Eine Anthropologin findet bei Ausgrabungen einen Schädel, der offenbar das
Missing Link zwischen Primat und modernem Mensch darstellte und damit die Evolutionstheorie endgültig beweisen könnte.
Ein von der Kirche beauftragter Profikiller bemüht sich trotz äußerst schlechter Laune redlich, die Ergebnisse der Ausgrabungen verschwinden zu lassen und damit die Widerlegung der Kirchenlehren über die Erschaffung des Menschen durch Gott zu verhindern.
Eine Gruppe junger Leute landet nach einem Schiffbruch auf einer tropischen Insel, die nur auf den ersten Blick unbewohnt erscheint, und wird bald darauf von einer Meute blutrünstiger Kreaturen gejagt und systematisch dezimiert.
Wer beim Lesen der kurzen Inhaltsangabe den leichten Anflug eines
Déjà-vu verspürt, hat durchaus Grund dazu. Denn
Roel Reinés Horror-Thriller
"LOST ISLAND" wandelt auf bereits breitgetretenen Pfaden – und präsentiert zudem beiläufig eine überaus turbulente Entstehungsgeschichte, die sich fast noch spannender als die Idee aus dem zugrundeliegenden Drehbuch liest:
Mit Jörg Ihles "
The Tribe - Die vergessene Brut" erschien im Jahr 2009 hierzulande das amerikanische Regiedebüt des deutschen Regisseurs, der jedoch noch während der Produktionsphase von seinem Posten zurücktrat und das Projekt einem anderen Filmemacher überließ. Es bleibt bis heute verborgen,
was genau nun Ihle zu diesem Schritt veranlasst haben könnte, da offiziell lediglich Unstimmigkeiten zwischen ihm und dem Produktionshaus angeführt wurden. Sicher ist hingegen zweierlei. Zum einen wurde "The Tribe" in den USA mit dem geänderten Titel "The Forgotten Ones" auf dem Markt geworfen; zum anderen wurde der Niederländer Roel Reiné von demselben Produktionshaus angeheuert, das sich mit Ihle verkrachte, um mit abgewandeltem Drehbuch die direkte Neuverfilmung namens "The Lost Tribe" in Angriff zu nehmen, die zeitweise den Arbeitstitel "Primal" trug und deutschen Horrorfans ab Ende Juni 2010 nun unter dem Namen
"LOST ISLAND – VON DER EVOLUTION VERGESSEN" im Verleih gegenübertritt. Zuweilen ist es eine wirklich schwierige Angelegenheit, das Kind beim richtigen Namen zu nennen...
Als mindestens ebenso schwierig erweist sich die Beantwortung der Frage, ob nun das Original oder das Remake den besseren Film darstellt, basieren doch beide im Grunde auf ein und derselben Idee. Viel schwerwiegender noch: sie basieren beide auf denselben althergebrachten Mustern und lassen kaum innovativen Geist erkennen – eine Tatsache, die allein durch die Existenz des Remakes, dem Wiederaufwärmen der Geschichte, ja selbst des Titels verdeutlicht wird. Gerüchteweise soll Ihles Original über ein viermal so großes Budget wie das im Anschluss gedrehte Remake verfügt haben, was bei Ersterem zwar für keine optischen Höchstleistungen, jedoch zumindest für auf Hochglanz polierte Dschungelästhetik gereicht hat. Trotz ordentlich Schlamm und Innereien.
"LOST ISLAND" hingegen kann sich niemals so richtig von seiner eher billig wirkenden Inszenierung freisprechen, auch wenn sich mit
Lance Henriksen ("
Aliens - Die Rückkehr" [1986]) ein äußerst bekannter Film- und Serienschauspieler in den durchweg übersichtlichen Cast verirrt hat. Leider hat das Drehbuch für den mittlerweile 70jährigen aber nicht viel mehr als eine einzige Anweisung übrig: möglichst frustriert dreinblicken, während der Rest des Ensembles sich stereotyp über die Insel verteilt. Klar, dass hier keine schauspielerischen Glanzleistungen zutage gefördert werden.
Was der Film diesbezüglich nicht auffährt, macht er jedoch durch ein überaus gelungenes Setdesign und die fesch-gruselige Gestaltung der humanoiden Kreaturen wieder wett. Wird Ähnliches in den meisten Filmen der Neuzeit eher mit CGI-Masken oder -Modellen bewerkstelligt, setzte man hier noch auf „liebevolle“ Handarbeit, was dem Film trotz Minimalbudgets einen gewissen Charme zukommen lässt.
Unabhängig von einer Beurteilung des Originals bleibt aber die Frage: ist das Remake denn unterhaltsam? Nun, an dieser Stelle sind sich die Rezensenten etwas uneins. Entscheidend für die Lösung dieses Rätsels ist wohl der persönliche Fokus: konzentriert man sich auf die Geschichte – beziehungsweise das, was an dünner Story mit reichlich Kunstblut und tropischen Pflanzensäften übertüncht wird – und lässt sich auf den durchaus vorhandenen Spannungsbogen mitnehmen? Dann eignet sich
"LOST ISLAND" zumindest für kurzweilige Abendunterhaltung, bei der sich Gore-Freunde am Gemetzel erheitern und Liebhaber narrativen Könnens zumindest der Auflösung des finalen Kampfes ein wenig Gedankenarbeit zugute halten können. Oder lässt man sich vollends von der wirren Kameraführung Reinés (mit „tatkräftiger“ Unterstützung von Co-Kameramann
Andy Strahorn) ablenken, die zugegebenermaßen in manchen Szenen an visuelle Folter grenzt? In diesem Fall kommen die 85 Minuten Lauflänge einer Zerreißprobe gleich, die den durchschnittlichen Gesamteindruck des Filmes von einer gesunden Portion Toleranz abhängig macht.
Sicher ist in jedem Fall, dass Roel Reinés blutiger Strandausflug mindestens ebenso weit von einem Meisterwerk des Horror-Genres entfernt ist wie unsere Protagonisten von einer freundlichen Begegnung mit den Insulanern. Aber fehlende Gastfreundschaft hin, mangelhaftes Benehmen zu Tisch her: wer bei den zuvor aufgezählten Namensänderungen und Umstrukturierungen noch nicht verzweifelt das Handtuch auf die nicht vorhandene Strandliege geworfen hat, kann durchaus einen vorsichtigen Blick auf die vergessene Insel riskieren. Doch von allzu hochgesteckten Erwartungen bitten wir tunlichst abzusehen, auch wenn zuvor eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen worden sein sollte. Denn es bleibt durchaus zu bezweifeln, ob bei den vorherrschenden Gegebenheiten wirkliche Erholung aufkommen kann. Aber der nächste Urlaub kommt bestimmt. Und vielleicht ist die Ostsee dieses Mal das besser geeignete Reiseziel.