Ridley Scotts revisionistisches Monumental-Epos
Königreich der Himmel stieß bei seinem Kinostart 2005 auf gemischte Rezeption von Seiten der Öffentlichkeit. Dürften der Missmut über die Besetzung Balian von Ibelins mit Orlando Bloom (
Der Herr der Ringe: Die Gefährten, Troja) höchstens Ausdruck einer institutionalisierten Antipathie gegenüber dem ehemaligen Theaterschauspieler und Fluch der Karibik-Star sein und der moralische Aufschrei der Weltpresse, Amerika rüste zum alljährlichen filmischen Kreuzzug gegen den Orient nur wenig überraschen, so waren dem Epos vor allem auch erzählerische Versäumnisse bescheinigt worden. Nicht ganz unbegründet. Denn die ursprünglichen 138 Minuten der Kinofassung boten für die Fülle an Charakteren, die bis in die Nebenrollen mit hochklassigen Namen besetzt wurden, nicht annähernd genug Screen-Time. Darüber hinaus hielt Scotts Kreuzritter-Epos in seiner hastigen Erzählweise kaum einen Ansatzpunkt bereit, um sich als Zuschauer im Jerusalem des zwölften Jahrhunderts zurechtzufinden. Was blieb war ein fragmentarisches, wenn auch bildgewaltiges Schlachtengemälde mit einigen ruhigeren Untertönen, dessen moralische Implikationen kaum plausibel integriert waren. Und so visuell beeindruckend die kriegerischen Auseinandersetzungen, so schillernd-authentisch die Kostümierung und so durchgehend hochklassig die Besetzung auch war, blieb doch beim V
erlassen des Kinos der Eindruck eines unfertigen Filmes bestehen. Hoffen konnte man dennoch, denn Scott hatte bereits früh einen Director’s Cut seines Werkes angekündigt, nachdem er sich mit der Kinofassung und der Schnittpolitik des Studios ausdrücklich unzufrieden zeigte. Im September 2006 erschien dann die versprochene Langfassung und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass diese aus Königreich der Himmel ein völlig neues Filmerlebnis macht.
Wir schreiben das Jahr 1184. Europa liegt brach in winterlicher Kälte - das Mittelalter hat seine Hochzeit längst überschritten. Nach dem gescheiterten zweiten Kreuzzug geraten die Kreuzfahrerstaaten immer mehr in Bedrängnis, während der neue Sultan Saladin mit einem riesigen Heer in Richtung Palästina zieht um Jerusalem zurückzuerobern. Von all dem möchte Dorfschmied Balian nichts wissen. Vom Selbstmord seiner Frau in tiefe Trauer gestürzt geht er seiner Arbeit nach, als er unvermittelt Besuch von einem Trupp Kreuzritter bekommt. Deren Anführer Godfrey von Ibelin (gewohnt charismatisch: Liam Neeson;
Batman Begins, Schindlers Liste) stellt sich Balian kurzerhand als sein Vater vor und äußert den Wunsch, sein unehelicher Sohn möge ihm mit nach Jerusalem folgen. Doch der perspektivlose Schmied lehnt ab. Erst als der Dorfpriester ihm unter die Nase reibt, seine verstorbene Frau würde für ihre Sünde in der Hölle schmoren und Balian an dessen Hals das Kreuz entdeckt, das einst seiner Frau gehört hatte, ändert sich die Situation grundlegend. Balian tötet den Priester, steckt die Schmiede in Brand und flieht aus dem Dorf, wo er alsbald zu Godfreys Rittern hinzustößt. Nach einem ereignisreichen Marsch zum Mittelmeer, auf dem Godfrey für Balian sein Leben lässt, und einer dramatischen Überfahrt erreicht Balian schließlich schiffbrüchig das Heilige Land. Dort findet er sich dann auch prompt in den Händen eines Sarazenen wieder. Unterdessen rückt Saladin immer weiter auf Akkon und Jerusalem vor…
Dass man im Zeitalter postmoderner Erzählkonventionen der dramaturgisch aufbereiteten Darstellung eines historischen Stoffes keine unbedingte Authentizität zuschreiben kann und sollte, ist eine Selbstverständlichkeit. Dennoch erfolgte dann auch prompt der Abgleich mit den geschichtlichen Fakten von Seiten der Historiker, was auch
