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1 Mord für 2
Ein Film von Kenneth Branagh
Kenneth Branagh („ Harry Potter und die Kammer des Schreckens“ [2002]) ist in der Vergangenheit vor allem durch seine zahlreichen guten Shakespeare-Verfilmungen (siehe etwa „ Verlorene Liebesmüh'“ [2000]) in aller Munde gewesen. Doch nicht immer bleibt ein Meister in seinem Element.
Der Film „Sleuth“ aus dem Jahre 1972 wurde von Kritik und Publikum gleichermaßen begeistert aufgenommen, war es doch im Grunde ein Stück, das um eine ganz einfache Idee kreist. Jude Law, gerade auf der Suche nach neuen Filmprojekten, wurde 2003 von Mitproduzent Simon Halfon auf den Ur-Film aufmerksam gemacht. Obschon die erste Verfilmung so, wie sie inszeniert wurde, brillant war und noch bis heute ist, böte er genug Anlauffläche für eine modernisierte Fassung, Platz für etwas gänzlich Neues. In diesem Zusammenhang fiel dann auch der Name von Harold Pinter, eines sehr berühmten Regisseurs und Theaterautors, der von vielen gar als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Dramatiker des 20. Jahrhundert gehandelt wird. Wie würde dieser wohl reagieren, wenn ein Jungproduzent namens Jude Law völlig naiv auf ihn zutritt und darum bittet, das Stück von Anthony Shaffer umzuschreiben?
Law erhoffte sich nichts, als er den heutigen Literatur-No belpreisträger Harold Pinter, dessen Ruf ihm auch heute noch meilenweit vorauseilt, zu einem unverbindlichen Essen einlud, um ihm die in ihm keimende Idee zu unterbreiten. Überraschenderweise war Pinter sofort Feuer und Flamme und sagte direkt zu, das Drehbuch zu der Neuverfilmung zu schreiben, da die dem Stück zu Grunde liegende Geschichte genau das sei, was er (Pinter) seit 40 Jahren mache. Bewaffnet mit einem ersten Drehbuchentwurf trat Jude Law einige Zeit später an Sir Michael Caine heran, der bereits 1972 eine Rolle in „Sleuth“ bekleidet hatte, und bot ihm an, auch jetzt, 35 Jahre später, eine Rolle in der Neuverfilmung zu übernehmen. Caine war sofort fasziniert von der Idee, entschied sich aber dieses Mal berechtigterweise für die ältere Spielperson, Andrew Wyke, welche damals noch von Laurence Olivier verkörpert wurde, und überließ den Part des jungen, attraktiven Milo Tindle – Caines 1972er-Rolle – dem Mitproduzenten Jude Law selbst. Als dann auch noch Kenneth Branagh als Regisseur an Bord kam, konnte nach vier Jahren Vorbereitungszeit endlich mit den Dreharbeiten begonnen werden.
Das Stück von Anthony Shaffer und auch die Neuverfilmung beginnt damit, dass der Millionär und Thrillerautor Andrew Wyke (Michael Caine) den jungen, attraktiven und erfolglosen Schauspieler Milo Tindle in seiner imposant-modernen Designervilla empfängt. Schon bald liegen die Karten auf dem Tisch. Tindle hat Wyke die Frau ausgespannt und verlangt nun von dem alten Herrn, dass dieser in die Scheidung einwilligt. Doch der Bestsellerautor scheint auf den Moment des ersten Zusammentreffens nur gewartet zu haben. Der Mann, der sich zeit seines Lebens dem perfekten Verbrechen verschrieben hat, plant, seine Vorstellung jetzt und hier in die Tat umzusetzen. Als Motiv muss Wykes betrügerische Ehefrau herhalten, und als Ort könnte es gar keinen besseren als das abgeschiedene Anwesen des Millionärs geben.
So lässt Wyke also zunächst die Forderung Tindles komplett außen vor und unterbreitet seinerseits einen Vorschlag, indem er gewissermaßen Spielregeln aufstellt. Milo, der Mann mit dem so exotisch klingenden Namen, soll die eine Million Pfund teuren Juwelen stehlen, die in einem Safe im oberen Stockwerk des modernen Anwesens lagern, selbige verpfänden und von dem Geld Maggie (Wykes Ehefrau) auch weiterhin ihren mondänen Lebensstil finanzieren. Der alte Mann, der seine betrügerische Ehefrau sowieso aufgrund einer Geliebten „loswerden“ wollte, würde seinerseits die Versicherungssumme kassieren und könnte glücklich und sorgenlos zusammen mit seiner Liebschaft leben, ohne befürchten zu müssen, dass Maggie irgendwann wieder auf der Matte steht, weil sie die Vorzüge ihres alten Lebens wiederhaben möchte.
