„There's a mole...right at the top of the Circus“
Als
Circus bezeichnen die
MI6-Agenten ihr Hauptquartier am Londoner Cambridge Circus.
Gegründet bereits im 16. Jahrhundert durch Sir Francis Walsingham, bestanden die Aktivitäten des britischen Geheimdienstes während des Kalten Krieges unter anderem darin, nützliche Informationen über den Feind zu sammeln und sowjetische Offizielle als Agenten für die eigene Seite zu rekrutieren.
Der britische Bestseller-Autor John le Carré hat sich in verschiedenen Werken ausführlich mit der Arbeit des
MI6 auseinandergesetzt.
Kein Wunder, hat er doch selbst in der Zeit von 1960 bis 1964 für den
Circus seinen Dienst in Deutschland verrichtet.
Sein Protagonist George Smiley, den er bereits in seinem Debüt „Schatten von Gestern“ (1961) eingeführt hat, rückt auch in seinem 1974 verfassten Roman „Dame, König, As, Spion“ in den Mittelpunkt der Handlung.
Schon 1979 ist das, im Original „Tinker, Tailor, Soldier, Spy“ betitelte, Werk unter der Regie von John Irvin und mit Alec Guinness in der Rolle Smileys in Form einer TV-Miniserie aufbereitet worden.
Auch wenn man als Zuschauer wohl unweigerlich an die Abenteuer James Bonds denken muss, wenn das Wort „Geheimagent“ fällt, so könnten le Carrés persönlich gehaltene Geschichten kaum weiter von der glamourösen Welt des charismatischen Helden entfernt sein.
Hier besitzen die Figuren keine Autos mit Waffenvorrichtung und auch die Beziehungen zu anderen Personen verlaufen oft weit komplizierter.
Vor allem beschreibt der Autor nämlich echte Menschen, deren eigene Probleme sich in dem wirren Berufsfeld widerspiegeln.
„Die Welt der Spione in meinen Büchern ist eine Metapher für die große Welt, in der wir alle leben. Wir beschummeln einander, belügen uns selbst, erfinden kleine Geschichten und schauspielern uns durchs Leben“, gibt le Carré Auskunft.
Für die nun von dem Schweden Tomas Alfredson inszenierte Kinoadaption von „Dame, König, As, Spion“ hat er einen klaren Wunsch geäußert:
Keine 1:1-Version des Buches, kein Remake!
Alfredson, der zuvor mit seinem Vampirfilm „
Let the right one in - So finster die Nacht“ (2008) für Aufsehen gesorgt hat, gelingt es, dem Spionage-Thriller sowohl visuell, als auch erzählerisch, eine ganz eigene Note zu verleihen.
Man muss kein Freund von ähnlichen Geschichten sein, um seiner Vision etwas abgewinnen zu können.
Das innovativ umgesetzte Werk steht für sich selbst.
Der Skalpjäger (ein interner Begriff für die mit den „gröberen Aufgaben“ betrauten Agenten) Jim Prideaux (Mark Strong, „
Sherlock Holmes“) wird von dem nur als „Control“ bekannten
MI6-Chef (John Hurt, „
The Proposition“) höchstpersönlich nach Budapest beordert.
Das misstrauische Oberhaupt des
Circus glaubt an einen faulen Apfel im eigenen Garten und beauftragt deshalb Prideaux, von einem vermeintlichen Überläufer wichtige Informationen zu erlangen.
Die Mission geht schief, Schüsse fallen und der Agent stürzt blutüberströmt zu Boden.
„Control“ wird nach dem Desaster in den Ruhestand geschickt – zusammen mit dessen rechter Hand, dem intelligenten und introvertierten George Smiley (Gary Oldman, „
The Dark Knight“).
Monate später, „Control“ ist bereits verstorben, tritt der Staatssekretär erneut an Smiley heran:
Es gäbe einen
Maulwurf, irgendwo an der Spitze des
Circus.
Smiley soll die Arbeit seines früheren Chefs aufnehmen und die Schwachstelle ausfindig machen.
Still und leise, ohne zu viel Staub aufzuwirbeln.
Als Unterstützung erhält der eigentlich längst Pensionierte den jungen Peter Guillam (Benedict Cumberbatch, „Abbitte“) an seine Seite gestellt.
Was auch immer im
Circus vorgeht, es muss etwas mit der neuen Führung unter dem arroganten Percy Alleline (Toby Jones, „
Frost/Nixon“) und seinem mysteriösen, sowjetischen Informanten „Witchcraft“ zu tun haben.
Die Informationsschleuse zum Gegner „Karla“ scheint offen zu stehen.
Neben Alleline, seinen Männern Roy Bland (Ciarán Hinds, „
München“), Toby Esterhase (David Dencik) und Bill Haydon (Oscar-Preisträger Colin Firth, „
The King's Speech“) hat „Control“ noch einen fünften Verdächtigen in seinen Unterlagen vermerkt: Smiley selbst.
