In einer Dachstube wird die nackte Leiche der 15-jährigen Silvia Polvesi gefunden - erhängt und mit deutlichen Anzeichen von vorherigem Geschlechtsverkehr. Schon bald wird klar, dass es sich nicht um einen Selbstmord handelt, und die Kommissare Valentini und Silvestri nehmen zusammen mit der zweiten Staatsanwältin Vittoria Stori die Ermittlungen auf. Sie stoßen auf ein wahres Wespennest, und schon bald finden sie mehr Leichen und betroffene Schulmädchen. Und ein Killer in schwarzer Motorradkluft und mit einem Fleischerbeil bedroht nicht nur das Leben der jungen Mädchen...
Das Kino der 70er Jahre in Italien war ja nicht nur von den eher künstlerischen Filmen eines Dario Argento oder den mindless fun movies eines Umberto Lenzi oder Sergio Martino geprägt, sondern führte auch die politische Tradition des italienischen Kinos fort. Daneben gab es natürlich auch die Sexkomödien jener Zeit, und auch das aufstrebende Mondokino wollte die Zuschauer gezielt schockieren. In dieser Zeit begann Regisseur Massimo Dallamano eine Schulmädchentrilogie, bestehend aus zwei Filmen von ihm und einem weiteren Werk eines anderen Regisseurs. Die deutsche Schulmädchen-Reihe versuchte die Eltern zu schockieren, indem man die Verdorbenheit der eigenen Töchter anprangerte - und mit den nackten Tatsachen Kasse machte, also eine verlogene Doppelmoral. Dallamanos "Der Tod trägt schwarzes Leder" kann als düstere Antithese zu den eher frivol-lustigen Schulmädchenfilmen gesehen
werden. Die Mädchen sind hier nicht lüstern und verdorben, sondern werden durch die lüsterne Erwachsenenwelt erst verdorben und in ihrer Kindheit zerstört.
Den Film in ein Genre einzuordnen fällt erneut nicht ganz leicht. Am ehesten kann man wohl sagen, dass man tatsächlich einen fast schon waschechten Kriminalfilm in den Händen hält, was ja für das italienische Kino der 70er Jahre doch eher ungewöhnlich ist. Doch Regisseur Massimo Dallamano verarbeitet natürlich noch viele weitere Einflüsse, nicht zuletzt natürlich den Giallo. Denn wenn der Killer mit dem Fleischerbeil umgeht, fühlt sich der Film tatsächlich wie ein klassischer Giallo an, auch weil seine Identität lange geheim bleibt. Kein Wunder, ist der Film doch Mittelteil der sogenannten Schulmädchentrilogie, drei lose zusammenhängende aber thematisch ähnliche Filme. Der erste Teil ist ebenfalls von Dallamano, der Giallo What have they done to Solange?, auch bekannt als der Edgar Wallace Krimi "Das Geheimnis der grünen Stecknadeln" mit Blacky Fuchsberger! Aber mehr dazu irgendwann an anderer Stelle hier. Der dritte Teil wäre dann Enigma Rosso aka
Orgie des Todes mit Fabio Testi, aber nicht von Dallamano. Der hier vorliegende Film erinnert neben den Giallo-Einflüssen auch irgendwie an Poliziesci, ohne jedoch in die eher plumpe Actionrichtung dieses Genres abzugleiten. Nicht nur aufgrund der Besetzung mit Claudio Cassinelli in der Hauptrolle fühlt sich der Film wie ein Bruder im Geiste des ungleich humorvolleren
Morte sospetta di una minorenne an.
Doch im Gegensatz zu Morte... ist Der Tod trägt schwarzes Leder absolut bierernst und sehr sehr düster. Humor besitzt der Film eigentlich keinen, nur ganz bitterer Zynismus wenn mal wieder die oberen Zehntausend in Verbrechen verwickelt werden und die aufrechten Polizisten daran zu zerbrechen drohen. Doch diese typischen Anklagen gegen Politiker und Vorgesetzte stehen deutlich im Hintergrund, Dallamano beschränkt sich größtenteils auf seine Kriminalgeschichte um einen Callgirlring aus minderjährigen Schülerinnen, die sich älteren Herren hingeben. War in dem Giallo-"Vorgänger" noch das einzelne Mädchen Solange das Opfer (What have they done to Solange?), weitet Dallamano das Thema hier aus, was auch der englische Titel im Gegensatz zu dem deutschen besser reflektiert (What have they done to our daughters?). Die DVD ist auch ab 18 freigegeben, als ich den Film noch nicht kannte, ging ich davon aus, dass hier einfach das Geld gefehlt hat, eine Neuprüfung durchführen zu lassen. Aber holla die Waldfee, der Film ist wirklich hart und die Freigabe ab 18 geht wohl größtenteils in Ordnung. Nicht nur dass Mario Adorf über die gynäkologische Untersuchung der Leiche zu Beginn referiert, wir werden darüberhinaus auch noch Zeuge von mehreren Tonbandaufnahmen, auf denen geile Männer die Mädchen nicht gerade sanft behandeln. Und würde das nicht schon reichen, langt der Film manchmal wirklich blutig hin, vor allem dann, wenn der Killer zuschlägt. Hier gibt es recht kurze aber durchaus knackige Gewaltspitzen, und der Höhepunkt davon dürfte wohl die sehr detaillierte und zerstückelte Leiche eines Opfers sein. Harter Tobak!
