Ein häufig geäußertes Interesse von Besuchern diverser Filmfestivals besteht darin, etwas Neues für sich zu
entdecken - Zeuge eines außergewöhnlich guten (oder vielleicht auch einfach nur extrem kontroversen) Werkes zu werden, am besten noch weit bevor dieses auf dem Radar der breiten Zuschauer-Masse erscheint.
Und auch wenn der brutale, spanische Thriller „Secuestrados“ kurz vor seinem Schluß noch eine dramaturgische Unstimmigkeit aufweist, muss man diesen dennoch als wohl
die große Überraschung der diesjährigen
Fantasy Filmfest Nights bezeichnen.
Es wird wahrscheinlich kaum einen Besucher gegeben haben, welcher sich nicht durch die kompromisslose und rohe Gewalt von Miguel Ángel Vivas' zweitem Spielfilm förmlich in seinen Kinosessel gepresst gefühlt und den Saal anschließend mit völlig erschlagenem Gesichtsausdruck verlassen hat.
Wer hat auch schon vorher mit einem solchen Höllenritt gerechnet?!
Dabei – und das muss man ganz offen sagen – beruht die äußerst intensive Wirkung des Films nicht etwa auf einer besonders ausgetüftelten Geschichte, sondern der erbarmungslos frontalen Inszenierung, die bewusst auf den Einsatz vieler Schnitte verzichtet und das Publikum durch den (fast) Echtzeit-Ablauf wirklich hautnah in das beklemmende Geschehen katapultiert.
Eine unbekannte Person liegt mit hinter dem Rücken zusammengebundenen Handgelenken und einer über den Kopf gezogenen Plastiktüte auf dem Boden eines Parks. Sie versucht zu atmen, rafft sich auf die Beine und beginnt, panisch umherzuirren.
Irgendwann gerät sie auf eine Straße und wird von einem Auto erfasst.
Der Fahrer steigt aus, zerreißt die Tüte und gibt den Blick auf das völlig entsetzte Gesicht eines Mannes frei.
Ohne diesen vorher einen Blick auf mögliche Verletzungen werfen zu lassen, fleht der Mann den Fahrer an, für ihn eine Telefonnummer zu wählen.
Am anderen Ende der Leitung meldet sich die Stimme eines Jungen. Der Mann fleht ihn hastig an, niemanden ins Haus zu lassen – doch es ist bereits zu spät:
„Papa“, sagt der Junge,
„sie haben auf Mama geschossen!“
Mit dieser prägnanten Eröffnungsszene legt der Regisseur bereits den Ton seines knallharten Beitrags zum
Home Invasion-Thema fest und macht ohne Umschweife klar, dass man in den nächsten 90 Minuten keinesfalls Hollywood'sche Heldentaten oder einen plötzlichen Sinneswandel der Täter erwarten darf.
Anders als in „
Hostage“ gibt es in „Secuestrados“ keinen Bruce Willis und im Gegensatz zu David Finchers Schlaftablette „Panic Room“ handelt es sich hier um wirklich rücksichtslose Schwerverbrecher, die garantiert vor keiner Handlung zurückschrecken, um an ihr Ziel zu kommen.
„Du bist am Leben, weil du die Angelegenheit einfach machst. Mich kümmert dein Leben nicht - 'tot' oder 'lebend' ist nicht wichtig, sondern 'einfach' oder 'schwierig'“, erklärt der Kopf (Dritan Biba, „For The Good Of Others“) der drei Gewalttäter dem Familienvater Jaime (Fernando Cayo, „
Das Waisenhaus“).
Jaime hat gerade mit seiner Frau Marta (Ana Wagener, „Biutiful“) und ihrer gemeinsamen Tochter Isa (Manuela Vellés) eine neue Villa bezogen, als sie am ersten Abend von den maskierten Männern überfallen und brutal überwältigt werden.
Während zwei der Täter die beiden Frauen bewachen, zieht einer von ihnen nun mit Jaime in der Stadt umher, um möglichst viel Geld von den verschiedenen Bankkonten abzubuchen.
