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Die Einsamen Schützen

Die Einsamen Schützen

Eine Serie von Bryan Spicer, Richard Compton, u.a.

„Heroes have never looked like this before. For obvious reasons.“

18. Februar 1994. Die Kultserie „Akte X“ steckt noch in ihren 15 Wochen alten Kinderschuhen. Doch trotz dieses frühen Zeitpunktes sollten bereits große zukunftsträchtige Entwicklungen ihre Schatten vorauswerfen. Das Autorenduo Glen Morgan und James Wong, das für das Drehbuch der gerade ausgestrahlten 17. Episode „E.B.E.“ verantwortlich zeichnet, erdenkt nämlich für ebenjene Mythologie-Folge ein Informantentrio für den Agenten Fox Mulder, ein Dreiergespann liebenswerter Chaoten mit einer großen Affinität für Technik, die höchstens noch von ihrer Vorliebe für Verschwörungstheorien jedweder Art übertroffen wird.


Der Name dieser illustren Truppe: The Lone Gunmen, die Einsamen Schützen – eine offensichtliche Anspielung auf die sogenannte lone gunman theory, wonach das Attentat auf John F. Kennedy durch einen einzelnen Schützen, namentlich Lee Harvey Oswald, verübt wurde, der nur drei Schüsse abgegeben haben soll und mit einer einzelnen Kugel (single bullet theory) sowohl Kennedy als auch Governor John Connally traf. Kennedys Leben konnte im Gegensatz zu Conallys nicht mehr gerettet werden. Die ewig tickende Uhr der Zeitgeschichte datiert auf den
22. November 1963, 12 Uhr 30, der Tag, an dem sich jenes schreckliche Ereignis zutrug, das die ganze Welt aufrütteln sollte. Die Trauer saß tief, während eine Frage weiter wie ein unsichtbarer Schleier über dem Geschehen hing: war es wirklich die Tat eines Einzelnen? Oder wurde der Präsident gar Opfer einer Verschwörung?
Bis heute ranken sich um die Tat Gerüchte, türmen sich Fragen über Fragen, die nach baldigen Antworten verlangen. Nur gibt sie keiner. Zumindest nicht offiziell. Aber die im Untergrund arbeitenden Lone Gunmen haben ein klares Ziel vor Augen: sie wollen Antworten geben auf unbeantwortete Fragen, indem sie die Menschen mit ihrer Zeitung The Lone Gunman (vormals The Magic Bullet Newsletter) informieren über das, was keiner sonst auszusprechen wagt. Sie beabsichtigen, Augen zu öffnen, um das, was wirklich tagtäglich um uns herum respektive im Verborgenen geschieht, sichtbar zu machen. Dass man sich hiermit nicht nur Freunde anlacht, versteht sich von selbst. Ebenso deutet sich bereits in diesem frühen Stadium dem wachsamen Augen des Zuschauers an, dass die interessante Arbeit des Trios bestimmt nicht nur eine einmalige Sache darstellen wird.


Frühjahr bis Mitte 2001. Und die wachsamen Augen sollten Recht behalten, Vermutungen der Bestätigung weichen. Denn seit ihrem ersten Auftritt vor mittlerweile 7 Jahren hat das Trio bereits unzählige weitere Male Mulder und Scully unterstützend unter die Arme gegriffen und sich einen festen Platz in den Herzen der Fans erspielt. Der immer im Maßanzug gekleidete John Fitzgerald Byers (Bruce Harwood, „The Last Mimzy“ [2007]), der langhaarige Richard Ringo Langly (Dean Haglund, „Nightmare Carnival“ [2009]) und Melvin Frohike (Tom Braidwood, „Alien Trespass“ [2009]), der älteste Schütze – sie alle sind schon längst kein unbeschriebenes Blatt mehr. Dasselbe muss auch „Akte X“-Erfinder Chris Carter und seinen Autoren Vince Gilligan, Frank Spotznitz und John Shiban aufgefallen sein, denn sie entschließen sich kurzerhand, eine Spin-Off-Serie zu kreieren, deren Kern sich einzig um die Abenteuer des so ungleichen Trios drehen soll. Während man in Deutschland die 13-teilige Serie „DIE EINSAMEN SCHÜTZEN“ („The Lone Gunmen“) erst 2003, also zwei Jahre nach der US-Premiere zu sehen bekommen wird, geht die Pilotfolge in den USA bereits am 4. März 2001 auf Zuschauerfang. Eine Mission possible?


