Inspektor Germi trifft in einem Tanzlokal auf eine junge Prostituierte, die scheinbar Hilfe braucht. Wenig später liegt die Gute tot in ihrer Wohnung, ermordet mit einem Kehlenschnitt. Germi nimmt die Ermittlungen auf, und zusammen mit dem Taschendieb Giannino jagt er wenig zimperlich den Killer mit der verspiegelten Sonnenbrille. Doch die Rechnung hat er ohne die Hintermänner gemacht, denn schon bald finden sich Germi und Giannino mit Mädchenhandel, Kindsentführung und Korruption konfrontiert. Germi muss mal wieder das Gesetz selbst in die Hand nehmen, um an die reichen und angesehenen Hintermänner zu kommen...
Wie bereits in der Besprechung von "Die Viper" angekündigt, werde ich in dieser Kritik den Begriff des "Poliziesco" erläutern. Als Poliziesci bezeichnet man die italienischen Polizeifilme der 70er Jahre. Sie stellen die Weiterentwicklung des Italo-Westerns dar, nur dass der einsame Held das Pferd gegen das Auto getauscht hat, doch immer noch steht er allein für Recht und Gesetz ein, geht dabei jedoch mit den seinen Gegnern wenig zimperlich um. Poliziesci sind wie Italo-Western häufig eher menschenfeindlich und depressiv, so dass hier auch die finstersten Themen einer modernen Gesellschaft angesprochen werden, im vorliegenden Film eben Sachen wie Kindsentführung und Mädchenhandel. Die Ursprünge des Genres kann man ganz gut erläutern, auch wenn ich noch keinen "Urfilm" dieses Genres gefunden habe, auch wenn ab und zu "La Polizia Ringrazia" ge
nannt wird. Mitte der 60er bis Ende der 70er Jahre war Italien innenpolitisch sehr zerrüttet. Nach dem wirtschaftlichen Aufschwung Ende der 60er Jahre kam es zu einer Rezession, wodurch die Arbeitslosigkeit stieg und vor allem in den Städten mehr Kriminalität vorherrschte. Unter Feuer stand der Staat auch von Links, denn die Terrorgruppe der Roten Brigaden verübten über 1000 Anschläge mit 150 Toten, und als Höhepunkt ermordeten sie den ehemaligen Ministerpräsidenten Aldo Moro 1978. Unter all diesen Eindrücken wünschte sich die Bevölkerung wieder Recht und Gesetz, und zumindest im Kino geschah dies durch die knallharten Polizisten in Form von Maurizio Merli, Mario Adorf, Claudio Cassinelli und vielen anderen.
Trotzdem liegt mit "Morte Sospetta di una Minorenne" (engl. Suspected Death of a Minor) kein waschechter Poliziesco vor. Die Besonderheit des Films ist sicherlich, dass er viele damals populäre Genres vereint und so einen schönen Überblick über die Mechanismen und Macharten der einzelnen Richtungen gibt. "Morte..." ist sowohl Italo-Komödie, als auch Giallo und Poliziesco - alles in einem Film! Die Giallo-Elemente werden natürlich in den Sequenzen sichtbar, in denen sich der Killer mit der Sonnenbrille ein neues Opfer sucht. Das ist dann auch Giallokunst in Reinkultur, inkl. dem ahnungslosen Opfer in der Wohnung, der subjektiven Kamera aus Sicht des Täters, und der Gewaltspitze die am Ende der Sequenz steht. Hier zeigen sich rein optisch auch Verwandtschaften mit dem prima Giallo "Der Killer von Wien", den ebenfalls Sergio Martino gedreht hat. Die Poliziesco-Elemente werden gegen Ende deutlich wichtiger als die Giallo-Anteile, die fast gänzlich wegfallen. Es gibt zwar weniger Schiessereien als im gewöhnlichen Lenzi-Film, aber auch hier sind die oberen 10.000 die wahren Übeltäter und Inspektor Germi muss gegen den Willen seiner Vorgesetzten Handeln. Natürlich sind hier die wichtigen Elemente vorhanden, Autoverfolgungsjagden gehen Hand in Hand mit Prügeleien, Feuergefechten und kritischen Dialogen.
