Die Rekorde purzelten 1937 gleich haufenweise, als
Disneys Meisterwerk „
Schneewittchen und die sieben Zwerge“ zum ersten Mal über die Kinoleinwände flimmerte. Der erste animierte Langfilm in Farbe, darüber hinaus der erste seiner Art, der in Amerika produziert wurde, begeisterte völlig zu Recht die Massen und ließ mit der Verfilmung des weltberühmten Märchens buchstäblich ein weiteres wahr werden. Die beispiellose Entwicklung, die sich infolge des riesigen Erfolgs vor nunmehr 74 Jahren entwickelt und bisher zu derart vielen Meilensteinen, Kindheitserinnerungen und magischen Filmmomenten geführt hat, erwuchs nämlich einzig der Kraft der Fantasie. Der unnachahmliche Walt Disney hatte hiervon viel vorzuweisen, war er doch zeit seines Lebens Visionär und Geschichtenerzähler zugleich, gesegnet mit dem festen Willen, Unterhaltung einer- und Lehrreiches andererseits zu einem formschönen Gesamtpaket zu verschnüren. Dass der breite Fundus an Grimm’schen Märchen nicht nur einmal zur Erreichung dieses Ziels dienlich sein durfte, ist hierbei nur zu gut verständlich. Dass sich
Disney nun, knapp 7 ½ Jahrzehnte später, zum Jubiläum des 50. animierten Meisterwerks der gleichnamigen Erfolgsreihe passenderweise mit einem weiteren Märchen beschenkt, ist jedoch eher unter einem zwar nicht geplanten, aber überaus glücklichen Zufall zu verbuchen. Denn als die zeitaufwendige Prod
uktion von
„RAPUNZEL - NEU VERFÖHNT“ (
„Tangled“) ihren Anfang nahm, dachte noch keiner an künftige Feierlichkeiten. Bei einem Budget von geschätzten 260 Mio. U.S.-Dollar (nur „
Fluch der Karibik 3“ [2007] war bisher – nicht inflationsbereinigt – teurer) und dementsprechend hohen Erwartungen hat man verständlicherweise wohl auch zunächst ganz andere Sorgen.
Haarige Verwicklungen werfen ihre Schuppen voraus, als die böse Mutter Gothel die kleine Rapunzel aus ihrer Wiege entführt und das Baby in einem hohen Turm, versteckt von den Blicken der Menschen, großzieht. Nicht etwa Gutmütigkeit, sondern der Drang nach ewiger Jugend treibt die undurchsichtige Figur an. Das goldene Haar des entwendeten Kindes, das auf den Namen Rapunzel hört, besitzt nämlich Zauberkräfte, die jedem, der an ihm reibt, eben diesen Wunsch erfüllen. Doch zu welchem Preis? Ohne die Welt da draußen jemals wirklich gesehen zu haben, gefangen im Turm und in dem Glauben, Gothel sei ihre echte Mutter, fristet die nunmehr fast 18-Jährige ein trauriges Dasein mit den immergleichen Ritualen, die lediglich durch ihren heimlichen Spielkamerad, das putzige Chamäleon Pascal, etwas Abwechslung erfahren. Doch all das kann nicht über die Neugier, was wohl da draußen wartet, hinwegtäuschen. Unerwartete Hilfe klettert eines Tages mit dem hauptberuflichen Dieb Flynn Rider in ihr Leben, als Mutter Gothel zufälligerweise gerade außer Turmes ist. Einige schmerzhafte Hiebe mit der Bratpfanne später lässt sich der Draufgänger gezwungenermaßen auf den Deal ein, Rapunzel zum 18. Geburtstag den lange gehegten Traum zu erfüllen, die Welt außerhalb ihres Gefängnisses zumindest für ein paar Tage zu zeigen, während er im Gegenzug seine Beute wiedererhalten soll, zu deren Sicherung er eigentlich in den verlassen geglaubten Turm geklettert war. Einfacher Plan, schwierige Ausführung, denn die von Rapunzel geschickt weggelockte Mutter Gothel bekommt recht schnell Wind davon, dass ihr Jungbrunnen verbotenerweise umherwandert, und ist mit der Entwicklung der Gesamtsituation alles andere als zufrieden…
Die eingangs erwähnten Sorgen sollten sich kurz vor Kassensturz nicht bewahrheiten, denn
Disneys Jubiläums-Trickfilm marschiert derzeit noch äußerst energisch auf ein Gesamteinspiel von 500 Mio. U.S.-Dollar zu. Und doch stand der sonst so erfolgsverwöhnte Konzern während der Produktion unter gehörigem Zugzwang, da „
Küss den Frosch“, die überfällige Rückkehr zur klassischen 2D-Animation vor zwei Jahren, trotz überwiegend positiver Kritik und einem recht ordentlichen Ergebnis an den Kinokassen hinter den hochgesteckten Erwartungen zurückblieb, heute von
Disney selbst sogar als veritabler Flopp bezeichnet wird. Somit könnte man schnell dem Trugschluss verfallen, dass die Entscheidung, die Neuauflage von
„RAPUNZEL“ in modernem, computeranimiertem 3D zu präsentieren, aus purer Resignation erfolgte. Mitnichten. Zwar wurden die Zeichen der Zeit von den Verantwortlichen richtig gedeutet, doch gänzlich lossagen von klassischem Zeichentrick wollte man sich dann doch nicht. Des Rätsels Lösung: die Heranziehung einer aufwendigen Technik, die es erlaubt, dreidimensionalisierte Figuren nicht etwa CGI-steril, sondern vielmehr geschmeidig, wie von Hand gezeichnet, aussehen zu lassen. Spezielle Renderverfahren erschufen so nach vielen Rechenstunden die nahezu perfekte Symbiose zwischen althergebrachter Tradition und den technischen Neuerungen der Gegenwart.