Die Rückkehr Ricki Tarrs (Tom Hardy, „
Inception“) von seiner Mission in Istanbul wirft weitere Hinweise in das schmutzige Spiel.
Wem darf man noch trauen...?
Alfredson, der mit „Dame, König, As, Spion“ seine erste englischsprachige Arbeit präsentiert, stattet sein Werk mit einer intensiven Bildersprache aus, die auf explizit veräußerlichte Kommentare von Protagonisten zum Teil bewusst verzichtet und einen Blickwechsel als abstraktes Statement gelten lässt:
Zwei Personen sehen sich an, die eine grinst der anderen zu – sie hüten ein gemeinsames Geheimnis.
Mehr muss man für das Verständnis einer Situation oft gar nicht wissen.
Auch findet der Regisseur geeignete Metaphern, die die Thematik auf subtile Weise unterstreichen.
Beispielsweise in Form zweier Züge, deren Gleise zunächst parallel verlaufen, aber letztlich doch eine andere Richtung vorgeben.
Bei den Agenten ist es schließlich ähnlich – sie verfolgen ein gemeinsames Ziel, aber entfernen sich dennoch irgendwann voneinander.
Jeder ist für sich allein.
Und für manchen stellt sich im Verlauf der Reise das Gleis womöglich um, und man entfernt sich sogar von dem eigentlichen Ziel...
Die eleganten Aufnahmen von Hoyte Van Hoytema („The Fighter“) tauchen das gesamte Geschehen in kühle, leblose Farben.
Die Wärme der Sonne scheint den Figuren keinen Trost spenden zu wollen.
Hier erinnert das Werk stark an Alfredsons Vorgänger, dessen triste Bilder ebenfalls der inneren Melancholie der Charaktere Ausdruck verliehen haben.
In Istanbul hat der Skalpjäger Tarr die Russin Irina (Svetlana Khodchenkova) kennengelernt.
Sie verspricht ihm Informationen, er verspricht ihr Schutz.
In einer Szene reflektiert Tarr mit einem kleinen Spiegel Sonnenlicht auf das Gesicht der schönen Frau – ein rarer, romantischer Moment in einem ansonsten beklemmenden Film.
Die Darstellung der Kommando-Zentrale – eine riesige Fläche, auf welcher einzelne Container verteilt sind – führt den Zuschauern die extreme Paranoia dieser Männer (Frauen sind eher eine Seltenheit im
Circus) zusätzlich vor Augen.
Fast wie eine russische
Matroschka-Figur (die männliche Variante steht, im Gegensatz zur weiblichen, oft für Kriegstüchtigkeit und Stärke) schirmen die Agenten immer mehr Mauern um sich.
Nicht nur in Form dieser räumlichen Isolation, auch in Form von Geheimidentitäten und der Verweigerung der offenen Aussprache untereinander.
In Rückblenden zeigt der Film eine Silvesterfeier der
MI6-Mitglieder.
Diese sieht jedoch nur oberflächlich betrachtet ausgelassen und fröhlich aus.
Die Kälte ist ein Motiv, das sich wie ein roter Faden durch den Film zieht. Die Zeit des Kalten Krieges.
Davor, während der hitzigen und blutigen Schlachten, habe man zumindest noch mit Stolz auf die Soldaten im Feld schauen können, erinnert sich die frühere
MI6-Rechercheurin Connie Sachs (Kathy Burke).
Man musste dem Gegner im Kampf direkt in die Augen blicken. Es ging unmittelbar um Leben und Tod.
„Dame, König, As, Spion“ ist nicht bloß ein hochspannender Thriller über eine brisante Maulwurf-Suche (die natürlich von dem wahren Skandal um Kim Philby inspiriert worden ist), sondern vor allem ein Werk, das sich mit seinen Figuren beschäftigt.
Natürlich immer von einer gewissen Distanz, da diese ja niemanden wirklich nahe an sich heran lassen. Auch das Kino-Publikum nicht.
Die zurückhaltenden Performances der Darsteller, allen voran die des starken Gary Oldman, laden die Zuschauer vielmehr zur Interpretation der Mimik und Gestik ein.
Selbst unter den groben Gesichtszügen lassen sich tiefe Emotionen ablesen.
Man möchte ungern in dieser Welt der Spione leben, in diesem ständigen, grausamen Wechsel von lügen und belogen werden. Wo wahre Loyalität eine echte Rarität darstellt.
Auch wenn man sich in dieser wahrscheinlich längst irgendwo selbst wiedergefunden hat...oder
weil?
Tomas Alfredson hat John le Carrés Roman in einen inspirierten, aber nicht inspirierenden Film umgewandelt. Zumindest nicht inspirierend, was das eigene Leben angeht.
Gelegentlich muss man sich aber auch einfach mit den unbequemen Schattenseiten auseinandersetzen.
Nicht jede Geschichte kann das Schöne und Positive feiern.