Den großen Unterschied zu anderen Poliziesci macht aber der Humor des Films aus. Wo andere Filme höchstens grimmigem Zynismus frönen, ergeht sich "Morte..." in offensichtlichen Spaßeinlagen. Zu Beginn noch eher subtil, wird stellenweise auch einfach platter Slapstick zelebriert als ob es keinen Morgen gäbe. Herausheben möchte ich hier die Autoverfolgungsjagd, wenn Germi mit seinem Kumpanen vor der Polizei flüchtet. Mehrere Zivilisten werden auf fantasievolle Weise ins Geschehen mit einbezogen, so gibt es einen Fahrradfahrer der sein Vorderrad verliert und daher eine kleine Einradeinlage zeigen muss (dass das technisch unmöglich ist, sollte klar sein ;), oder aber der alte zeitungslesende Mann, der dann mitten auf der Straße einen Breakdance auf den Asphalt legt. Aber es gibt auch subtileren Humor im Film. Germi hat immer wieder Pech mit seiner Brille, und auch die Polizei interessiert sich mehr für Totospiele als wirklich für die Ermittlungen. Sicherlich ist "Morte..." keine wirkliche Komödie, dafür ist er zu brutal und düster, aber er unterhält mit diese humoristischen Einschüben einfach ungemein. Überhaupt ist der Film handwerklich ganz hervorragend gemacht, ich halte Sergio Martino sowieso für einen der besten italienischen Handwerker. Die Autoszene ist rasant gefilmt und geschnitten, die Giallo-Szenen spannend und auch sonst ist die Umsetzung wirklich toll.
Daneben ist der Film wirklich vollgestopft mit tatsächlich großartigen Einfällen. Germi und der Killer liefern sich eine Verfolgung bis auf das Dach eines Open-Air Kinos, dass dann auch aufgeht, so dass die beiden am Abgrund über dem Saal stehen. Am skurrilsten ist aber sicherlich die Szene auf dem Rummelplatz. Germi trifft auf einen weiteren Verdächtigen und ist hinter ihm her. Aber nicht etwa laufenderweise, sondern auf der Achterbahn! Und man klettert nicht etwa wie in amerikanischen Filmen auf dem Gerüst herum, sondern die beiden sitzen je in einem Wagen, fahren also hintereinander her und schiessen dabei. Köstlich! Und selten hat man auch eine Autoverfolgung gesehen, in dem das eigene Auto als Waffe benutzt wird, indem man es zerlegt und die Einzelteile auf die Verfolger wirft - und das in voller Fahrt! Diese Szene wurde übrigens laut Sergio Martino ohne jegliche Sicherung gedreht, heutzutage sicherlich undenkbar.
Sergio Martino zeigt dann auch, wo er sein Handwerk gelernt hat und verbeugt sich vor so manchem Film - manche würden es auch als Kopie bezeichnen. So wird mehrere Male der hier besprochene "Deep Red" zitiert, auch der großartige Soundtrack erinnert natürlich nicht umsonst an die Musik von GOBLIN, welche ja viele Argento Filme vertont haben. Überhaupt ist Sergio Martino wie gesagt eine absolut unterschätzte Person. Er hat in vielen Genres gewildert, aber seine Filme wissen fast immer zu unterhalten und sind meistens auch kompetent gemacht. Gerade seine Gialli wie "Der Killer von Wien" und "Der Schwanz des Skorpions" sind hochgradig toll, und immerhin hat er den vielleicht am prominentesten besetzten Kannibalenfilm gedreht: "Die weiße Göttin der Kannibalen", mit Stacy Keach und Ursula Andress!