Königreich der Himmel schließlich den Vorwurf einbrachte, es handle sich bei Scotts Werk um – wie soll es anders sein – Geschichtsverfälschung. Um eine ganz besonders brisante auch deshalb, da man eine Aufbereitung des historischen Konfliktes zwischen Ost und West vor dem Hintergrund des weltweiten Terrorismus und den Erfahrungen von 9/11 eigentlich nur falsch angehen kann. Infolge dieser medialen Dynamik traten dann auch allerhand Interessensgruppen auf den Plan, die den Film ins Kreuzfeuer der Kritik nahmen. Dabei macht der britische Regisseur um seinen revisionistischen Blick keinen Hehl - zu selbstbewusst modelliert er die historische Figur des Balian von Ibelin nach eigenen Maßstäben um. So nutzt er den sich ihm gebotenen interpretativen Spielraum dann auch geschickt aus, um mit dem Schmied eine Figur zu installieren, die ritterliche Ideale auf der Suche nach Vergebung in einen Krieg trägt, der kaum Platz mehr für diese Art von Idealismus lässt. Auch deshalb ist Königreich der Himmel als eine offensichtliche Analogie auf die damalige weltpolitische Lage zu lesen. Orlando Bloom verkörpert dann auch eher das Relikt des klassischen Helden, der es bei Scott einer Reihe von glücklichen und unglücklichen Verkettungen zu verdanken hat, sich zum Kriegsherrn aufschwingen und schließlich mit Saladin einen instabilen Waffenstillstand aushandeln zu können.
Dies beginnt mit der Begegnung zwischen Balian und Godfrey, setzt sich über das mehr als glückliche Überleben des Schiffbruchs und die schicksalhafte Begegnung mit dem Sarazenen fort und gipfelt schließlich in einer Kriegsrede, die im Angesicht der sicheren Niederlage eher die Hoffnungslosigkeit der Figur, als weniger deren Wandel hin zum klassisch-heroischen Subjekt widerspiegelt. Vor diesem Hintergrund wirkt dann übrigens auch Blooms viel kritisierter schauspielerischer Minimalismus nicht deplatziert, mimt er doch – intendiert oder nicht – den überforderten Mann reinen Herzens, der auf der Suche nach einem Neuanfang in die Mühlen des Krieges gerät und gnadenlos mitgerissen wird. Dabei sind in Scotts Entwurf die politischen Kräftefelder den Figuren zu allen Zeiten überlegen – Gewinner gibt es keine. Selbst der pragmatische Versuch des desillusionierten Marschalls Tiberias (großartig: Jeremy Irons), ein friedliches Gleichgewicht zwischen den Kräften im Heiligen Land zu halten, ist zum Scheitern verurteilt. So zerbricht das klassische Kabinett an Schergen, edlen Rittern, bedächtigen Diplomaten und zum Tode verdammten Königen schließlich an den Wogen des Krieges und es ist ein klares Statement Scotts und seines Drehbuchautoren Monahan, wenn sie den glimpflichen Ausgang des Geschehens in die Hand einer kontroversen Figur legen – übrigens hier wieder historischen Fakten folgend.
Visuell erweist sich
Königreich der Himmel als wahres Feuerwerk. Das verschneite Frankreich fangen Scott und Kameramann Mathieson in tristen Farben ein, während das Heilige Land in schmeichelnden Gelb-Orange-Tönen das Auge des Zuschauers verwöhnt. Und wüsste man nicht, dass auch bei der monumentalen Kulisse Jerusalems und des Tempelbergs massig CGI-Effekte am Werk sind, man würde wohl bereits während dem Genusses gedanklich den nächsten Urlaub in der Stadt Gottes planen. In den Schlachtsequenzen hingegen stürzen sich Scott und sein Kamerateam dann direkt ins martialische Getümmel und erzeugen eine unmittelbare Schonungslosigkeit, die der Regisseur bereits in Black Hawk Down ausgiebig als stilistisches Mittel eingesetzt hatte und die auch in Königreich der Himmel seine Wirkung nicht verfehlt: Romantisiert wird hier nichts, was das Epos auch an der kriegerischen Front wohltuend von anderen Schlachtengemälden abhebt. Höchstens der nächtliche Hagel aus Brandpfeilen bei der mehrtägigen Belagerung Jerusalems lässt so etwas wie schaurig schöne Stimmung aufkommen. An der durchgehend famosen Optik des Streifens ändert auch der Director’s Cut nicht viel: Der Zuschauer darf nun aber ganze 46 Minuten mehr im visuellen Reigen schwelgen und wird eventuell noch etwas schwieriger wieder ins heimische Wohnzimmer zurückfinden.
