Vier Menschen in zwei Städten auf der Suche: in London sucht Milo nach geplatzter Hochzeit nach seiner Sandkastenliebe Sally, während Peter Esser nach seinem Sohn David sucht, einem heimgekehrten Irak-Veteranen. Emilia, eine Kunststudentin sucht wohl am ehesten sich selbst in immer krasseren Videoprojekten, während in Meanwhile City Jonathan Preest den religiösen Führer DAS INDIVIDUUM sucht. Dieser tötete die 11-jährige Sarah, und Preest schwor Rache. In dieser Nacht will er töten. Alle vier Seelen haben ihren Verlust erlitten, doch kann eine einzige Gewehrkugel aus dem Lauf von Preest sie erlösen?
Ich habe gerade so unglaublich lange gebraucht, um diese Inhaltsangabe möglichst sinnvoll und zeitgleich möglichst spoilerfrei zu formulieren.
„Franklyn“ ist im besten Sinne ein Erlebnis; ein Film, den man hassen und lieben kann. Inhaltlich verschachtelt, visuell großartig, aber eben auch ganz anders. Vor allem anders als der Trailer suggeriert. Denn „Franklyn“ ist keine düstere Superheldenverfilmung nach Comic-Machart, sondern vielmehr ist er ein doppelbödiges Drama mit komplexer Erzählstruktur, voller scheinbar loser Handlungsfäden, die sich gegen Ende verknüpfen - oder auch nicht? Geneigter Leser, wenn Du über den Film rein gar nichts erfahren möchtest, dann höre am besten sofort auf zu lesen. Denn den Film zu besprechen, ohne auch nur irgendwie auf die verzwickte Handlung einzugehen und dabei den ein oder anderen minor S
poiler zu setzen erscheint wie ein Ding der Unmöglichkeit.
Nach dieser Warnung und akuter Unfähigkeit den Film als ganzes zu besprechen, möchte ich den Film anhand der einzelnen Handlungsstränge in Episoden zerlegen, da ich mir ansonsten nicht zu helfen weiß. Der Film hat mich ratlos, aber zutiefst fasziniert zurückgelassen. Denn trotz aller oder gerade wegen der optischen Überwältigung und des sinnlichen Overkills kann man sich die Handlung zwar als aufmerksamer Zuschauer schon recht bald zusammenreimen, allerdings ist gerade die Figur eines Putzmannes nach erster Sichtung so mysteriös wie der berühmte Kackende Hund in „Der barmherzige Samariter“ von Rembrandt. Insofern stellt sich die zum jetzigen Zeitpunkt ungelöste Frage, ob der Film wirklich so tiefgründig und komplex ist, wie er zu sein vorgibt, oder ob er nicht eine simple Geschichte erzählt, die nur diese eine Lösung kennt, die er uns anbietet.
Die am geradlinigsten erzählte Geschichte dürfte dann wohl auch die von Peter Esser sein. Der ältere Mann ist auf der Suche nach seinem Sohn, dem Irakveteranen David. Peter ist ein religiöser Mensch, gottesgläubig und -fürchtig, nicht zuletzt durch den Tod seiner Tochter, die vor dem eigenen Haus starb. Selbst als er den Hintergrund des Anrufes erfährt, der ihn zu Beginn auf die Suche nach seinem Sohn schickt, folgt er unablässig den Spuren die er findet. Dabei ist Esser die gläubigste Figur in einem Film, in dem Glaube ein immer wieder angesprochenes Thema ist und sich in unterschiedlichsten Formen manifestiert. Nicht zuletzt steht gerade dieser Glaube im Konflikt zu dem Nicht-Glauben von Jonathan Preest, der sich in einer fast faschistisch anmutenden Welt vorfindet, in der Glauben aller Art staatlich vorgeschrieben sind, und sei es auch nur der Glaube an die Bedienungsanleitung der Waschmaschine.
