„Sag mal, Pussi, wieviel wiegst du jetzt eigentlich?“
Als am 12. November 1923 in Brandenburg an der Havel ein Junge namens Bernhard Victor Christoph Carl das Licht der Welt erblickte, wusste wohl keiner, dass dieser Sohn eines preußischen Offiziers bald einer der besten Satiriker und Kabarettisten Deutschlands werden würde. Nach dem Studium der Kunst zeichnete der junge Bernhard Victor (Vicco) etliche Cartoons für Zeitschriften, in denen die später so markanten und unnachahmlichen Knollennasen-Menschen auftraten. Dieser Arbeit entsprang schließlich auch der Name, unter dem uns Bernhard Victor Christoph Carl von Bülow heutzutage viel geläufiger ist:
Loriot. Er wollte sich das Hintertürchen für einen ernsthaften Beruf aufhalten und signierte daher seine Zeichnungen nicht mit seinem langen Namen, sondern mit der französischen Bezeichnung des Pirols, der das Wappentier der Familie von Bülow darstellt. Die Geburtsstunde eines ausgezeichneten Künstlers.
Dreh- und Angelpunkt aller Cartoons und später hinzutretender Sketche, in denen Loriot kongenial durch die ebenfalls sehr bekannte
Evelyn Hamann unterstützt wurde, sind jedes Mal die Probleme und Missverständnisse, die aus der zwischenmenschlichen alltäglichen Kommunikation resultieren. Anders als es manche Comedians heute tun, zeigt Loriot nicht auf verletzende, sondern auf durchweg amüsante, charmante Weise, dass menschliche Verhaltensweisen
teilweise schon aus sich heraus grotesk übersteigert sind, so dass die Sketche, die sowohl als Satire oder auch Groteske funktionieren, durchaus als (leise) Gesellschaftskritik aufzufassen sind. Diese fällt jedoch derart lustig und bis ins kleinste Detail liebevoll herausgearbeitet aus, dass der Zeigefinger der Moral niemals deutlich erhoben hervorsticht. Er sei einfach ein Freund der zerbröselten Kommunikation, dem Resultat des Aneinander-vorbei-Redens, sagte Loriot einst und schilderte damit kurz und knapp das, was ihn so beliebt machte und immer noch sein lässt: die Komik ist bei ihm nicht Mittel zum Zweck, um lustig zu sein – es sind die alltäglichen Dinge, die er persifliert, aus denen automatisch das Lustige erwächst. Wohl selten war es so lustig, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen.
Getreu dem Motto, dass in der Kürze die Würze liegt, kreierte Loriot im Laufe der Jahre viele unvergessliche Sketche, allen voran das „Jodel-Diplom“ (
Du-dödel-die) oder die „Nudel“ (
„Sie – Sie haben...“), die auch nach mehrmaligem Ansehen immer noch zum Lachen animieren. Man könnte daraus schlussfolgern, hier hätte jemand endgültig seine Bestimmung gefunden, seinen Traum in Perfektion realisiert. Doch trotz – oder gerade wegen? – des anhaltenden Erfolges sollte in Loriot plötzlich der Wunsch nach etwas Neuem, Größerem Wurzeln tragen und nach und nach zu voller Blüte heranwachsen. Sein Traum, einen eigenen abendfüllenden Film zu drehen, manifestierte sich in von Bülows Gedanken bereits Ende der 70er Jahre. Doch der geniale und scharfe Beobachter, schon längst deutschlandweit bekannt und verehrt, musste letztlich noch knappe 10 Jahre ins Land streichen lassen, bis er sich 1987 / 1988 an die Realisierung seiner Ödipus-Interpretation wagen konnte.
