„Computer – define ‚dancing’.“
Wenn es um Animationsfilme geht, kommt man heutzutage nicht mehr um den Namen
Pixar herum. Die mittlerweile unter Disney praktizierende Animationsschmiede, die uns Meilensteine wie „
Die Unglaublichen“ [2004] oder „
Ratatouille“ [2007] bescherte, schafft es immer wieder, die Messlatte für künftige Produktionen noch ein Stückchen höher zu legen. Doch wie sollte man die letztjährige, warmherzige, Oscar-prämierte und (fast) tadellos inszenierte Geschichte um die Feinschmeckerratte Rémy noch steigern können? Oder expliziter: mit
wem?
Klare Antwort: mit dem wohl bisher niedlichsten, sympathischsten und menschlichsten Charakter, der jemals den digitalen Möglichkeiten eines Computers entsprungen ist. Er ist klein, bewegt sich rollend vorwärts und erinnert dabei frappierend an eine Mischung aus einem, der gerne mal nach Hause telefonieren möchte, und Nr. 5. Und wahrscheinlich soll er das auch sein, der putzige Roboter Wall·E (Waste Allocation Load Lifter Earth-Class).
Tagein, tagaus verbringt dieser kleine Blech-Kamerad seit nunmehr 700 Jahren schon seinen Alltag damit, die zugemüllte Erde um das Jahr 2800 vom Dreck zu befreien, indem er ihn sammelt und zu kleinen Würfeln presst, welche er anschließend akribisch genau
zu imposanten Wolkenkratzer-Türmen stapelt. Wall·E ist das letzte Überbleibsel der ins All geflohenen Menschheit, die – inzwischen zu einer Ansammlung von dickleibigen Individuen verkommen – ihr Leben nun fernab der „verbrauchten“ Erde auf einem riesigen, monströsen Vergnügungsraumschiff fristet, bis irgendwann, in naher Zukunft, ihr Heimatplanet wieder bewohnbar ist. Der von ihnen ausgesandte Aufräum-Roboter arbeitet hart daran, seiner Bestimmung gerecht zu werden und entwickelte – unmerklich – im Laufe der Jahrhunderte eine echte Persönlichkeit, die ihm nicht nur Neugier, sondern auch ein gesundes Maß an Lernbegierigkeit geschenkt hat. Einzig eine Kakerlake namens Hal leistet ihm auf der verlassenen Erde Gesellschaft, wenn sich der kleine Roboter abends in seine kleine, mit liebevoll gesammeltem Kleinkram gefüllte Behausung zurückzieht. Sonst ist keiner da, mit dem Wall·E seine Zeit verbringen könnte – bis eines Tages der weibliche Druid EVE (Extra-terrestrial Vegetation Evaluator) zur Erde gesandt wird, um zu überprüfen, ob dieselbe wieder besiedelt werden kann. Der Kreis des Lebens scheint durch eine kleine Pflanze wieder reaktiviert werden zu können, die der Druid bei Wall·E findet. Letzterer verliebt sich dummerweise gerade dann unsterblich in den weiblichen Roboter, als dieser wieder abgeholt wird, um zum Raumschiff zurückzukehren. Kurzerhand folgt Wall·E seiner Angebeteten nach und rollt damit unversehens in das Abenteuer seines Lebens.