Die Hauptrolle wird von Claudio Cassinelli gespielt. Er ist angemessen sympathisch, aber auch ausreichend gerissen für die Rolle. Daneben überzeugt er auch in schauspielerisch "anspruchsvolleren" Szenen. Er spielte unter anderem in dem brillanten "Der Tod trägt schwarzes Leder" und in vielen anderen Filmen von Sergio Martino. Bei den Dreharbeiten zu Martinos "Paco - Kampfmaschine des Todes" starb Cassinelli leider viel zu jung im Alter 47 bei einem Hubschrauberunglück. Mel Ferrer ist hier als Bösewicht zu sehen und ihn kennt man aus "Lebendig gefressen" oder "Großangriff der Zombies" von Umberto Lenzi, den Kollege Genzel hier besprochen hat. Er passt gut in die Rolle des älteren, reichen Hintermannes. Als kleine Querverbindung zu Argentos Filmographie spielen in "Morte..." noch Franca Scagnetti und Barbara Magnolfi mit, die beide auch in "Suspiria" zu sehen waren.
Der Film existierte weltweit wohl überhaupt nicht auf Video oder DVD, bis ihn die kleine österreichische Firma Sazuma herausbrachte. Sazuma ist ein österreichischer Mailordershop, der in Wien ein klitzekleines Ladengeschäft hat (man übersieht das wirklich fast, bin da beim ersten Mal voll dran vorbei gelaufen). 2005 wagte Sazuma einen großen Schritt und stellte eine DVD zu Karim Hussains "Subconscious Cruelty" her, die von Fans frenetisch aufgenommen wurde. Im April 06 folgte die Ankündigung, dass Sazuma eine Reihen namens Italian Genre Cinema Collection ins Leben rufen werde, und "Morte..." den ersten Film darstellt. Ziel war es, seltene bis unveröffentlichte Filme in möglichst guter Qualität in die Heimkinowelt zu bringen. Dass das ganze nicht ganz billig ist, ist ja logisch, so kostete "Morte..." bei Erscheinen 25€ wenn ich mich richtig erinnere. Die DVD befindet sich als Digipack in einem Schuber mit tollem Covermotiv. Dazu gibt es ein kleines Booklet vom verehrten Kollegen und Halbgott Christian Keßler. Zusammen mit Robert Zion hat er auch wieder einen Kommentar zu dem Film eingesprochen. Daneben gibt es einen Trailer, eine Bildergallerie, ein Vorwort des Regisseurs und eine Featurette. Der Ton liegt nur auf Italienisch vor, da der Film nie synchronisiert wurde, aber es gibt hervorragende deutsche Untertitel. Eine super DVD! Aber zurück zu Sazuma. Im März 07 folgte dann die zweite DVD der Reihe, "La settima Donna". Wieder eine schöne DVD, diesmal aber mit 30€ noch teurer, da der Soundtrack als CD beiliegt. Und dann? Ja, nichts. Seitdem gibt es nix neues mehr, angeblich wird "Cannibal Ferox" Nr. 3 der Reihe, aber dieser Film liegt ja schon in etlichen Fassungen vor, aber man hört auch nichts offizielles mehr. Viele Leute sehen die Reihe nach zwei tollen DVDs schon als Tod an, was sehr schade wäre. Also, geneigter Leser, investiere doch bitte die 44€ in den Doppelpack bei sazuma.com und lass und gemeinsam auf weitere Ausgaben hoffen :)
Fazit: "Morte Sospetta di una Minorenne" ist ein unglaublich unterhaltsamer Genremix, der das Beste aus Giallo, Poliziesco und Komödie in sich vereint. So mancher Kritiker kommt mit diesem Wust aus Richtungen nicht klar, aber viel mehr Kritiker fanden das super. Wer alle Genres mal antesten will, dem sei diese DVD sehr ans Herz gelegt. Großartiger Film auf einer unterstützenswerten DVD! Einen Stern Abzug gibt es wegen der Vergleichsmöglichkeit mit anderen Filmen. Ich hätte auch sechs Sterne geben können, aber dann wäre er nicht von "großem Kino" wie Deep Red ausreichend abgegrenzt. Prima Film!