~Lektionen in Sachen Liebe~Heute:Die Romantik
Kein Thema ist wohl schwieriger zu greifen als das weite Feld der Romantik. Zum einen steht sie nach wie vor für eine kulturgeschichtliche Epoche, die Ende des 18. Jahrhunderts ihren Anfang nahm und bis weit ins späte 19. Jahrhundert andauerte; zum anderen fand sie Einschlag in den heute geltenden, allgemeinen Sprachgebrauch, indem sie zusammen mit dem Adjektiv
romantisch nun vor allem eine Sache oder ein besonderes Ereignis beschreibt, die respektive das in der Lage ist, einen Menschen mit Liebe und Sehnsucht zu erfüllen. Freilich tun sich hier schon erste Schwierigkeiten auf, und ebenjene sollen Thema des nun folgenden Diskurses sein. Denn bekanntermaßen versteht sich jeder Mensch nun einmal als ein Individuum unter vielen Individuen, und als solches hat er begriffsnotwendig einen anderen Blickwinkel auf bestimmte Geschehnisse als beispielsweise sein Nachbar oder Partner. Was also, wenn man so fragen möchte, ist die eingangs erwähnte Romantik, wenn nicht die gedankliche Ausgestaltung einer rein persönlichen Betrachtung einzelner Aspekte? Wenn A es romantisch findet, dass der Lebenspartner am Wochenende murrend den Müll herunterbringt, bevor er sich in seinem besten Sonntags-Jogginganzug wieder auf die Couch fläzt, muss B dies dankenswerterweise freilich nicht so sehen.
Zugegeben entspricht dieses B
eispiel nicht gerade der Realität, und doch zeigt sich hierdurch mehr als deutlich die Krux, die mit einer allzu schnellen Verallgemeinerung einhergeht. Denn nur zu gerne wird uns dies und jenes bereits im Vorfeld als
romantisch verkauft, als traute man uns keine eigene Meinungsbildung vor. Dass Vorgekautes aber nur in den wenigsten Fällen für besondere Gaumenfreuden sorgt, sollte eigentlich jedem klar sein, der zufälligerweise mal Kleinkind war. Und doch geht die Filmindustrie immer wieder gerne diesen Schritt, wenn sie den neuesten Liebesfilm noch vor dem Kinostart dem eigentlich nicht existenten Genre der
romantischen Komödie zuordnet. Dem geneigten Zuschauer könnte während des Sehens ja eventuell das passende Adjektiv entfallen. So erlag auch der große
Norman Jewison, ein Meister seines Fachs mit einem eigentlich recht guten Gespür für
eine gute Geschichte ohne Mätzchen, der Versuchung und ließ es sich nicht nehmen, eine Liebeskomödie im altmodischen Stil zu inszenieren. An und für sich ein Unterfangen, mit dem man leben könnte, würden Fluch und Segen in diesem Fall nur nicht derart unromantisch dicht beieinander liegen…
Namen machen Leute – und können für gehörig Trubel sorgen. Dies muss auch Faith (Marisa Tomei, „
War Inc.“ [2008]) erkennen, die kurz davor steht, den Mann ihrer Träume zu ehelichen. Wobei dies nicht so ganz zutrifft: in jungen Jahren wurde Faith nämlich einst vom Hexenbrett der Name ihres zukünftigen Märchenprinzen mit „Damon Bradley“ betitelt, den eine Wahrsagerin auf dem Rummelplatz sogar noch bestätigte. Doch da Mr. Right bisher vierzehn Jahre auf sich warten ließ, hat sich die an Vorsehung und Schicksal Glaubende kurzerhand an den ehrgeizigen Orthopäden Dwayne (John Benjamin Hickey, „
Freedom Writers“ [2007]) rangemacht. Alles scheint in geregelten Bahnen zu verlaufen, bis kurz vor der Hochzeit unerwartet ein Freund Dwaynes anruft, um sich für sein zu erwartendes Fehlen bei der Hochzeit zu entschuldigen. Der Grund: eine dringende Geschäftsreise nach Venedig. Kurzerhand notiert Faith den Namen des Anrufers, nur um nach bereits erfolgtem Auflegen des Hörers zu realisieren, wer da gerade am anderen Ende der Leitung mit ihr telefoniert hat: Damon Bradley! Plötzlich ist längst Vergangenes wieder gegenwärtig, und Faith reist kurzerhand mit ihrer Schwägerin Kate (Bonnie Hunt, „Jumanji“ [1995]) nach Italien, um dem „Mann ihrer Träume“ endlich gegenüberzustehen. Ein wahrlich tollkühner Plan, der großen Erwartungen zunächst leider auch mindestens ebenso große Enttäuschungen zur Seite stellt. Doch als alle Hoffnung verloren scheint und Faith drauf und dran ist, ihren Träumen nicht mehr nachzujagen, taucht ein junger und überaus charmanter Mann (Robert Downey Jr., „
Iron Man 2“ [2010]) auf und bietet an zu helfen bei der Suche nach… ja, nach wem eigentlich? Schnell wird die Situation erklärt, die der Hilfsbereite mit vier folgenschweren Worten garniert: „
Ich bin Damon Bradley.“
Ist ein solches Verhalten romantisch? Sicher wird sich unter uns jemand finden, der dieser filmgewordenen Jagd nach dem ultimativen Liebesglück uneingeschränkt zustimmt. Die Liebe findet schließlich immer einen Weg, ob man will, oder nicht. Während dieser Grundsatz aber mit der gegenwärtigen Realität verwurzelt ist, gelten in der Welt des Films durchweg andere Regeln, die sich mitunter einfach nicht erklären lassen. Das Medium des Films beziehungsweise der Liebesfilm im Speziellen ist nämlich nicht mit realistischen Maßeinheiten bestimmbar, sondern stets eine Tür für uns, die wir lediglich aufstoßen müssen, um für zumindest eineinhalb Stunden kurz dem Alltag zu entfliehen. Eine Flucht vor unserem eigenen Sein, um genau zu sein. In dieser Hinsicht stellt
„NUR FÜR DICH – ONLY YOU“ fast schon einen verschwenderisch verzierten Torbogen dar, erzählt er doch von der einzig wahren Liebe, nicht abwendbarem Schicksal und unendlich vielen Schmetterlingen im Bauch. Gemessen an den Erwartungen, die der Zuschauer einer angeblich romantischen Komödie nun einmal zwangsläufig hat, tun sich jedoch erste Risse in dem (dem ersten Eindruck nach makellosen) Dekor auf.
