"The mountains, the trees, the endless plains. The moon, the myriad of stars. Every man can be made quiet and complete. Even the lowliest misanthrope or the most wretched of sinners."
"What's a misanthrope, Arthur?"
"Some bugger who fucking hates every other bugger."
"Hey, I didn't ask you, you black bastard."
"He's right, Samuel. A misanthrope is one who hates humanity."
"Is that what we are? Misanthropes?"
"Good Lord, no. We're a family."
Zwei Brüder sitzen in der Wüste. Es ist kurz vor Weihnachten im australischen Outback, irgendwo nahe Banyon in North Queensland, irgendwann im 19. Jahrhundert. Der eine Bruder, Charlie, ist ein Bandit, der keiner mehr sein will, der andere, Arthur, ist ein Bandit, Mörder, Vergewaltiger, der nichts anderes sein kann. Charlie ist hier, um seinen großen Bruder zu töten. Ihr kleiner Bruder, Mikey, soll an Weihnachten gehängt werden, wenn er es nicht tut. Das ist der perfide namensgebende "Vorschlag", mit dem der britische Captain Stanley in der ersten Szene in einer zerschossenen Hütte die Weichen für den Film stellt, der von da an nur noch beobachtet, was sich daraus entwickelt.
The Proposition folgt von da an, zuweilen staunend, resignierend, bewegt, ganz dem Rhythmus, den seine Figuren vorgeben und erzählt vor allem über die Atmosphäre des Landes selbst, wie die britische Ordnungsmacht, die irischen Banditen und die dazwischen stehenden Aborigines ver
suchen, mit der Unvermeidlichkeit der griechischen Tragödie fertig zu werden, die Captain Stanley durch seine
Proposition angestoßen hat.
Der Film ist ein einziger heller, delirierender Fiebertraum, sein Australien eine brütende, karge, feindliche Vorhölle. Nicht leicht auszuhalten vielleicht, aber mit der Chance, ihn nicht zu vergessen.
Der Einfluss der Landschaft auf jeden ist körperlich fühlbar. Alle Menschen scheinen von der gleißenden Leere der Landschaft erdrückt zu werden. Sie sind alle Kinder des Landes, ob sie nun hier geboren sind oder nicht, und hassen es dafür. Der Einfluss des Landes ist auf ihren Gesichtern, in ihren Bewegungen, ihren Worten, ihren Gedanken. Sie sind hager, strähnig, hohl, ausgedorrt. Sie scheinen alle von der brütenden, hellen Unbarmherzigkeit zermürbt, auf ihre Weise, manche wie Verletzte, die ihr gesamtes Verhalten um ihre Verletzung herum organisieren, damit sie etwas weniger schmerzt, andere, die wie fasziniert in der eigenen Wunde wühlen und sich vielleicht fragen, wie das Teil ihres Körpers sein kann, oder es womöglich in ihrer Abgestumpftheit gar nicht mehr bemerken und es nur aus Langeweile, als rein motorische Beschäftigung weiterhin tun. Es liegt eine bestialische, ungezähmte Unvermeidlichkeit über dem ganzen Film, und das Land ist das Sinnbild dafür.
Nick Cave (Drehbuch und Musik):
"We were looking for truth more at a poetic level." Herausgekommen ist ein eigenständiger, harter Bastard von einem Western, eine Mischung aus
Dead Man und
Apocalypse Now im flirrenden australischen Ödland.
