Es gibt sie also doch noch: leisere Filme, im weitesten Sinne Dramen mit Humor, Tragikomödien die sich ernsten Themen annehmen aber dabei niemals den Witz vergessen. Und die vor allem auszeichnet, dass sie mir tatsächlich gefallen. Eigentlich sind nämlich weder Dramen noch Komödien so richtig mein Fall, Ausnahmen wie der Jahrtausendfilm Blues Brothers etwa bestätigen diese Regel. Denn häufig trifft entweder der Humor von vielen Komödien überhaupt nicht meinen Nerv (siehe
Scoop - Der Knüller), oder aber das Drama ist wirklich sehr bemüht und auf die reine Tragik seiner Geschichte aus. Und dann kommt da heimlich still und leise ein Filme wie „Ein Sommer in New York – The Visitor“ daher und schafft es tatsächlich, auf Anhieb zu begeistern! Deswegen auch hier schon wieder ein herzliches Dankeschön für das Rezensionsexemplar.
Walter Vale ist mit seinem Leben höchst unzufrieden. Sein einziger Sohn lebt in London, seine Frau verstarb vor einigen Jahren. Als Wirtschaftsprofessor am örtlichen College gibt er genau ein Seminar und schreibt seit ewiger Zeit schon an seinem vierten Buch, ohne damit voranzukommen. Auch seinen Wunsch Klavier zu lernen kann er nicht wirklich verfolgen, da er dafür einfach zu untalentiert ist und eine Klavierlehrerin nach der anderen verschleißt. Als er sich schließlich nicht davor drücken kann, einen Kongress in New York zu besuchen um dort einen Aufsatz
vorzulesen – bei dem er offiziell nur Co-Autor war aber inoffiziell nur seinen Namen hergeben hat – nutzt er die Chance und besucht seine Wohnung im Big Apple, die er schon lange Zeit nicht mehr betreten hat. Das junge Paar, ein Syrer und eine Senegalesin, die dort inzwischen wohnen (und an einen Betrüger Miete zahlen), halten ihn natürlich für einen Einbrecher! Nach kurzem Konflikt entwickelt sich eine zarte Freundschaft zwischen dem Akademiker und dem jungen Tarek...
An dieser Stelle gibt es nun eine kleine Spoilerwarnung: Tarek hat ein „dunkles“ Geheimnis, das zwar in so ziemlich allen Kritiken verraten wurde, aber ich füge halt trotzdem die obligatorische Warnung ein.
Das dramatische Element ist nämlich, dass Tarek sich illegal in den Vereinigten Staaten befindet. Ihm droht die Abschiebung nach Syrien, sollte er beispielsweise von der New Yorker Polizei verhaftet werden. Seine senegalesische Freundin sowie seine Mutter, die in Michigan lebt, sind beide legal dort, nur ihm droht dieses Schicksal; dabei will er laut eigener Aussage nur seine Musik machen und in Frieden leben. Denn Heimat ist eines der Themen des Films: alle „Ausländer“ sagen, dass sie sich in ihren Heimatländern (also vor allem Syrien und dem Senegal) nicht heimisch fühlen. Zu gut gefällt es ihnen in New York und der damit verbundenen Freiheit. Allerdings beweist hier der Film bereits eine Stärke: er kitscht nicht vor sich hin und verklärt den Big Apple zum Schmelztiegel der Kulturen und der Erfüllungswerkstatt aller Träume. Denn ebenso sagen sie, dass sie auch New York nicht als Heimat sehen – impliziert wird das Konstrukt der Weltbürger, Menschen unterschiedlichster Nationen, die zusammen leben können, ohne eine Heimat im klassischen Sinn zu haben. Heimat ist die Gemeinschaft mit anderen Menschen, Heimat ist die Welt an sich.
