen könnte, um Hogwarts im individuellen Kopfkino Gestalt annehmen zu lassen? Überdies haben neben
Peter Jackson und
Matthew Vaughn in jüngster Vergangenheit bereits einige andere Regisseure eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass erzählerisch
e Freiheit, die nichtsdestotrotz den Geist der Vorlage atmet, in einem Film bestens funktionieren kann. Doch bei Harry Potter muss jedes Mal aufs Neue ein Fass aufgemacht werden.
Zugegebenermaßen warf Regisseur
David Yates mit seiner vorangegangenen Adaption des
Halbblutprinzen einige weitere Scheite in das Feuer der Unzufriedenheit, als er das actionreiche Finale aus dem Buch erst gar nicht in seinen Film übernahm. Aber die Zeit heilt nun einmal alle Wunden, und mit ihr kommt die (vermutete) Einsicht. So entschlossen sich die Verantwortlichen kurzerhand, der Harry Potter-Reihe ein durch und durch würdiges Finale zu bescheren, was nun in Gestalt von zwei Filmen geschehen soll. Dass der beeindruckende Umstand, aus sieben Büchern so ganze acht (raten wir mal: durchweg erfolgreiche) Filme zu machen, dabei auch anderen eigennützigeren Gründen geschuldet sein könnte, wie mancherorts geunkt wird, soll allerdings nur beiläufig Erwähnung finden. Denn was zählt, ist das Ergebnis, und das kann sich im Falle von
„HARRY POTTER UND DIE HEILIGTÜMER DES TODES - TEIL 1“ wahrlich sehen lassen. Aber immer der Reihe nach:
Voldemorts (Ralph Fiennes) Jagd auf den verhassten Erzfeind Harry Potter (Daniel Radcliffe) ist im vollen Gange. Nach dem gewaltsamen Tod von Professor Dumbledore (Michael Gambon) sehen sich die Muggel immer häufiger Angriffen von Todessern ausgesetzt, der Sieg des Bösen über das Gute scheint unmittelbar bevorzustehen. So schickt sich Harry mit Hilfe der Mitglieder des Phönixordens an, seiner wenig geliebten Bleibe im Lingusterweg und den Dursleys ein für allemal Lebewohl zu sagen. Doch der Weg zum sicher geglaubten Fuchsbau der Familie Weasley mündet in einem Desaster, da ein Spitzel Voldemorts Schergen kurz zuvor von der Abreise Harrys in Kenntnis gesetzt hat, woraufhin ein Luftkampf mit den Todessern entbrennt, der mehr als nur ein Opfer fordert. Mit Müh und Not entkommt Harry und fasst nach einem weiteren gewaltsamen Übergriff den nicht einfachen Entschluss, zusammen mit seinen Freunden Ron (Rupert Grint) und Hermine (Emma Watson) zu fliehen, um im Alleingang die restlichen Horkruxe – jene Objekte, auf die Voldemort seine Seele bannte – zu finden und zu vernichten. Ein gefährliches Unterfangen, das den Zusammenhalt des einst so munteren Trios auf eine harte Probe stellt. Denn in diesen dunklen Zeiten ist nichts mehr sicher, wie sich schon bald herauskristallisieren soll…
„HARRY POTTER UND DIE HEILIGTÜMER DES TODES - TEIL 1“ entführt den Zuschauer – mehr als zuvor – in eine Welt, die vor dem Umbruch steht. Unheil lauert nunmehr an jeder Ecke, während der Gedanke an eine hoffnungsvolle Zukunft in allzu weite Ferne gerückt zu sein scheint. Inmitten der Bedrängnis: drei auf sich allein gestellte Teenager mit einem riskanten Unterfangen. Der Ernst der Lage wird bereits in den ersten Minuten des Films deutlich, als Hermine eine für ihre Familie schwere und in ihrer Endgültigkeit äußerst drastische Entscheidung trifft. Die bildnerische Ausgestaltung dieses einen Moments, der im Buch im übrigen nur kurz während eines Gesprächs erwähnt wurde, gelingt Regisseur Yates und seinem Kameramann
Eduardo Serra („
Blood Diamond“ [2006]) ganz hervorragend, gipfelt er doch in einem Bild, das die Einsamkeit unserer Helden auf ihrer anstehenden Mission nicht plakativ, sondern mit dem richtigen Gespür für Effektivität und Nachhall einfängt. Auch im weiteren Verlauf wird der Kraft der Bilder mehr als jemals zuvor vertraut, wenn Harry, Ron und Hermine etwa durch weitschweifende Landschaften flanieren, deren Schönheit in beinahe episch anmutenden Einstellungen Ausdruck verliehen wird. Es sind dies Momente, in denen das Licht inmitten der Düsternis gesucht wird, Momente, die die Geschichte per se vielleicht nicht voranzutreiben vermögen. Und doch sind sie wichtig, da sie gewissermaßen als Spiegel in die Gefühlswelt unserer einsamen Helden fungieren. Yates gelingt es nämlich, den von den Jungdarstellern verkörperten Charakteren mehr Tiefe zu geben, indem er die (zunächst noch gehegte) Hoffnung auf baldiges Reüssieren schlicht als kurze Augenblicke des Lichts in die ansonsten dunkle Welt einfügt. Manch einer mag dies sicherlich als langatmig oder temporaubend abtun. Jedoch verließ sich auch schon der Roman in seiner ersten Hälfte nicht etwa nur auf pure Action, sondern im Gegenteil auf die durcheinandergewirbelte Gefühlswelt seiner Protagonisten, weshalb es nur konsequent ist, wenn Yates die ihm zur Verfügung stehende doppelte Zeit dazu nutzt, eben jenes zu tun: sich alle Zeit zu lassen.