Eine Sache steht dabei definitiv fest: Versucht der Vater, den Helden zu spielen oder begeht einen anderen Fehler, wird sein Begleiter einen kurzen Anruf tätigen, der dessen Familie das Leben kosten wird…
Miguel Ángel Vivas gestaltet das Geschehen in seinem Film von Beginn an bewusst übersichtlich und schnörkellos.
Man weiss, worum es den Verbrechern geht und ist sich völlig im Klaren darüber, dass diese nicht einmal mit der Wimper zucken würden, ein Blutbad anzurichten, würde auch nur ein Teil des Plans schiefgehen oder ihnen das in irgendeiner Form einen Vorteil verschaffen.
Als eine der beklemmendsten Szenen in „Secuestrados“ entpuppt sich übrigens der Moment, in welchem einer der Täter sein Gesicht vor Jaime lüftet.
Zwar gibt dieser recht plausibel an, dass dies notwendig sei, damit die Beiden auf dem Weg zu den Bankautomaten nicht auffallen würden – dennoch versucht Jaime erfolglos, seinen Blick von ihm abzuwenden.
Ebenso wie der Familienvater, empfindet auch der Zuschauer im kühlen Antlitz des Mannes ein unangenehmes Gefühl von Unsicherheit.
Unsicherheit darüber, ob die Verbrecher die Familie nach Beendigung des „Jobs“ nun noch verschonen werden – Unsicherheit darüber, ob sie das überhaupt je vorgehabt haben…
Die Wirkung des Werkes hängt deshalb natürlich im Wesentlichen auch von der Frage ab, ob sich der Zuschauer überhaupt mit den Leidtragenden der Geschichte identifizieren kann und sich um deren Schicksal sorgt.
Zugegeben: Wie das in den meisten Filmen wohl der Fall ist, wird man sich vielleicht auch hier an der Logik hinter manchen Handlungen der Protagonisten stoßen.
Allerdings muss man dabei auch bedenken, dass sich die Betreffenden in absoluten Extremsituationen befinden und der psychische Terror selbstverständlich auch vernünftige Risiko-Abwägungen erschwert.
Man ahnt schließlich insgeheim, dass die Familie den nächsten Morgen wahrscheinlich nicht erleben wird, wenn sie sich nicht in irgendeiner Form aktiv zur Wehr setzt – was allerdings leichter gesagt als getan ist, da es sich bei einem der beiden „Hausbewacher“ obendrein um einen kokainschniefenden Psychopathen handelt, der langsam Gefallen an der Anwesenheit von zwei verängstigten Frauen findet…
„Secuestrados“, der es im Übrigen ausgezeichnet versteht, die
Split Screen-Technik endlich einmal wieder wirklich effektiv zu nutzen, ist mit Sicherheit keine einfache Unterhaltungskost für den netten Kinoabend. Diese Aussage sollten Zartbesaitete als echte Warnung verstehen!
Die Intensität, die Vivas vor allem gegen Ende heraufbeschwört, erinnert manchmal gar an das verstörende Finale von Tobe Hoopers „
Blutgericht in Texas“ – mit dem Unterschied, dass sich diese Geschichte hier realer und deshalb vielleicht sogar furchteinflößender als jedes Kettensägen-Massaker anfühlt.
Der Regisseur gibt übrigens in einem Interview an, dass die explizite Gewaltdarstellung auf Aussagen von echten Opfern ähnlicher Verbrechen basieren würde.
Wie bereits zu Anfang erwähnt, möchte der Rezensent trotz all der Lobpreisungen noch einen persönlichen Kritikpunkt loswerden:
Die letzte Szene passt nicht wirklich zum übrigen Ton des Films und wirkt recht bemüht - eben wie das Zugeständnis an ein bestimmtes Publikum.
Viele werden nun behaupten, es sei nur auf diese Weise ein konsequenter Abschluss der Geschichte. Der Schreiber dieser Zeilen sieht das allerdings anders…
Dennoch: Nach „
Buried - Lebend begraben“ liegt hier schon der nächste Genre-Volltreffer aus Spanien vor.