Milo willigt, da er mittellos ist, in diesen Deal ein, wenngleich ihm etwas Bauchschmerzen bereitet. Und als ob er es geahnt hätte, erweist sich der Einsatz weitaus höher als vormals angenommen, denn Andrew Wyke entwickelt plötzlich, angetrieben vom Gedanken an das perfekte Verbrechen, todernste Ambitionen. Gut für Milo, dass er gut schauspielern kann, denn schon kurz nach Beginn des „Spiels“ ist gar nicht mehr sonderlich klar, wer letztlich als Sieger aus dem Ring steigen wird. Und so scheint der eigentliche Grund des Streits, der Grund für das Zusammentreffen, auch fast vergessen, als sich die gesteigerte Kampfeslust beider Protagonisten zu einem regelrecht extremen Psychoduell entwickelt, bei dem faire Mittel schon lange nicht mehr an der Tagesordnung stehen.
Während die Möglichkeiten auf der Bühne eher eingeschränkt sind, bietet der Film als Medium viel mehr Möglichkeiten, das Gewünschte in optischer Finesse darzustellen. Jeder andere Regisseur wäre wohl auch ausschweifend tätig geworden und hätte damit gerade das zunichte gemacht, was das Bühnenstück von Anthony Shaffer auszeichnete: räumliche Begrenzung und dadurch entstehende Kammerspiel-Atmosphäre. Kenneth Branagh – selber ein leidenschaftlicher Mann der Bühne – sollte sich deshalb als wahrer Glücksgriff erweisen. Aufgrund des eng gesteckten Zeitrahmens für die Herstellung des Films sah sich der Regisseur gezwungen, die Energie des Films durch die Geschwindigkeit, mit der gedreht werden musste, hervorzuholen und die Geschichte weniger durch optischen Firlefanz denn vielmehr die schauspielerische Leistung der Charaktere zu erzählen.
Gleichwohl konnte auch unterstützender Nutzen aus den begrenzten Möglichkeiten des Studiodrehs gezogen werden, indem die moderne Ausstattung des Wyke-Hauses – die imposante LED-Beleuchtung – die gerade dargestellten Gefühle unterstreicht. Wie auf einer Bühne. Bei einem Ausbruch von Eifersucht – einem der vielen Charakterzüge Wykes – herrscht die Farbe Grün vor, während bei Rachegelüsten alles in ein unangenehmes Rot getaucht wird. „Eine höllische Don-Giovanni-Welt“ wurde diese Vorgehensweise von Branagh genannt, und treffender kann man es fast nicht mehr ausdrücken. Das Haus spielt sich gewissermaßen zur dritten Person dieses Zwei-Personen-Stücks auf, als dritter immer anwesender Protagonist, der alles umgibt, alles im Auge hat (man denke an die ausufernde Videoüberwachung im ganzen Haus), und entwickelt so mit der atmosphärischen Farbuntermalung in jeder Szene ein regelrechtes Eigenleben. Was draußen geschieht, ist egal. Hier, im Wyke-Landsitz, entsteht während der in 85 Minuten stringent erzählten Geschichte eine eigene Welt voller Überraschungen, guter oder böser. Hier schließt sich gewissermaßen der Kreis zur Bühnenvorlage, denn selten zuvor fühlte man sich bei einem Film derart daran erinnert, gerade jetzt im Theater sitzend Zeuge eines inszenierten Alptraums zu werden, nur um sich nachher gewahr zu werden, dass es doch „nur“ ein Theaterstück auf der großen Leinwand eines Kinos war.
Viel mehr sollte man auch gar nicht wissen, wenn man sich „1 MORD FÜR 2“ ansieht, denn jedes „Mehr“ würde den Genuss trüben. Der Film, dieser filmgewordene Kampf der Egos, bei dem fraglich ist, ob es überhaupt einen Sieger geben kann, wird getragen von zwei gnadenlos gut agierenden Hauptdarstellern (Michael Caine ist gewohnt souverän, und Jude Law liefert die vielleicht beste Leistung seiner jungen Schauspielerlaufbahn ab) und von Kenneth Branagh und seinem Kameramann Haris Zambarloukos mit solcher Kraft auf die Leinwand transportiert, dass man nach Verklingen des letzten Tons des minimalistisch-genialen Soundtracks aus der Feder von Patrick Doyle nicht umhinkommt, den imaginären Hut für diese ausnahmslos tolle Leistung zu ziehen. Dieser Film ist definitiv weit mehr als „nur“ ein Remake; er ist trotz derselben Grundidee ein eigener, individueller Film geworden. Mal spannend, mal überraschend lustig, aber immer mitreißend, kurzum: Kino, wie es sein sollte!