"Der Tod trägt schwarzes Leder" ist also ein sehr brutaler, ernster und düsterer Kriminalfilm, und damit eigentlich von der Stimmung her das krasse Gegenteil zum thematisch und besetzungsmäßig ähnlichem
Morte sospetta di una minorenne. Dafür ist der Film aber wirklich auch verdammt spannend und fesselnd, was nicht zuletzt an der hervorragenden Inszenierung liegt. Massimo Dallamano hat ja einige Perlen abgeliefert, aber was er hier mit seinem tollen Ensemble (die Mädchen fallen hier etwas aus der Reihe, wobei sie manchmal auch eher komisch synchronisiert sind) und - man kann es nicht genug betonen - dem absolut, absolut großartigen Soundtrack auf die Beine gestellt hat, sucht im Genre fast schon seines gleichen. Der Soundtrack stammt nicht von Ennio Morricone, sondern diesmal von Stelvio Ciprani, braucht sich aber hinter den Werken des großen Meisters nicht zu verstecken. Grob unterteilen kann man ihn in das Schulmädchenthema und das Polizeithema, und gerade letzteres ist absolut phänomenal. Auch die Kamera von Francesco Delli Colli sorgt für tolle Perspektiven, und die Schauspieler sind absolut sehenswert. Mario Adorf erlebt einen toll gespielten Zusammenbruch, auch wenn er ein bisschen mehr Screentime haben sollte, da er nach dem Beginn des Films erstmal abtaucht. Dafür bekommen wir eine superb inszenierte Szene, als Claudio Cassinelli und Giovanna Ralli sich das Tonband anhören. Dabei passiert eigentlich nicht viel, aber es ist einfach hervorragend gespielt.
In der B-Note gibt es trotz der versammelten Großartigkeit ein paar Abzüge, die aber nicht unbedingt ins Gewicht fallen. Da das handwerklich alles prima gelöst ist, schauspielerisch mehr im grünen Bereich (außer bei ein paar Mädchen, aber das hab ich oben schon erwähnt und würde ich evtl. auch an der Synchronisation des Films festmachen), gibt es ein paar wenige technische Patzer und Drehbuchholprer. Da läuft einmal ein Projektor weiter, obwohl er offensichtlich nur ein Standbild zeigt, oder ein anderes Mal wird es auf einmal überraschend schnell wieder Tag. Beim Drehbuch wird ab und zu die Ermittlung etwas schnell voran getrieben, was doch ein paar offene Fragen lässt. Da verhört die Polizei Leute, von denen sie in der unmittelbar vorhergehenden Szene weder Name noch Adresse kannte, aber das sind wie gesagt Kleinigkeiten, die zwar etwas stören, aber auch einfach die komplizierte und vielleicht eher langweilige Ermittlungsarbeit der Polizei dem Zuschauer ersparen.
Die Hauptrolle spielt natürlich der viel zu jung verstorbene Claudio Cassinelli, den man ja auch aus Morte... kennt. Sein Partner ist Mario Adorf, der in den 70ern wirklich in großartigen italienischen Filmen spielte, natürlich nicht zuletzt in Dario Argentos
The Bird with the crystal plumage. Die sehr hübsche Staatsanwältin wird von Giovanna Ralli dargestellt, die in Enzo G. Castellaris Cold eyes of fear zu sehen war, auch heute noch im Geschäft ist und immerhin 83 Einträge in ihrer Filmographie verzeichnet. Die Tochter von Mario Adorf, Patrizia Valentini wird von Roberta Paladini gespielt, die bei Asia Argentos Scarlet Diva Dubbing Director war. Silvia, das tote Mädchen am Anfang wird von Sherry Buchanan gespielt, die unter anderem in La settima Donna und
Zombies unter Kannibalen zu sehen war. Wenn mir jemand ihr Geburtsjahr nennen kann, wäre ich sehr dankbar dafür.
Auf DVD gibt es den Film natürlich aus dem Hause Koch Media. Wie sollte es anders sein bekommt man ein tolles Bild, guten Ton (auf deutsch, englisch und italienisch), wenige Extras, eine interessante Verpackung und ein gutes sowie recht informatives Booklet. Die DVD bekommt natürlich eine Empfehlung. Ungewohnt ist die Rückseite, die das Querformat nutzt, so dass man die Hülle erst um 90° drehen muss. Dafür ist das Koch-typisch wieder ein Schuber mit einem ausklappbaren Papptray.
Fazit: Trotz Abzüge in der B-Note kann "Der Tod trägt schwarzes Leder" als toll gespieltes und knisternd spannendes Kriminalkino überzeugen. Andere Regisseure wie Andrea Bianchi hätten hier auf reichlich Sleaze gesetzt, doch Dallamano verlässt sich auf das Können seines Casts und seiner Crew und liefert uns eine echte kleine Perle ab. Anschauen!