Charlie Burns (Guy Pearce,
L.A. Confidential,
Memento) reist also ins Herz der Finsternis, zu seinem Bruder auf den Berg. Um seinen Bruder ranken sich Legenden. Captain Stanleys Leute nennen ihn "Beast", die Aborigines sagen, er kann nicht gefangen oder getötet werden, weil er sich mit dem Land verbündet und sich verwandelt hat, in einen "Dog Man". Keiner, weder die Britische Exekutive, noch der Teil der Aborigines, der für die Kolonialmacht arbeitet, traut sich zu Arthur Burns (Danny Huston,
Children of Men,
Der ewige Gärtner). Nur der alte britische Kopfgeldjäger Jellon Lamb, mit einer faszinierenden Mischung aus Brutalität und abgehalfterter Eloquenz gespielt von John Hurt (
Shooting Dogs,
Owning Mahowny), lagert immerhin am Fuße des Berges und wartet darauf, dass der "Dog Man" hinabsteigt. Hurt erfüllt hier eine ähnliche Funktion wie Dennis Hopper in
Apocalypse Now. Er schaut, anders als die anderen Briten, die sich auf ihre leeren Standesdünkel zurückziehen, mit einem literarisch gebildeten Blick auf das Land und die Menschen, die es hervorbringt, und seine logische Reaktion ist beschwingter Wahnsinn:
"Oh, Danny Boy, the flies, the flies are crawling". Er ist es auch, der die Erkenntnisse Darwins, damals noch wilde Theorien, eine Art Aberglaube, zur Sprache bringt. Und stellvertretend für die anderen Zivilisierten über sie lacht. Eine Form der Verdrängung.
"We are white men, Sir. Not beasts." Und der Glaube? Auch den bringt Hurt auf den Punkt:
"I was, in days gone by, a believer. But, alas, I came to this beleaguered land and the god in me just, uh… evaporated."
Der, dem die Verdrängung am schwersten fällt, der es sich am wenigsten leicht macht, ist Captain Stanley (Ray Winstone,
Sexy Beast,
Departed - Unter Feinden), ironischerweise zugleich der, der die ganze Handlung durch seine Proposition, seinen "Vorschlag" erst anstößt. Er entfesselt das, was danach kommt. Aber auch er reagiert nur auf das, was davor kam. Der Film verheimlicht das nicht, er macht es sogar unmissverständlich klar: Der, der besessen davon ist, die Zustände zu verbessern, kann den Lauf des Unvermeidlichen nicht stoppen. Stanley ist spätestens durch seine Proposition korrumpiert, weil er eine bewusst grausame Variante wählt, um der absurden Bedrohung Arthur Burns Herr zu werden. Er stellt den einen Bruder, Charlie, vor die Wahl, welchen Bruder er rettet und damit auch, welchen Bruder er zum Tode verurteilt. Stanley setzt der Grausamkeit der Gegner eine eigene entgegen. Seine Hybris. Peripetie und Katharsis stehen ihm noch bevor.
Er hat sich so sehr in die Verantwortung hereingesteigert, dass sie zu einer Obsession geworden ist. Er arbeitet fanatisch, kommt deswegen tagelang nicht nach Hause zu seiner Frau Martha (Emma Watson,
The Life and Death of Peter Sellers,
Gosford Park), die er aufrichtig liebt, und der er sich vor allem anderen verpflichtet fühlt, weil er sie aus ihrem gewohnten britischen Leben gerissen und in diesen "godforsaken place", diese "fresh hell" namens Banyon, North Queensland geführt hat.
"It will be done," sagt er immer wieder,
"I will civilise this place." Die Szenen zwischen Martha und ihm sind geprägt von einer zuweilen britisch steifen, aber auch aufrichtigen Sanftheit. Beide bewegen sich umeinander wie auf Zehenspitzen, um sich gegenseitig zu schützen.
Je mehr sie versuchen, es wie zu Hause zu machen, desto mehr fällt auf, dass es das nicht ist.
Die höhergestellten Briten, die Stanleys und des Captains Vorgesetzter Fletcher (David Wenham,
Der Herr der Ringe – Die zwei Türme,
Der Herr der Ringe – Die Rückkehr des Königs), aber auch Jellon Lamb, reden sehr gewählt, als wollten sie immerzu unter Beweis stellen, wo die Zivilisation und wo die Wildnis zu finden ist. Für sie stehen die Zivilisation und damit ihre Werte, ihre Sitten, immer an der Front, immer unter Beschuss. Sie müssen angewandt werden, weil sie sonst nur zu leicht verschwinden. Hinter dem weißen Gartenzaun, den Martha Stanley um ihr Stück Land im Nirgendwo gezogen hat und in dessen Grenzen sie mit britischer Sturheit einen Garten hochzieht, wartet das Ödland nur darauf, sich ihren Flecken Erde wieder einzuverleiben. Eine kleine Unachtsamkeit, so meint man, und alles, was sie dem feindlichen Land Zentimeter für Zentimeter abgetrotzt hat, ist wieder verloren.