Chapeau!
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Daten zum Film
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1 Mord für 2 USA 2007
(Sleuth) Regie
Kenneth Branagh Drehbuch Harold Pinter, basierend auf dem Bühnenstück von Anthony Shaffer
Produktion Kenneth Branagh, Simon Halfon, Ben Jackson, Jude Law, Simon Moseley, Marion Pilowsky, Tom Sternberg Kamera Haris Zambarloukos
Darsteller Michael Caine, Jude Law Länge ca. 85 Minuten FSK ab 12 Jahren
http://www.sonyclassics.com/sleuth/ Filmmusik Patrick Doyle Kenneth Branaghs Thriller markiert die bereits zweite Verfilmung des Bühnenstücks "Sleuth" nach 1972 (unter der Regie von Joseph L. Mankiewicz). Damals wie heute dabei: Michael Caine |
Kommentare zu dieser Kritik
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NicerArt sagte am 20.03.2010 um 08:04 Uhr
Diese Rezension hat mir zusätzlich zu meiner eigenen Perzeption viele neue Ansätze gezeigt, die ich nicht wußte, da ich mich auch nicht mit diesem Film beschäftigt habe. Mir erscheint wichtig, die Dramaturgie der psychologischen Dynamik genauer zu sezieren. Es ist ein Kammerspiel, aber anders als im Theater werden durch die unterschiedlichen Kamerapositionen und -einstellungen, die Schnitte und die Beleuchtung sehr viel dichtere Wahrnehmungsebenen gezeigt, allein die Close Ups der Gesichtslandschaften sind grandios, auch wie der Blick am Anfang in schwarz/weiß von außen nach innen wandert und dann im hypermodernen Interieur des Hauses in kühles, beklemmendes Graublau getaucht wird. Und schon da werden die Machtpositionen eindeutig verteilt, Michael Caine, der wie immer grandios ist, offenbart durch Mimik und Rhetorik, wer hier die Macht hat. Er ist ein zynischer Kontrollfreak, ein Despot in den kalten Betonmauern seines Refugiums, wo alles überwacht wird, wo alles von ihm mit kleinsten Handbewegungen beherrscht wird. Aber hinter dieser Fassade des allmächtigen, intellektuellen Charakters verbirgt sich Angst und Weltverachtung. Sein Metier, Kriminalromane zu schreiben, hat sein gesamtes privates Leben transformiert, er ist eine Zombie seiner Phantasie, seiner Romane geworden. Macht und Besitz scheinen sein alles dominierender Antrieb zu sein. Am Anfang tauschen sie im Smalltalk ihre Meinung über ihre Autos aus, da wird einem schon klar, wie wichtig Statussymbole für den Schriftsteller sind.
Und er geht von Anfang an in die Offensive, entwickelt im Gespräch seine Dramaturgie des Geschehens, um den jüngeren Rivalen zum eigentlichen Kern seines Vorhabens zu treiben. Es ist wie ein Tennisspiel, Caine hat Aufschlag und drängt seinen Kontrahenten gnadenlos in die Defensive. Jedes Spiel des Satzes gewinnt er, am Anfang nur knapp, aber in der weiteren Entwicklung immer souveräner. Mit der Vollendung der Demütigung hat er den ersten Satz 6:0 gewonnen. Die Dramaturgie der Dialoge ist tatsächlich wie bei einem Tennismatch, schnell, druckvoll und durch dem notwendigen Killerinstinkt beider geprägt.