Die Komik bezieht der Film dafür vor allem aus der Figur des Professor Vale sowie in seinem Zusammenspiel mit Tarek. Der verkopfte Akademiker, ein „Sozialkrüppel“ erster Güte, wird grandios gespielt von Richard Jenkins. Er agiert im Job völlig lustlos und versucht in der Musik seinen Frieden zu finden – scheitert jedoch daran. Erst als Tarek ihm die Trommel erlernt, blüht Vale so richtig auf. Fantastisch gelingt Jenkins die Transition vom steifen Wirtschaftsexperten hin zu einem fröhlichen Lebemann, der bei Dienstbesprechungen dann auch mal mit den Fingern auf dem Tisch vor sich hintrommelt oder sich im Central Park zu seiner kunterbunten Truppe von anderen Trommlern gesellt – behält dabei jedoch immer sein Outfit bei, was zu manchem skurrilen Bild führt, denn so richtig geht er nur selten aus sich raus. Natürlich ist es dann so, dass gerade am „Höhepunkt“ ihrer Freundschaft das Schicksal zuschlägt und Tarek verhaftet wird. Dies geschieht in der grauen U-Bahn was im krassen Kontrast zum unmittelbar vorhergehenden Central Park steht, in dem die beiden wenige Minuten zuvor noch im sonnendurchfluteten Grünen mit vielen anderen Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen gemeinsam Musik machten – ein unglaublich lebensbejahende Szene.
Überhaupt ist der Film äußerst geschickt geschrieben. Sicherlich, es wäre ein leichtes gewesen, Vale und Tarek sich „einfach so“ annähern zu lassen. Doch das Script von Regisseur und Autor Thomas McCarthy geht den Umweg über ein gemeinsames Interesse: die Musik wird als Katalysator genommen, um diese völlig unterschiedlichen Menschen zueinander zu führen. Hier zeigt der Film auch – um mal etwas munter rumzuinterpretieren – dass Integration immer von beiden Seiten ausgeht. Tarek lebt friedlich in diesem fremden Land, er passt sich an, aber auch Vale als Amerikaner passt sich in den musischen Szenen, den Szenen des Zusammenlebens, an. Er muss, um die Trommel spielen zu können, nämlich seinen gelernten 4/4 Takt ablegen und durch einen afrikanischen Drittel-Takt ersetzen. Denn wenn erstmal beide Seiten ein wenig aufeinander zugehen, klappt das Zusammenleben und man entdeckt bei aller Unterschiedlichkeiten auch Gemeinsamkeiten, beispielsweise in der Musik als Weltsprache (dass der Film die Musik an sich zelebriert ist offensichtlich).
So zeigt der Film auch, wie drei Generationen die äußerlich unterschiedlicher kaum sein könnten – Vale als älterer, weißer und gebildeter Mann, Zainab (die senegalesische Freundin Tareks) als junge Schwarze sowie Mouna (Tareks Mutter) als Frau mittleren Alters arabischer Herkunft – gemeinsam an einem Strang ziehen können und dabei bildlich von rechts nach links laufen, gegen den Strom, gegen das gesellschaftliche Denken, das natürlich auch durch die Ereignisse des 11. September beeinflusst sind, was der Film aber nur am Rande thematisiert.
Natürlich kann man den Film auch kritisieren, was ihn letzten Endes den sechsten Stern dann auch kostet. So benutzt er zwar die Asyl- und Einwanderungsproblematik als Aufhänger für seine Geschichte, baut diese aber kaum adäquat aus beziehungsweise beleuchtet die wirkliche Problematik jenseits des persönlichen Schicksals kaum, obwohl er sich immer wieder dazu hinreißen lässt, z.B. einzelne Schilder wie etwa „Know your Rights“ in auffälliger Großaufnahme zu zeigen. Auch stellt sich die Frage, ob die zart angedeutete Liebesgeschichte gegen Ende des Films unbedingt nötig gewesen ist, diese ist aber gleichzeitig wieder so wenig expliziert, dass sie kaum stört.
Bleibt nur eine Frage: wer ist eigentlich wirklich mit dem titelgebenden Visitor gemeint?