Ein Aufwand, der sich bezahlt macht:
„RAPUNZEL“ sieht nicht nur aus wie ein
Disney-Film alter Schule, sondern fühlt sich auch so an, da trotz optischer Brillanz und 3D-„Bonus“ die Tugenden der Vergangenheit im Vordergrund stehen und mit viel Genuss zelebriert werden. Große Themen wie Liebe und Hoffnung, die schon häufig Pate für den Maus-Konzern gestanden haben, dürfen da ebenso wenig fehlen wie eine einfache, klassische Geschichte, und auch erfrischender Witz, der allerdings niemals an die Schärfe etwa eines jungen „
Shrek“ heranreicht, ist durch die sympathischen Hauptpersonen, vor allem aber die beiden drolligen Sidekicks Pascal und „Wach-Pferd“ Maximus, mehr als genügend vorhanden.
Wirklich bemerkenswert ist jedoch, dass – nach einem mehr oder minder erfolgreichen „Test“ im Vorgängerfilm – die Rückkehr zum Trick-Musical nunmehr besiegelte Sache zu sein scheint. Blieb etwa „
Atlantis“ [2001] noch eine völlig gesangsfreie Zone, darf hier abermals, wie zu guten alten Zeiten, nach Herzenslust geschmachtet und geswingt werden. Der achtfache Oscar-Gewinner
Alan Menken, der unter anderem schon „
Die Schöne und das Biest“ [1991] und „
Aladdin“ [1992] musikalisch versorgt hat, schrieb erneut einen gelungenen Soundtrack, der ins Ohr geht, sich nicht aufdrängt und überaus einprägsam bleibt. Für Letzteres muss sogar einmal ausdrücklich (!) die 3D-Technik gelobt werden. Denn wenn zum herzerweichenden Lied
I See the Light (oscarnominiert!) plötzlich ein Meer aus Hunderten schwebenden Laternen wortwörtlich vor unseren Augen tanzt, schafft dies einen jener Momente, die schlichtweg verzaubern und entfernt erahnen lassen, was es mit dem Begriff Kinomagie auf sich hat. Vereinzelter Kitsch hin oder her:
Disney-Freunde sollten – egal, ob in 2D oder 3D – mit
„RAPUNZEL“, dem momentan wohl modernsten
alten Animationsfilm unserer Zeit, voll und ganz auf ihre Kosten kommen. Ebenfalls fest steht, dass ein optisch wie inhaltlich vergleichbar schönes Jubiläumsgeschenk hiernach erst einmal schwierig zu finden sein dürfte.
Fazit: Überraschung! Zwar haben sich die Verantwortlichen nach der vermuteten 2D-Rückbesinnung vor zwei Jahren nun letztlich doch für dreidimensionale Digitalwelten entschieden. Nichtsdestotrotz ist
„RAPUNZEL - NEU VERFÖHNT“ klassische
Disney-Unterhaltung in Reinkultur, die nicht nur den Geist der alten Klassiker atmet, sondern zudem einige neue Akzente zu setzen weiß. Dass man etwa schon recht früh vergisst, einen computeranimierten 3D-Film zu sehen, spricht zum einen für die tricktechnische Brillanz, die beeindruckende Animationen präsentiert, welche derart geschmeidig wirken, dass man meinen könnte, sie wären handgezeichnet. Zum anderen wird nach „Küss den Frosch“ nun noch einmal eindrucksvoll bestätigt, dass der erfolgsverwöhnte
Disney-Konzern immer dann am besten ist, wenn er – von einigen technischen Neuerungen mal abgesehen – gar nicht erst versucht, sein Erfolgsrezept grundlegend umzuändern.