»Once upon a time there lived a lovely little princess named Snow White. Her vain and wicked stepmother the Queen feared that some day Snow White's beauty would surpass her own. So she dressed the little Princess in rags and forced her to work as a Scullery Maid. Each day the vain Queen consulted her Magic Mirror, âMirror, Mirror on the wall, who is the fairest one of all?â and as long as the Mirror answered, âYou are the fairest one of allâ, Snow White was safe from the Queen's cruel jealousy.«
Mit diesen Worten des Prologs leiteten die Walt Disney Productions ihren ersten Animationsfilm in SpielfilmlĂ€nge und damit die Ăra des Zeichentrickfilms ein, der in den letzten Jahren durch die unbegrenzten Möglichkeiten von Pixel & Co beinahe vollkommen ausgerottet wurde.
Die Story von âSchneewittchen und die sieben Zwergeâ hĂ€lt sich in den groben HandlungsstrĂ€ngen an die gleichnamige MĂ€rchenvorlage der BrĂŒder Grimm, vielleicht auch ein Grund, weshalb als Schauplatz Deutschland gewĂ€hlt wurde â auch wenn es dort weder Geier noch Krokodile gibt. Immerhin diente Schloss Neuschwanstein im AllgĂ€u als Vorlage fĂŒr den Sitz der bösen Königin.
An jenen Stellen, wo es filmdramaturgisch notwendig ist, wurden einige Ănderungen vorgenommen. Am markantesten fĂ€llt dabei auf, wie liebenswert stereotyp die Zwerge charakterisiert sind, von denen ein jeder ein bestimmtes Wesensmerkmal zugesprochen bekommt, das er voll und ganz verkörpert. Au
ch die Stiefmutter ist in der Walt Disney-Fassung noch einmal grausamer und bösartiger, ein richtig schöner Villain, vor dem sich zuweilen sogar die groĂen Kinder bzw. Kind-Gebliebenen gruseln dĂŒrfen. Die kĂŒnstlerischen EinflĂŒsse der Deutschen Romantik lassen âSchneewittchenâ immer wieder sehr dĂŒster und dualistischer als den Grimmschen Stoff ausfallen: der Zauberspiegel scheint ein Fenster zur Hölle zu sein, aus dem der Sklave, eine konturlose, unheimliche Maske vor dem Hintergrund lodernder Flammen, zur eitlen Herrscherin spricht, der Dungeon der Schurkin ist mit Skeletten, Ratten, Raben und allerlei Alchemistischen-Zauberutensilien dekoriert und die Metamorphose der relativ hĂŒbschen Magierin zur alten Hexe stellt eine der beeindruckendsten Sequenzen in der Geschichte des Trickfilms dar. Am schaurigsten ist wohl aber Schneewittchens Flucht vor dem JĂ€gersmann in den finsteren Wald, die sich wie ein Gang durchs Gruselkabinett gestaltet, indes der Einsatz der Multiplan-Kamera (mehrere Zeichenschichten sind dabei ĂŒbereinander gelegt; die vorderen Zeichnungen werden sodann beim Abfilmen schneller bewegt als die dahinter liegenden) den Animationen und Backgrounds noch mehr Tiefe und PlastizitĂ€t verleiht. Verbunden mit dem erstmaligen Einsatz des Rotoskopieverfahrens, d. h. mit dem Ăbermalen von realen Schauspielern, die fĂŒr die BewegungsablĂ€ufe der Figuren Modell standen, Kamerafahrten, Schwenks und Montagen, die in einem Spielfilm zu jener Zeit nie möglich gewesen wĂ€ren, gelingt es den Machern, ein hohes MaĂ an Realismus zu kreieren.