So finden sich etwa zahlreiche leise Szenen von bitterer Ernsthaftigkeit in dem 2 ½-Stunden-Werk, die man in dieser Ausprägung wohl nicht in einem Harry Potter-Film vermutet hätte. Exemplarisch sei hier die Tanzsequenz zwischen Harry und Hermine im letzten Drittel genannt, die zu den Klängen von
Nick Cave & The Bad Seeds’ „O Children“ stattfindet und abseits von ihrer liebenswerten Unbeholfenheit dem dringend benötigten Zusammenhalt in diesen schweren Zeiten Ausdruck verleiht.
Daniel Radcliffe („The Woman in Black“ [2011]) und
Emma Watson („Ballet Shoes“ [2007]) meistern diesen innigen Moment der stillen Revolution weitaus souveräner, als vielleicht vermutet. Überhaupt sind die Darsteller mit ihren Darbietungen spürbar reifer geworden, was zur unmittelbaren Folge hat, dass
Rupert Grint („Wild Target“ [2010]), der vormals eher launige Stichwortgeber für Wortwitzkapriolen, auch endlich einmal beweisen darf, dass er durchaus anders kann. Keine Frage: das Trio degradiert hier Schauspielgrößen wie
Alan Rickman („
Stirb langsam“ [1987]) und
Brendan Gleeson („
Beowulf“ [2007]) zu regelrechten Nebendarstellern mit lediglich begrenzter Leinwandpräsenz. Einzig
Jason Isaacs („
Peter Pan“ [2003]) und
Rhys Ifans („
Hannibal Rising“ [2007]) können sich etwas besser profilieren, wobei Letzterem vor allem der Umstand zugute kommt, dass er eine grandios animierte Tricksequenz zur Geschichte der ominösen
Heiligtümer des Todes einleiten darf (Regie: Ben Hibon; Trickeffekte: Framestore). Ansonsten ist die Marschrichtung – wenn schon nicht die des umherwandernden Trios, so doch zumindest die des Films – klar: auf dem Weg zum alles entscheidenden Kampf, der uns in Teil 2 bevorsteht, werden weiß Gott keine Gefangene gemacht. Liebgewonnene Charaktere lassen genauso ihr Leben oder werden blutig verletzt wie undurchsichtige Gestalten. So wenig zimperlich wie hier ging es rund um Hogwarts (das übrigens zu keiner Sekunde vorkommt) wahrlich noch nie zu. Harry Potters Kinderschuhe haben vollends ausgedient, weshalb der Titelheld den Kampf gegen das Böse diesmal auch völlig ungeniert mit sichtbarem Drei-Tage-Bart aufnehmen kann. Wie die Zeit doch vergeht…
Fazit: Harry Potter ist erwachsen geworden. Teil 1 des großen Finales präsentiert sich als düsterer Fantasy-Thriller, der spätestens jetzt überhaupt nichts mehr mit einer Kinderbuchverfilmung zu tun hat. Die nunmehr deutlich vorherrschenden Faktoren Angst, Verzweiflung und Trauer lassen
„HARRY POTTER UND DIE HEILIGTÜMER DES TODES - TEIL 1“ dabei vielleicht nicht zum besten, wohl aber zum bisher atmosphärischsten Film der Reihe reifen, dem die Ausführlichkeit, mit der die unheilvolle Geschichte ohne Hast erzählt wird, mehr als nur gut zu Gesicht steht. Wenn die Verantwortlichen dies alles weiter im Hinterkopf behalten und die Fehler aus der Verfilmung zum
Halbblutprinzen vermeiden, steht uns im Sommer ohne Frage ein Endspiel par excellence ins Haus. Die Zeit wird's zeigen...
Die Saga findet ihr Ende mit „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 2“ [2011]