Es scheint, dass der Gegner Law aufgegeben hat, aber dieser kehrt mit unglaublicher Verve zurück und bedient sich der Mittel seines Gegners, er kopiert ihn fast und beginnt das "tödliche" Spiel zu seinen Gunsten umzudrehen. Jude Law spielt sicherlich die beste Rolle seiner Laufbahn, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob die Schmierenkomödie der Polizistenrolle bewusst so gedreht und angelegt wurde, oder ob es eine Schlampigkeit der Inszenierung ist. Deshalb kann man sich auch nicht sicher sein, ob Caine ihn nicht schon von Anfang an durchschaut. (die bewusst sich wiederholende Kameraeinstellung auf den blauen Fleck auf Laws Handoberfläche scheint mir ein Hinweis zu sein) Law gewinnt die Oberhand und metztelt seinen Gegner regelrecht nieder, das kann er aber nur Dank seiner physischen Überlegenheit und durch den Besitz der Waffe erreichen.
Sehr stark ist die psychologische Wandlung Caines in der Defensive zu beurteilen, er scheint das Spiel schon verloren zu haben, aber er dreht die Handlung noch einmal, indem er wiederum den Gegner zu korrumpieren versucht, ihn mit der Aussicht auf Macht und Geld besticht und so aus seiner fast aussichtslosen Lage allmählich wieder herauskommt. Law scheint siegessicher und tappt in die Falle, wie Caine seiner Eitelkeit schmeichelt, seiner Unberechenbarkeit Nahrung gibt, seinen Leichtsinn fördert und seine Überheblichkeit aufs Glatteis führt. Das Objekt der Begierde, Maggie taucht überhaupt nicht auf, aber sie ist immer präsent, sie das eigentliche Opfer der beiden, ist letztendlich die eigentliche Siegreiche. Am Ende erschießt Caine zwar den Gegner Law, bemerkt aber gebrochen, dass er selbst verloren ist und verloren hat.
Im Prinzip geht es um die permanente Versuchung durch Macht und Besitz, um die niemals abzuleugnende Korrumpierbarkeit eines jeden Menschen, um die Leere der Besitzenden, um Eitelkeit und Selbstüberschätzung und um die tödliche Macht der Sprache, die gnadenlos eingesetzt, jeden vernichten kann.
Man könnte sehr viel mehr aus den einzelnen Szenen herausinterpretieren, allein Innen- und Außenwelt, biedere viktorianische Fassade und kalter Hochsicherheitsrakt, das Licht und die Farben, die Skulpturen und Möbel, Körperhaltung und Rhetorik - aber letztendlich muss sich jeder Zuschauer fragen wie viel Caine und wie viel Law in jedem steckt und wie viel Frauenverachtung und Instrumentalisierung anderer.
Wolfgang Neisser
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Stefan R. TEAM sagte am 24.03.2010 um 21:30 Uhr
Herzlichen Dank von meiner Seite für den überaus interessanten und ausführlichen Kommentar, der mir - wie Ihnen anscheinend meine Rezension - im Nachhinein ebenfalls neue Aspekte dieses Films eröffnet hat! |
NicerArt sagte am 25.03.2010 um 08:58 Uhr
Nun ist ja sehr viel über diesen Film gesagt worden und ich bin der Meinung, dass er ein wichtiger Beitrag zur Filmgeschichte ist, auch weil Brannagh und Pinter gewissermaßen ein Co-Produktion eingegangen sind. Caine ist unbestreitbar gut, aber bei Law bin ich mir nicht sicher, da kann ich mir einige andere Gesichter vorstellen, auch wenn ich viele der momentan hochgejubelten Jungdarsteller als noch unausgereift betrachte, was ja zunächst nicht als schlechte Kritik zu bewerten ist, aber ich sah gestern "Johnny got his gun mit Timothy Bottoms, der 1971 sein Debüt gab und dann auch noch in "the last picture show" desselben Jahres mitwirkte, da fiel mir die angeborene Präsenz dieses Schauspielers auf, der später leider nie zur vollsten Größe gereift ist oder aber schlechte Berater hatte oder einfach verheizt wurde.
Dieser Film von Dalton Trumbo mit dem Hintergrund 2. Weltkrieg, black list Hollywood ten ud dem Vietnam-Krieg ist ein Meilenstein in der Filmgeschichte: von allen Antikriegsfilmen unerreicht: paths of glory, im westen nichts neues, die brücke, der preispokal, der schmale grat (auch sehr gut), ich war neunzehn, ivans kindheit, briefe von ivojima, um nur einige zu nennen.
Unbedingt noch einmal ansehen, das ist Cinema.
Nett von Ihnen zu hören
Wolfgang Neisser |
Stefan R. TEAM sagte am 14.06.2011 um 19:50 Uhr
Free-TV-Premiere heute nacht um 0.20 Uhr im ZDF. |
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