Ansonsten elementarisiert und romantisiert das Script den Stoff, indem es die drei MordanschlĂ€ge der Hexe auf ihre hĂŒbsche Stieftochter auf einen, nĂ€mlich den Trick mit dem vergifteten Apfel, reduziert, was der Adaption mehr Tempo verleiht, weil die fĂŒr VolksmĂ€rchen typische Verdreifachung bestimmter Handlungsweisen im Film nicht gut funktionieren wĂŒrde und zu langatmig wĂ€re. Das zeitlich sehr geraffte Ende hat den Charakter eines ausgewachsenen Melodrams, denn die viele Jahreszeiten wĂ€hrende Totenwache der Zwerge vor dem glĂ€sernen Sarg, in dem Schneewittchen in ihrem Todesschlaf aufgebahrt liegt, und die lange Suche des treuen Prinzen nach seiner Angebeteten haben etwas sehr BittersĂŒĂes an sich. Die Liebe spielt eben eine tragende Rolle: da Schneewittchen nicht durch das unerotische HervorwĂŒrgen des Apfelbissens, der ihr im Halse stecken geblieben ist, erwachen darf, sondern durch âder Liebe Ersten Kussâ, den ihr der Prinz, in welchen die Königstochter sich ohnehin bis ĂŒber beide Ohren verliebt hat und dem sie sogar einen ganzen Song widmet, zuteil werden lĂ€sst.
Diese Leidenschaft zum Knutschen ist den Protagonisten in Disneys MĂ€rchenfilmen nicht verloren gegangen. Denn seit Prince Charmings erstem Kuss wird das Publikum in jeder Adaption eines MĂ€rchens mit zumindest einer Schmuseszene (in âAladdinâ [1992] sind es sogar zwei, der MorgenlĂ€nder ist wohl besonders leidenschaftlich) belohnt, wĂ€hrend diese romantische Form des Speichelaustausches in âArielle, die Meerjungfrauâ (1989) ein wesentliches Element der Story einnimmt.
Schneewittchen, die mit ihrem pĂŒppchenhaften Aussehen der 1930er Jahre der Schauspielerin Janet Gaynor nachempfunden wurde, verkörpert trotz ihrer Dominanz und Bestimmtheit noch das Ideal des gottesfĂŒrchtigen Heimchens am Herd. Sie wirkt sehr naiv und in ihrer GutglĂ€ubigkeit oftmals dumm, wenn auch sie gerne mit den Zwergen flirtet, um diese zu manipulieren â sie stellt schnell klar, wer im Hause das Sagen hat â und dabei sichtlich Schadenfreude an den Tag legt. Dieses Frauenbild wird sich erst mit Prinzessin Aurora in âDornröschenâ (1959) radikal Ă€ndern, wĂ€hrend wir es in âArielle, die Meerjungfrauâ, âDie Schöne und das Biestâ (1991) sowie in âAladdinâ ohnehin nur mehr mit starken, sehr emanzipierten Vertretern des weiblichen Geschlechts zu tun haben.
Bemerkenswert ist zudem, welch untergeordnete Rolle der namenlose Prinz â auch er hat bewusste Ăhnlichkeiten mit dem zeitgenössischen Prominenten Douglas Fairbanks â spielt. AuĂer singen (âimmer nur singenâ), schmachten und Schneewittchen wach kĂŒssen, will er nicht viel tun, was ihn zu einer der schwĂ€chsten MĂ€nnerfiguren von Disneys ZeichentrickmĂ€rchen werden lĂ€sst. Die wahren Helden sind die Zwerge, die als rachsĂŒchtiger Lynchmob der Stiefmutter nachjagen und diese schlieĂlich in den Tod hetzen, eine Szene, die an David Wark Griffiths Spielfilm âIntoleranceâ (1916) angelehnt ist.
