von Asokan Nirmalarajah
Was wäre, wenn… statt der hübschen Gwyneth Paltrow in der gefälligen, leidlich amüsanten britischen Romantikkomödie
Sliding Doors (1998; dt. Titel:
Sie liebt ihn, sie liebt ihn nicht) der kaum minder attraktive Inder Shaam ein öffentliches Fortbewegungsmittel in allerletzter Sekunde noch erreichen würde? Während sich die weinerliche Paltrow in dem konzeptionell recht interessanten, aber sonst eher biederen Liebesfilm von Peter Howitt durch zwei komplett verschiedene Szenarien plagen durfte – sie erreicht ihre U-Bahn noch, kommt so aber früh nach Hause, erwischt ihren Freund beim Seitensprung, trennt sich von ihm, findet eine andere Liebe und schneidet sich demonstrativ die Haare kurz und blondiert sie zwecks rigoroser Typerneuerung
oder sie kommt eine Sekunde zu spät, verfehlt die Bahn und kriegt nichts von der andauernden Affäre ihres Freundes mit und versauert mir ihren langen, braunen Haaren in schlechten Jobs – muß in dem inoffiziellen indischen Remake
12B (2001; dt. Titel:
Buslinie 12B – Was wäre wenn?, weitere Titel der Hindi-sprachigen Version:
Do Raaste 12B und
Bus Stop) Shaam sein Lebens- und Liebesglück in zwei Parallelwelten suchen, was sich mit viel Gesang und reichlich Tanz doch viel charmanter und leichtfüßiger gestaltet.
Denn
12B ist trotz seiner narrativ doch recht anspruchsvolleren Ausgangsprämisse ein modernes, konventionelles Kollywood-Tanzmusical wie aus dem Buche: schablonenhafte Charaktere, eine unnötig auf fast zweieinhalb Stunden aufgeblähte, spärliche Handlung, und viel Gesang, Tanz und hübsche Optik zwecks Kaschierung logischer und generischer Brüche. Daß der Film mittlerweile den langen Weg in hiesige Verkaufsregale gefunden hat, spricht aber weniger für die eher mittelmäßige Qualität des Films, als vielmehr für seine kulturelle Zugänglichkeit und dem momentanen Bollywood-Boom in Deutschland. Dabei stammt der Film nicht aus der Hindi-sprachigen, nördlicher gelegenen, weit größeren Filmindustrie Bombays, sondern aus der weit kleineren, südlicheren, Tamil-sprachigen Filmmetropole von Kodambakkam, daher auch die Bezeichnung Kollywood. Nun ist dieser Film aber nicht ganz ohne Reiz, besonders als interkulturelles Remake (ein wenig von
Rendezvous mit Joe Black, 1998, scheint hier auch auffindbar) und als einer der besseren, konsistenteren und mutigeren Kollywood-Mainstreamfilme seines Jahrgangs.
Während der Titel des Originals auf die automatischen Schiebetüren der U-Bahn anspielt, die zum Portal zu einer Parallelwelt werden, bezeichnet
12B die Nummer des Busses, den der Jungspund Shakthi (das frühere Model Shaam in seiner ersten Hauptrolle) nehmen muß, um auch pünktlich zu einem wichtigen Vorstellungsgespräch zu kommen. Auf dem Weg sieht und verliebt er sich aber auf den ersten Blick in die quirlige Jo (Jyothika), und kriegt den Bus nicht mehr. Von hier an werden dann zwei Parallelhandlungen erzählt: er kommt zu spät und kriegt die Anstellung nicht, begegnet aber seiner Traumfrau Jo wieder und versucht fortan die kratzbürstige Studentin für sich zu gewinnen
oder er kriegt den Bus doch noch, wird wegen seiner Pünktlichkeit eingestellt, sucht aber weiter vergebens nach der ihm unbekannten Jo und merkt nicht, daß sich seine schwermütige Kollegin Priya (Simran) in ihn verguckt hat. Als er in beiden Szenarien erfährt, daß seine Jo an einen Nebenbuhler (Sunil Shetty – der auf dem DVD-Cover unerklärlicherweise als Hauptfigur präsentiert wird, ein grober Schnitzer des deutschen Verleihs, oder doch nur weil Shetty der berühmteste Schauspieler hier ist?) verheiratet werden soll, schreitet er zur Tat…
Wo
Sliding Doors – beileibe nicht der einzige oder erste Film, der der zentralen „Was wäre wenn…“-Frage nachgegangen ist, siehe Tom Tykwers
Lola rennt (1998) oder Krzysztof Kieslowskis
Der Zufall möglicherweise (1987) – das westliche Interesse an den Identitäts- und Liebesnöten seiner Protagonistin wiederspiegelt, ist
12B trotz aller massentauglichen Oberflächlichkeit eher an dem sozialen Umfeld seines Helden interessiert. So ist Shakthi in einer Welt ein aufstrebender Yuppie, in der anderen ein braver Straßenmechaniker, und repräsentiert mit seinen jeweiligen Freuden auch die zwei Enden des sozialen Spektrums in Indien. Das ist soziologisch nicht sonderlich erhellend, zeigt aber in welchen beschränkten Kategorien diese Filme denken, wenn sie die Rauflust des Straßenjungens mit der Sensibilität des Geschäftsmannes kontrastieren. Auch die zwei biederen Liebesgeschichten verweisen auf die eher limitierte Möglichkeit des Kollywood-Films Romanzen zu verhandeln: entweder verspielt und albern mit der zuweilen nervtötend überdrehten Jyothika als kindische Jo, oder verträumt und gediegen mit der hier schönen, ungewohnt subtilen Simran als emotional labile Priya. Shaam vermag aber durch sein gutes Aussehen und sein sympathisches Spiel den Zuschauer trotz der Längen und narrativen und charakterlichen Schwächen des Films bei Laune zu halten. Leider konnte Shaam später selten an den moderaten Erfolg dieses Films Anschluß finden, während Jyothika und Simran in den nächsten Jahren zu den begehrtesten Stars Kollywoods wurden. Auch zu sehen ist der Bollywood-Schauspieler Sunil Shetty (bekannt als Top-Terrorist aus
Main Hoon Na, 2004) in seiner ersten Tamil-sprachigen Rolle, und der kluge Komiker Vivek in einer seiner üblich klamaukigen Auftritten als philosophierender Depp vom Dienst.
Regiedebütant Jeeva, der vorab als Kameramann für die grandiosen Bilder von S. Shankars drei Kassenerfolgen
Gentleman (1993),
Kaadhalan (1994) und
Indian (1996) verantwortlich war, fährt vor allem in den recht bodenständigen Musicalsequenzen zur Hochform an und setzt die frischen, jugendlichen, lebendigen, sehr romantischen Lieder von Harris Jeyaraj – der früher für die Filmkomponistenkoryphäe A.R. Rahmen arbeitete und im selben Jahr mit dem Soundtrack zu
Minnale seinen großen Durchbruch feierte – sehr dynamisch und unterhaltsam um. Das gilt für den Rest des Films eher nur bedingt.