Der Western war in seinen guten Momenten immer auch ein Schlachtfeld für Moral, und das Drehbuch von Nick Cave scheut davor nicht zurück. Cave liebäugelte in seinen Songtexten schon immer mit einer archaisch-religiösen Moral, oder, wie er es ausdrückt "pussy, murder, and God".
Das Klammern an die Statussymbole einer bürgerlichen Existenz wie sie sie aus der Heimat kennen, die schon aus sich selbst heraus einen Schutzwall gegen die Barbarei bieten soll, erinnert hier in seiner Sinnlosigkeit an einen anderen Western, der ebenfalls allen Aspekten seines Genres und dessen Zeit klar und ohne zu blinzeln ins Auge sieht: In Clint Eastwoods
Erbarmungslos liegt Gene Hackman als protofaschistischer Sheriff schwer verletzt auf dem Boden, in Erwartung des Gnadenschusses von einem, der sich lange vor der Gewalt versteckt hat und sich nun doch resignierend geschlagen gibt. Hackman ist empört, er sagt:
"I was building a house. I don't deserve this." Sein Mörder antwortet mit einem Satz, der auch in dieses australische Fegefeuer passen würde:
"Deserve's got nothing to do with it."
Genau genommen ist nichts von dem, was sich die puritanischen Briten als ihre Tugenden anrechnen, nur ihnen vorbehalten: Die kultivierte Sprache beherrscht auch der irische "Dog Man" Arthur Burns, und neben Jellon Lamb ist er der einzige, der Poesie zu schätzen weiß – wo auch immer er diese Fähigkeit hernimmt.
Zu der Gewalt, die die Briten bei anderen verachten und verfolgen, sind sie selbst ebenfalls fähig. Das in anderen zu verfolgen, was man sich bei sich selbst nicht eingestehen will – Puritanismus. Ein Zeichen der Zeit, in Australien wie zur gleichen Zeit im Tausende Kilometer entfernten Amerika. Einer der wichtigsten Geburthelfer einer Nation, hier wie dort.
Wenn die Auspeitschung des hilflos winselnden, minderjährigen Mikey (Richard Wilson) im Dorf parallel zu dem Lied "Peggy Gordon", gesungen von einem der Banditen in den Bergen, montiert wird, geht es dem Film nicht darum, eine platte Schwarz-Weiß-Sicht zu konstruieren. Er versucht zu beobachten, wo bei den Mördern und Vergewaltigern auf dem Berg die Poesie, die Kunst herkommt, wo die Gewalt auf die Zivilisation trifft. Er schreitet die Grenze ab, und das Niemandsland dazwischen. Wo wird die Bereitschaft geweckt? Wo schlägt sie in die Tat um? Dass die Fähigkeit zur Grausamkeit und zur Schönheit in jedem schlummert, erkennt der Film jederzeit an. Wie Danny Hustons Vater John in Roman Polanskis
Chinatown sagte:
"... most people never have to face the fact that, at the right time and the right place, they're capable of... anything.”
Und genau dieser Zeit und diesem Ort nähert sich
The Proposition an.