Ein Wesenmerkmal von âSchneewittchenâ ist die hĂ€ufige Unterbrechung des ErzĂ€hlflusses durch altbewĂ€hrte Cartoon- und Slapstickeinlagen mit minimalistischen Dialogen, wofĂŒr meist die liebenswert-tollpatschigen Zwerge herhalten mĂŒssen. Produzent Walt Disney, der weder als Drehbuchautor noch als Zeichner an der Herstellung beteiligt war, scheint hiermit die Zuseher ködern und bei Laune halten zu wollen. Bedenkt man, mit welch hohen finanziellen Risiken die 18-Monate andauernde Produktion des Ersten AbendfĂŒllenden Zeichentrickfilms verbunden war (nicht nur Hollywood, sondern auch Walts Geschwister hielten von dessen Idee, einen Animationsfilm in SpielfilmlĂ€nge zu schaffen, rein gar nichts; des Weiteren nahm Disney, der seit seiner ersten Begegnung mit der Stummfilmversion aus dem Jahr 1917 vom Stoff und Potential des MĂ€rchens geradezu besessen war, voller Enthusiasmus eine Hypothek auf sein Haus auf und bettelte bei verschiedenen Banken um Geld â bei den fĂŒr damalige VerhĂ€ltnisse immensen Produktionskosten von 1.500.000 US-Dollar musste er lange bitten), wird diese Anbiederung an alte Sehgewohnheiten verstĂ€ndlich. Das Publikum sollte eben ab und zu auch das GefĂŒhl haben, in einem Cartoon zu sitzen. Dies soll jetzt nicht negativ klingen, sondern lediglich eine retrospektive Feststellung sein. Die Klamauksequenzen, wie das Heimkommen der Zwerge, deren Waschtag oder âCharaktereâ wie die penible Maus und die immer zu spĂ€t kommende Schildkröte, werten den Streifen nĂ€mlich essentiell auf. WĂ€hrend diese Einlagen in âCinderellaâ (1950) bereits seltener vorkommen, fallen sie seit âDornröschenâ meist unter den Tisch.
Von den 25 Songs, die fĂŒr den Film komponiert wurden, fanden bloĂ acht Aufnahme in die Endfassung; diese klingen, abgesehen von den mangelnden aufnahmetechnischen Möglichkeiten, heute noch schwungvoll, zeitlos und verbinden Musik sowie kreative Bilder und EinfĂ€lle zu einem Ganzen. Die Lieder sind zudem fĂŒr die Story, die Charakterisierung der Protagonisten, die Cartooneinlagen und den Ablauf meist essentiell und lassen sich, bis auf Schneewittchens schmachtendes Liebes-TrĂ€llern âOne Day My Prince Will Comeâ, das etwas zu gedehnt und langatmig rĂŒberkommt, kaum wegdenken.
FAZIT
âSchneewittchen und die sieben Zwergeâ ist nicht nur als Meilenstein des Animationsfilms wenn nicht der gesamten Filmgeschichte ĂŒberhaupt (diese Meinung teile ich ĂŒbrigens mit dem russischen Regisseur Sergei Eisenstein, der âSchneewittchenâ als grandiosesten Film aller Zeiten rĂŒhmte) interessant, sondern unterhĂ€lt zudem, trotz einiger Sequenzen, in denen sich fĂŒr unseren heutigen Geschmack die Dramaturgie zu sehr verlangsamt, mit seiner melodramatisch-komischen Hollywood-Adaption des (Grimmschen) VolksmĂ€rchenstoffes Jung und Alt. Charakteristisch erscheint die Mischung aus Grusel, BrutalitĂ€t, Komik und Cartoon.
Das mehrköpfige Team der Drehbuchautoren nimmt den Titel des MĂ€rchens ernst und lĂ€sst den sieben Zwergen eine besondere Gewichtung zukommen, aber auch der Charakter der bösen Königin, welche einen prĂ€chtigen und noch dazu â zumindest vor ihrer Gestaltwandlung â hĂŒbschen Konterpart abgibt, und die Rolle der Waldbewohner werden ausgebaut. Die wenigen Sprechpassagen klingen an eine Ăra an, in der Zeichentrick lediglich in der Form von Kurzcartoons auf die Leinwand projiziert wurde.
Versucht man, âSchneewittchenâ im Kontext seiner Zeit zu betrachten, vermag man schnell das Begeisterungspotenzial, das die Kinogeher 1937 (darĂŒber hinaus auch die kritischen Gremlins, die ihn - "Heigh-Ho!" - lieben und voll drauf abfahren) so sehr mitgerissen hat, zu verspĂŒren und wird sich auch dann und wann ob der visuellen KreativitĂ€t eines Erfurcht erregenden Schauders nicht erwehren können.