Andrew Stanton, der uns vor einigen Jahren auf die Suche nach Nemo schickte, ging sicherlich ein Wagnis ein, als er sich dazu entschloss, einen (fast) stummen Roboter zum Helden eines abendfüllenden Filmes zu machen. Bereits im Vorfeld wurden – ohne das Endprodukt überhaupt gesehen zu haben – Stimmen laut, die den ersten Flopp in der Schaffensgeschichte der sonst so erfolgsverwöhnten Animationsschmiede prognostizierten. Doch diese verstummten plötzlich, als angehäufte Zweifel einer durchschlagenden Gewissheit Platz machten: sie alle hatten Unrecht! Die liebevoll konzipierte Geschichte von der ersten Liebe, die selbst vor Robotern, denen man solche Gefühle eigentlich gar nicht zutraut, nicht Halt macht, zählt zu dem Originellsten und Schönsten, was das Animationsgenre in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Fern ab von jeglicher übertriebener Cartoon-Gewalt präsentiert
„WALL·E“ dem Zuschauer in der ersten Erzählhälfte eine wahrhaft ruhige Welt, in der Worte buchstäblich wenig wert und es vielmehr (innere) Werte und Taten sind, die ein Individuum (sei es nun menschlich oder nicht!) ausmachen. So lernen wir unseren kleinen mechanischen Freund gleich zu Beginn als etwas tollpatschigen, nichtsdestotrotz seine geglaubte Bestimmung überaus ernst nehmenden Kameraden kennen, der abends nach getaner Arbeit Ausschnitte des Filmmusicals „Hello, Dolly!“ [1969] auf einem alten Videoband betrachtet. Immer mehr gerät er in den Bann dieses Werkes und seiner Musik, wobei es ihm vor allem der Song
Put On Your Sunday Clothes angetan hat, den er mittels seines internen Diktiergerätes auch während seiner Arbeit hören kann.
Doch der piepsende Kleine ist – abgesehen von Kakerlake Hal – allein auf einer Welt, die uns
Pixar in optisch opulenter Form präsentiert. Wenn
Put On Your Sunday Clothes gespenstisch durch verlassene Häuserschluchten hallt, während niemand mehr da ist, der es vernehmen oder sich dazu äußern kann, wird man sich plötzlich einer Tatsache gewahr: Von heute auf morgen kann zwar alles verstummen, und doch lebt die Sprache in Form der Bilder weiter. Sie sind es, die mehr sagen, als es tausend Worte je könnten. Und wir, die wir in einem Zeitalter der Bilderwelten leben, bekommen mit einem Mal mittels für einen Disney-Film erschreckend drastischen Ansichten vor Augen gehalten, dass wir mitunter wahrnehmen, ohne richtig, sprich:
wirklich zu sehen. Bis es dann irgendwann zu spät ist. Ist es daher ein Wunder, dass die Menschen im Film als solche dargestellt werden, die den Blick für das Wesentliche schon längst verloren haben und dick-behäbig in den Tag hineinleben? Es schlägt hier zweifellos ein klein wenig gesellschaftskritische Satire in der zweiten Hälfte des Films durch, zahm und kindgerecht präsentiert, die jedoch hinter den allzu offensichtlichen Anspielungen auf Genre-Klassiker wie zum Beispiel „
2001: Odyssee im Weltraum“ [1968] (HAL) und „
Star Wars“ [1977] etwas untergeht. Wirklich ins Gewicht fällt dies jedoch nicht, ist
„WALL·E“ trotz seines unwiderstehlichen Charmes und des drolligen Hauptroboters doch schon sowieso zuweilen überraschend düster geraten. Gut, dass neben der Bilderwucht die hervorragende Soundkulisse und die öfters vorkommenden Geräusche, die Wall·E und Konsorten von sich geben, das Geschehen immer wieder aufheitern. Kein Geringerer als der geniale
Ben Burtt, welcher schon R2-D2 und Lichtschwertern das „Sprechen“ beibrachte, zeichnet hierfür verantwortlich.
Was lässt sich schließlich wohl noch zu diesem Animationsmeisterwerk sagen, das vom Wiederentdecken des Lebens berichtet, eine anrührende, dabei aber niemals verkitschte Liebesgeschichte erzählt und einen kleinen rollenden Blechkasten mit umso größeren Gefühlen zum Retter der Erde befördert?
Wahrscheinlich all das und noch eine ganze Menge mehr. Doch manchmal sollte man es einfach den Bildern überlassen, Sprache zu geben.