Ihre wahre Stärke spielt die erweiterte Fassung dann, wie bereits angedeutet, vor allem auf dramaturgischer Ebene aus, indem sie den Charakteren spürbar mehr Platz zum Atmen lässt. Bereits die Eingangsszenen im Dorf verweilen ausgiebig bei ihren Figuren. Insbesondere die Figur des Priesters wird wesentlich deutlicher ausgearbeitet, was Balians Motivation in ein völlig neues Licht rückt. In Jerusalem dürfen wir dem Baron von Ibelin bei der Kultivierung seines ererbten Landes über die Schulter schauen, bei der er seinen Untergebenen tatkräftig unter die Arme greift. So ist dann auch sein Wandel vom einfachen Schmied zum technisch versierten Kriegsherrn nicht mehr ganz aus der Luft gegriffen, schließlich ist bereits das Bestellen eines Ackers in einem Wüstengebiet eine Wissenschaft für sich, die geschickte Hände wenn nicht erfordert, so aber doch hervorbringt. Den größten Mehrwert gewinnt der Film aber durch die Integration des Erzählstranges rund um Sybilla, der Schwester des Königs von Jerusalem und Frau von Balians Gegenspieler Guy de Luisignan. In der Kinofassung durch die Schnittschere zur bloßen Affäre Balians degradiert, gewinnt sie in der Langfassung deutlich an Tiefe, erfährt man doch mehr über ihre Motive zur Heirat Luisignans und versteht, was die Faszination der beiden Liebenden füreinander ausmacht. Und selbst ohne dieses Prisma an neuen Nuancen: Alleine der Name Eva Green (The Dreamers,
Casino Royale) sollte ein Leuchten auf die Gesichter aller (männlichen) Zuschauer zaubern. Die charismatische Französin besitzt einfach eine Leinwandpräsenz, die nicht vieler Worte bedarf.
Man kann nur spekulieren: Hätte die damalige Voreingenommenheit der amerikanischen Presse gegenüber der Ost-West-Thematik, die sich leider auch auf die Besucherzahlen im Kino ausgewirkt hatte, die Veröffentlichung von
Königreich der Himmel nicht begleitet und hätte das Studio Scotts Monumental-Film nicht zum Fast-Food-Epos beschnitten – wer weiß, welchen Status der Film heute innehätte. Denn Scotts Ausflug ins Heilige Land ist in seiner erweiterten Fassung noch einen Deut stringenter und faszinierender als das Sandalenfilm-Revival Gladiator, auch wenn mit Orlando Bloom natürlich kein charismatisches Aushängeschild vom Schlage eines Russell Crowe die Riege der Schauspieler anführt. Dafür ist Königreich der Himmel bis in die letzte Rolle hochklassig besetzt und eröffnet einen erfrischend klischeefreien, wenn auch selbstbewusst kulturell präformierten Blick auf einen der blutigsten Religionskriege der Geschichte und seine politische Dynamik. Eine Dynamik, die dafür sorgt, dass auch heute noch Menschen an vorderster Front für etwas kämpfen, das sich nicht mehr in der Semantik einer integrierten völkischen Einheit denken lässt und schließlich nur noch einzelne Motive kennt. Königreich der Himmel ist deshalb mehr als historisch motivierte Fiktion, nämlich ein subtiles aber kluges politisches Statement, das aber in seiner ursprünglichen Fassung am Publikum abgeprallt ist. Es bleibt daher nur zu hoffen, dass Scotts monumentales Werk mit der Zeit auch zum filmischen Monument wird. Mit dem rundum perfekten Director’s Cut ist ein erster Schritt in diese Richtung getan.