In dieser Stadt namens Meanwhile City, irgendwo zwischen Vidocq und
Brazil angesiedelt, sucht Preest nach dem religiösen Führer DAS INDIVIDUUM, den Preest für den Tod eines Mädchens verantwortlich macht. In dieser religiösen Welt muss sich Preest seiner Haut gegen eine Polizei von Klerikern behaupten, um letzten Endes einfach zu warten, bis er seine Zielperson töten kann. Dabei wird spätestens ab der Hälfte des Films recht klar, was es mit dieser Stadt und Preest auf sich hat, ohne dabei eine echte Erklärung dieser bombastischen Optik zu liefern. Man fühlt sich an Rorschach und Watchmen erinnert, ohne das dieser starke Fantasyeinschlag für den Film notwendig gewesen wäre, und nicht nur selbstzweckhaft sondern auch fremdkörperartig wirkt. Gerade weil auch diese Szenen zu weiten Teilen nur aus Kommentaren des Off-Erzählers Preest bestehen, tragen sie zur eigentlichen Handlung eher wenig bei, sind aber natürlich schick anzuschauen. Das Problem dabei: man hätte sie eigentlich auch ersatzlos streichen können, und den Film komplett auf der realistischen Schiene laufen zu lassen; es wäre nicht negativ aufgefallen. Der Trailer suggeriert hier auch einen deutlich fantasylastigeren Einschlag, als der Film schließlich bieten kann.
Dafür führt Regisseur McMorrow die vier Handlungsfäden am Ende sehr elegant zusammen, ohne dass der Zuschauer schon im Voraus genau ahnen kann, wie der Film denn nun die Kurve kriegen wird. Am mysteriösesten und auch unverständlichsten wirkt hierbei die Erzählung um Emilia, die ihrer Mutter unmöglich verzeihen kann, ihren Vater verlassen zu haben. Als sensible Kunststudentin ist sie dabei akut suizidgefährdet, nutzt diese psychische Instabilität aber um ihre Videoprojekte zu vervollständigen. Milo wiederrum glaubt seine große Kindheitsliebe Sally endlich wieder gefunden zu haben, nachdem seine anstehende Hochzeit geplatzt ist. Diese beiden Figuren, Milo und Emilia, wirken dabei völlig losgelöst von der Handlung um Preest und Peter. Auch die Inszenierung ist hier deutlich bedächtiger, ja fast zielloser und meditativer als bei dem Fantasyszenario in Meanwhile City und der recht konventionellen Geschichte Peters. Beide Figuren haben dabei jedoch gemein, dass sie an die Kraft der Imagination glauben, auf die ein oder andere Weise. Vorstellungswelten sind ein weiteres Thema des Films, natürlich eng verknüpft mit den Gedanken über Glauben und der Frage, wieviel Kraft Glaube hat, und ob Dinge wahr werden können, wenn man nur fest daran glaubt.
Somit ist „Franklyn“ ein optisch fantastisches, thematisch vielschichtiges, und inhaltlich sowie erzählerisch komplexes Drama um vier einzelne Seelen. Wer einen Fantasystreifen erwartet, sollte lieber zu einem ganz anderen Film greifen. Unausweichlich, dabei unaufgeregt und gelassen steuern die Figuren von McMorrow auf ein Ende zu, das sich zwar lange ankündigt, aber in seiner ganzen Entität kaum zu fassen ist, bevor es schließlich die Bühne betritt. Natürlich kann man Meanwhile City als millionenschwere Spielerei abtun und den Film damit als überproduziertes Ausstattungsvehikel abstrafen. Aber die Geschichte bietet genug Tiefgang für mehrmalige Durchgänge, und an der Figur des Hausmeisters kann man sich wahrscheinlich abarbeiten. Ich werde mir den Film definitiv noch einmal zu Gemüte führen, nachdem ich ihn einige Zeit ruhen lassen habe, um dann diese Kritik vielleicht zu überarbeiten. Von daher eine völlig willkürliche 5 Sterne Wertung, auch im Hinblick auf das geschätzte Potential sowie dem rewatch-value.
Ascot Elite bringt den Film am 20. August sowohl als Special Edition und als normale DVD ohne wirkliche Ausstattung, dafür mit Wendecover auf den Markt. Zur Rezension lag letztere Variante vor, mit sehr schönem Bild und professioneller Synchronisation, immerhin auch in dts. Vielen Dank für das Rezensionsexemplar an dieser Stelle!
Überwältigend, auf fast allen Ebenen!