So verschenkt Jewisons
Tour de Love etwa die Chance, ihre Schauspieler als liebenswürdige Charaktere zu etablieren, was für einen Liebesfilm, der sich nun einmal explizit dem (Gefühls-)Leben seiner Protagonisten widmet, keine allzu gute Voraussetzung darstellt. Die zauberhafte
Marisa Tomei zum Beispiel lässt die an Vorsehung glaubende Faith (
engl. für Glaube, Vertrauen) recht schnell eine nicht immer nachvollziehbare Wandlung von der zukünftigen Braut zur überquirligen, teilweise nervigen Person vollziehen. Dass dies im Rahmen eines Films über Liebe, Lust und Leidenschaft und somit auch deutlich neben der Spur zum Realismus vonstatten geht, ist zwar als logische Konsequenz des Genres anzusehen. Allerdings erstickt so auch jeder Anflug romantischer Anwallungen bereits im Vorfeld. Das ewige Hin und Her zwischen Rückkehr in das „normale“ Leben und Verweilen im selbsterträumten Wunderland (getarnt als das malerische Italien) strapaziert nämlich die Geduld der Zuschauer mehr als nur unerheblich, was der an sich guten Grundidee des Drehbuchs (gibt es so etwas wie Schicksal und Vorsehung?) schon nach kurzer Laufzeit den Wind aus den Segeln nimmt. Da kann ein blutjunger
Robert Downey Jr. noch so sympathisch aufspielen und seine Herzensdame umgarnen – er bleibt doch nicht mehr als ein überraschend lieblos entwickelter, mit Füßen getretener Charakter, dem man schon bald die völlige Abkehr von der wankelmütigen Faith wünscht. Ganz ehrlich: Romantik sieht wahrlich anders aus.
Hieraus resultiert der seltene und durchaus ungewöhnliche Umstand, dass die Nebenfiguren, allen voran
Bonnie Hunt, deutlich mehr Identifikationsfläche bieten, als es etwa die Hauptfiguren tun. Auch hier liegt es zwar fern, von Wirklichkeitsnähe zu sprechen; alles in allem sind die Handlungen aber im Großen und Ganzen nachvollzieh-, wenn auch (wenig überraschend) berechenbar. Was heißt dies nun im Ganzen für den Film? Er ist in jedem Fall solide inszeniert, wurde von Kameramann
Sven Nykvist („
Schlaflos in Seattle“ [1993]) in schönen Bildern eingefangen und wartet in musikalischer Hinsicht mit einem passenden Score aus der Feder von
Rachel Portman („
Das Haus am See“ [2006]) auf. Dass jedoch gerade die so schwer zu fassende Romantik das Zünglein an der Waage darstellt und
„NUR FÜR DICH – ONLY YOU“ fast das Genick bricht, ist, sofern dies im Rahmen einer mittelschweren Enttäuschung möglich erscheint, bemerkenswert. Der ein Jahr zuvor erschienene „
Real Love“ (auch mit Marisa Tomei) hat bewiesen, dass eine wirklich (!) romantische Erzählung wirklichkeitsgetreu auf Film gebannt werden kann, wenn nur das Feingefühl stimmt. Jewisons Film über Schicksal, Liebe, Hoffnung und den ganzen Rest ist im direkten Vergleich nur ein gut gemeinter Versuch, große Themen in einer einfachen, amüsanten Geschichte zu erzählen. Herausgekommen ist lediglich eine optisch ansprechende Liebeserklärung an das schöne Italien, die bei aller Bilderwucht vergisst, ihre Schauspieler richtig in Szene zu setzen.
Es bleibt demnach zweierlei festzuhalten: zum einen, dass Romantik nun einmal im Auge des jeweiligen Betrachters liegt und sich schlichtweg einer zu schnellen Pauschalisierung in Bezug auf Sehgewohnheiten entzieht; zum anderen sind große, ernste Themen wie Vorsehung und Schicksal nur
in den seltensten Fällen in simpel gestrickten und (angeblich) romantischen Liebeskomödchen gut aufgehoben. Da lohnt es sich vorliegend schon eher, einen Gedanken daran zu verschwenden, wie Filmküsse lieber
nicht aussehen sollten. Doch dieses Thema gehen wir vielleicht besser ein andermal ähnlich ausführlich an...