Nichts geht über Mama! Paul Winkelmann (Loriot) ist 56 Jahre alt und führt ganz der Familientradition entsprechend seit 3 Jahren das familieneigene Dekorations- und Möbel-Geschäft. Doch der Geschäftsführer steht selber unter der Fuchtel seiner resoluten und bestimmenden Mutter Louise (Katharina Brauren), die seit 56 Jahren nichts anderes macht, als ihren „Pussi“ zu bekochen und sich um seine Wäsche zu kümmern. Deshalb ist sie auch ganz und gar nicht erfreut, dass Paul sich eine kleine Junggesellenwohnung gesucht hat und so seiner Mutters jahrelanger Obhut entfleucht (
„Andere Jungs wohnen doch auch zu Hause.“). Traurig, ihn nicht mehr unter Kontrolle zu haben, lässt Louise ihren Sohn schließlich ziehen, jedoch nicht ohne darauf hinzuweisen, dass sein Kinderzimmer immer auf ihn wartet. Als eines schönen Tages die Psychotherapeutin Margarethe Tietze (Evelyn Hamann) in Pauls Geschäft auftaucht und neue Bezüge für ihre Sitzgruppe in der Praxis sucht, nimmt das Schicksal eine entscheidende Wendung. Aufgrund eines Missverständnisses und des Loriot-typischen Kommunikationsproblems sind die beiden erst gar nicht so gut aufeinander zu sprechen, fühlt sie sich doch von Paul, der nur einen Bolzen für den Schrank Marke „Trulleberg“ sucht und deshalb keine Zeit hat, ihr zu helfen, schlecht bedient. Erst als Paul sich Slips Größe 5, äh, 6 besorgt und Margarethe selber zufällig im Laden zugegen ist, ergreift er die Gelegenheit beim Schopf, entschuldigt sich und bietet ihr an, die Sitzgruppen-Angelegenheit in Ruhe bei Kaffee und Kuchen in seiner Wohnung zu bereden. Liebe scheint letztlich wirklich durch den Magen zu gehen, kommen sich Paul und Margarethe doch bei einem selbstgebackenen Hefezopf (Rezept von Mama!) näher. Die erste Liebe eines Mannes, die bekanntlich die Mutter verkörpert, scheint das erste Mal in Pauls bisher auf der Erde zugebrachten 56 Jahren einer anderen Frau weichen zu müssen. Die Therapeutin nimmt schließlich sogar seinen Vorschlag an, ihn auf eine kurze Geschäftsreise nach Italien zu begleiten. Gestaltet sich diese Reise schon als sehr ereignisreich, steht das dicke Ende mit dem Besuch bei den Schwiegereltern in spe, die Paul für einen Patienten ihrer Tochter halten, und der katastrophalen Familienzusammenzuführung im Hause Winkelmann erst noch bevor...
Dass das Drehbuch verhältnismäßig einfach gestrickt ist, fällt in
„LORIOTS ÖDIPUSSI“ bei näherer Betrachtung kaum ins Gewicht. Zwar lässt sich nicht verleugnen, dass die Geschichte „nur“ Aufhänger ist für eine schier endlose Aneinanderreihung von skurrilen und urkomischen Momenten, aber gerade
das erwartet man doch letztlich von Loriot. Waren die Sketche immer in sich abgeschlossen, rankt sich die Persiflage auf den Ödipus-Komplex wie ein roter Faden durch das bunte Treiben, was den Film im Nachhinein wie einen einzigen langen Sketch erscheinen lässt. Gewohnt unterhaltsam, wenngleich auf 90 Minuten ausgeweitet um einiges boshafter als ein sechsminütiger Sketch, führt Loriot dem Zuschauer vor Augen, dass manche Menschen einfach nicht zusammen passen. Diese Grundaussage wird durch die liebevoll hergeleiteten Gags, die schonungslos und unzweideutig den Ödipus-Komplex ad absurdum führen, ohne jemals albern zu wirken, noch einmal gefestigt. Wer hat nicht Tränen gelacht bei der Diskussion des Kaffee-Kränzchens, ob denn „Schwanzhund“ nun eine zugelassene Bezeichnung beim Scrabble sei? Wem huschte nicht ein Lächeln bei
„Meine Schwes-ter heißt Po-ly-ester“ über die Lippen? Loriot ist mit diesem Werk einfach eine rundum gelungene Komödie geglückt, eine Satire auf die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Mann und Frau, zwischen Muttersöhnchen und Übermutter, die auch nach wiederholtem Ansehen nicht langweilig wird und den Namen „Komödie“ wirklich noch verdient. Ein Film, den nicht nur Fans von kurzärmeligen Hausjacken mit Zopfmuster mindestens einmal gesehen haben sollten.
Auch interessant für die Freunde des gepflegten Humors: „
Loriots Pappa ante Portas“ [1991]