„Mein Name ist Lohse, ich kaufe hier ein.“
Als Feldherr Hannibal nach seinem legendären Zug über die winterlichen Alpen vor den Toren Roms stand, war das Trauma des unmittelbar bevorstehenden Angriffs so handfest, dass man es beinahe mit dem Messer schneiden konnte. Aus dem Ruf der Römer „Hannibal ad portas“ – „Hannibal bei den Toren“ – entwickelte sich langsam mit der Zeit die lateinische Redewendung „Hannibal
ante portas“, sinngemäß: „Hannibal vor den Toren“ – ein Ausspruch, der auch heute noch immer zur Unterstreichung für unmittelbar bevorstehende Gefahr oder eine nicht unerhebliche Bedrohung benutzt wird.
Wahrscheinlich muss sich Familie Lohse genauso wie die Römer gefühlt haben, als plötzlich der notorische Sparstrumpf Heinrich Lohse (Loriot) von der Fa. Deutsche Röhren AG, in der er das Amt des Vorstandsmitglieds für Einkauf bekleidete, aufgrund eines „etwas“ zu gut gemeinten Schreibmaschinenpapier-Einkaufs in den vorzeitigen Ruhestand geschickt wird. Das Schreibmaschinenpapier reicht nun für knappe 40 Jahre, weshalb der Generaldirektor seinerseits meint, es reiche mit der Zusammenarbeit. Und so steht kurz darauf Papa Lohse vor den Toren beziehungsweise der Haustür seines Anwesens, um seiner Frau Renate (Evelyn Hamann) und den gemeinsamen Kindern die unglückliche Lage als Glücksgriff zu verkaufen. Er habe nun viel mehr Zeit, um sich um den Haushalt zu kümmern (Ach
herrje!) und könne ja allen helfend (Hilfe!) zur Hand gehen, meint der Frührentner fröhlich, was die Alarmglocken seiner Familie läuten lässt. Und als ob es heraufbeschworen wurde, entwickelt sich Papa Lohse zu einer echten Plage, die eigentlich nur helfen will, damit aber nur für noch mehr Unheil sorgt. Denn der gute Heinrich verhält sich haargenau so sparfreudig und pedantisch wie damals in der Firma, so dass es nicht verwundert, dass schon bald der Eingangsflur der heimischen Lohse-Villa mit zig Paletten Senf vollgestapelt ist („Und was spare ich, wenn ich 100 Gläser kaufe?“). Bald hängt nicht nur der Haussegen schief.
Der großartige Künstler und Vater der Knollennasen schlug 1991 noch ein weiteres Mal nach 1987 auf der großen Leinwand zu und lieferte eine dem Vorgänger in nichts nachstehende, im Ganzen hervorragende Komödie ab, die seinerzeit mehr als 3,5 Mio. Kinobesucher unterhielt und heute als absoluter Kultfilm und Glanzstück deutscher Komödien-Kunst gefeiert wird. Während es damals in „
Loriots Ödipussi“ [1987] noch der titelgebende Ödipus-Komplex war, der herhalten musste für ein Feuerwerk an pfiffigen und gut durchdachten Gags, so bediente sich der große Humorist für seinen zweiten und auch letzten abendfüllenden Spielfilm bei den Frührentnern und allgemein dem vormals idyllischen Familienleben, in das mir nichts, dir nichts das Chaos Einzug hält. Dass dieses gerade in der Person des ansonsten doch so treusorgenden Familienvaters und liebenden Ehemannes verkörpert liegt, nimmt
Loriot als Ausgangspunkt für ein wieder einmal buntes und überaus amüsantes Allerlei, in dem sich die schon bei „Ödipussi“ bewährten Probleme und Missverständnisse, die aus der zwischenmenschlichen alltäglichen Kommunikation der Menschen untereinander resultieren, kunstvoll um die einzelnen Gags schlängeln und für den runden Gesamteindruck des Films sorgen. Wie gehabt ist die Geschichte natürlich nicht sonderlich spektakulär, muss sie aber auch nicht sein, da die Faszination der Komödie sowieso von den klug beobachteten Gags, Seitenhieben und den diesen in nichts nachstehenden, Loriot-typischen Wortspielereien ausgeht. Niemals albern oder oberflächlich, sondern immer intelligent und teilweise wunderbar bissig treibt Loriot sein Spiel des beinahen „Untergangs einer Familie“ unaufhörlich auf den Abgrund zu, nur um am Ende des Films auf der Ahlbecker Seebrücke beim 80. Geburtstag der Schwiegermutter plötzlich den Rückwärtsgang einzulegen und für die längst ausstehende, nicht minder komische Wiederzusammenführung der Lohses zu sorgen. Das ist noch Kino, das Spaß macht.
Zu schade, dass Loriot die Komödienlandschaft in Deutschland nicht noch um weitere abendfüllende Werke bereichert hat. Der Mann, der es schaffte, mit Humor die Wahrheit zu sagen, ohne jemals verletzend zu sein, gab bei der Aufzeichnung eines Fernsehinterviews am 4. April* des vergangenen Jahres bekannt, dass er sich aus der Fernsehlandschaft komplett ins Privatleben zurückziehen wolle. Im damaligen Alter von 82 Jahren – Ende November begeht Loriot seinen Geburtstag zum 84. Mal – plagten den genialen Zeichner schon einige, wie er meinte, altersbedingte „Zipperlein“. Keine Zeichnungen wolle er mehr anfertigen, keine Auftritte im viel zu hektisch gewordenen Fernsehalltag wahrnehmen, der heutzutage einfach keinen wirklichen Humor mehr entfalten könne – Loriot sagte hier gänzlich ohne Humor und überraschend ehrlich die Wahrheit, die manche von uns schon lange auf der Zunge tragen. „Infolge mannigfacher Belastungen – durch Beruf, Familie und Freizeit – ist der moderne Mensch kaum noch im Stande, sich auf ein mehrstündiges Bühnenwerk zu konzentrieren. Aus diesem Grunde überschreitet so gut wie keines meiner Dramen eine Länge von fünf Minuten. Damit sind sie dem biologischen Rhythmus von Menschen und weißen Mäusen angepasst“, fasste Loriot einst humorvoll sein Rezept für gute Unterhaltung zusammen. Es sei ihm daher von ganzem Herzen vergönnt, in Zeiten der Humorlosigkeit seinen Ruhestand zu genießen.
Natürlich werden Erinnerungen wach an
„LORIOTS PAPPA ANTE PORTAS“, wenn der Meister persönlich seinen „Rückzug“ ins Familienleben bekannt gibt, und doch wird es – und das ist die Wahrheit – in diesem Fall gänzlich anders laufen. Der großartige Künstler will einfach Abstand nehmen und seinen Lebensabend auskosten. Ohne Senf und Kosakenzipfel. Einfach nur hier sitzen, zu Hause. Wir wünschen ihm daher mit einem lachenden und einem weinenden Auge weiterhin alles Gute und beste Gesundheit, während wir wenig überrascht erkennen, dass es einfach unmöglich ist, über Loriot zu reden, ohne ihn mit seinem Werk in Verbindung zu bringen. Es sei uns verziehen. Danke, Loriot!
* alle Zitate des vorletzten Abschnitts gehen zurück auf
http://www.ard.de/boulevard/-/id=1876/nid=1876/did=140916/1iw0v2z/index.html