Einhundert Peitschenhiebe sollen es sein für Mikey. So will es dasi Gesetz. Schon nach 37 davon hat Mikey zu schreien aufgehört, muss sein Blut aus der Peitsche in den staubigen Boden gewrungen werden. Die Zuschauer, brave Dorfbewohner, die vorher noch nach Blut gebrüllt haben, sehen nicht mehr hin und gehen, selbst der Folterknecht sieht keinen Sinn mehr. Martha, die durch ihr Einschreiten erst den Widerstand ihres Mannes gegen die Auspeitschung gebrochen hat, wird bewusstlos. Zur selben Zeit sagt Arthur Burns, sichtlich beseelt von dem Lied, das gerade verklungen ist, über den Sänger:
"He could shame a nightingale."
Am Ende, das den fatalistischen Ton des Films fulminant und konsequent zu einem Abschluss führt, wird die Idee dieser Parallelmontage variiert: Während ihr Mann im Nebenzimmer, off screen, aber hörbar, blutig geprügelt wird, zwingt der Sänger von "Peggy Gordon" Martha mit einer Revolvermündung an der Schläfe, eine Weihnachtskarte vorzulesen, in der ihr Mann ihr seine Liebe versichert und sie um Verzeihung bittet.
Gewalt spielt eine wichtige Rolle in diesem Film, keine Frage. Aber sie wird nicht fetischistisch benutzt, nicht inszeniert, nicht hervorgehoben. Sie ist ein Teil der Menschen, ein Teil des Landes sogar. Das zu unterschlagen, hieße zu lügen.
Manchmal passiert etwas nur, weil die Möglichkeit besteht, dass es passieren kann. Ein Deputy schießt sich selbst durch das Pistolenhalfter in den Fuß, als er einfach nur ohne jede Bedrohung Wache steht.
Diese lakonische, fatalistische Sicht auf Gewalt wird auch in der Figur des Arthur Burns deutlich. Er kann von Liebe, Toleranz, Demut und Familie reden, direkt bevor er seine Grausamkeiten begeht. Als würde es keinen Zusammenhang geben, fegt er die Hoffnung, dass er seinen klugen, sensiblen Worten auch entsprechende Taten folgen lässt, jedes Mal wieder weg. In einem von Danny Huston großartig ambivalent gespielten Moment fragt Arthur seinen Bruder Charlie:
"Why can't you ever just stop me?" In einem anderen solchen Augenblick begrüßt er seinen Bruder am Schauplatz eines Verbrechens mit den Worten
"Just in time.", und die Sehnsucht nach Erlösung aus diesem blutigen Spiel schwingt ganz fein mit, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Arthur Burns weiß genug, um die Beliebigkeit und Ausweglosigkeit zu erkennen. Und nun umarmt er sie so lange, wie er kann.
"I think a lot of people confuse violence: content gets muddled with intent", sagt Regisseur John Hillcoat zum Thema Gewalt.
Er und sein Drehbuchautor und Komponist Nick Cave kennen sich. Landsmänner, die schon seit Jahrzehnten immer wieder zusammenarbeiten. So schrieb Cave das Drehbuch für den von Hillcoat inszenierten Film
Ghosts…Of The Civil Dead und den Soundtrack für dessen
To Have And To Hold, Hillcoat führte Regie bei diversen Videos von Nick Cave & The Bad Seeds. Caves Musik für
The Proposition – wie auch die zum fast zeitgleich erschienenen
Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford in Kollaboration mit seinem Bandkollegen Warren Ellis entstanden - kommt mit wenigen, prägnanten Motiven und Variationen aus. Mal verführerisch simpler Folk, bei dem man jeden Handgriff auf den Instrumenten hört, völlig in die Zeit passend. Mal dissonante Töne, wie von einem verzerrten Didgeridoo, leiernd und bedrohlich. Zusammen mit den kongenial lakonisch beobachtenden, teilweise atemberaubenden Bildern des Kameramannes Benoît Delhomme (
Der Kaufmann von Venedig) ist Cave und Hillcoat ein großartig kompakter Film wie aus einem Guss gelungen, bei dem alle Elemente stimmig ineinander greifen. Ein Film, der innehält und nachdenkt, wenn seine Figuren das tun, und der ohne Rücksicht auf Verluste voranprescht, wenn die Figuren es verlangen.