Auch wenn die Pilotepisode direkt zu Beginn mit einer waghalsigen Ethan-Hunt-Aktion aufwartet, die (siehe erstes Bild) gehörig daneben geht, verfolgen im Durchschnitt erfreuliche 13 Millionen Haushalte den Auftakt der Serie. Die Mission scheint – zumindest auf der anderen Seite der Flimmerkiste – geglückt, der bewusst wilde Mix aus Thriller, Krimi und Slapstick-Komödie seine Fans gefunden zu haben. Waren es in der Mystery-Serie überhaupt noch Ermittlungen, die immer irgendwie mit den unheimlichen Fällen des FBI zusammenhingen, ist die Serie um die drei einsamen Streiter bewusst auf mehr Realismus ausgelegt – allerdings auf eine zum Teil sehr unkonventionelle Art und Weise, versteht sich. Genauso, wie seinerzeit „Akte X“ herkömmliche Serienkonventionen gehörig gegen den Strich bürstete, präsentieren uns die drei Schützen eine Welt, die der unsrigen zwar ähnelt, jedoch dabei völlig neue (Seh-)Gewohnheiten offen legt. Das tatsächliche Sein hinter dem nicht immer offenkundigen Schein nimmt hierbei teils groteske, teils auch erschreckend realistische Formen an. Formen, die beweisen, dass auch die irrwitzigste Idee innerhalb einer Serie bei näherer Betrachtung gar nicht so irrwitzig ist. „DIE EINSAMEN SCHÜTZEN“ manipulieren genaugenommen den Zuschauer, ohne dass dieser es merkt, machen ihn gewissermaßen zum Objekt eines großangelegten Hacks auf seine Festplatte, um dort Gespeichertes, Bekanntes in einem neuen Licht erstrahlen zu lassen. Wahrscheinlich sieht so das Augenöffnen der Zukunft aus. Willkommen im 21. Jahrhundert.


Zweifellos eine große Leistung für eine kleine, aber feine Serie, die von vielen einzig und allein auf ihren – zugegeben vorhandenen – Klamauk reduziert wird. Zu Unrecht, betrachtet man die Serie unter der eingangs erwähnten Prämisse, das Sein hinter dem Schein aufzudecken. Denn auch hier, in der Welt des Zuschauers, trügt der Schein, offenbaren sich plötzlich menschliche Schicksale zwischen all den Lachern und Missgeschicken. Neben einigen immer wieder geschickt eingestreuten Charakter-Informationen rund um Langly, Byers und den grummeligen Frohike, der beispielsweise früher als „El Lobo“, der Tango-Champion, gefeiert wurde, sorgen nämlich besonders die von Zuleikha Robinson („New Amsterdam“ [2008]) verkörperte Rivalin Yves Adele Harlow und der gutherzige, dabei aber etwas tumbe Jimmy Bond (!), gespielt von Stephen Snedden („Coyote Ugly“ [2000]), für ordentlich Zündstoff. Die eine eine wunderschöne Nemesis, bei der man nie genau weiß, auf wessen Seite sie eigentlich steht; der andere ein dauergrinsender Sunnyboy mit Fönfrisur, dessen gutgemeinte Unterstützung der Arbeit der Schützen bei selbigen nicht immer auf Wohlwollen trifft. Dabei wollen alle doch eigentlich nur irgendwie dazu gehören, ein Teil sein dieser großen Welt mit all ihren Ecken und Kanten. Warum sollten die Menschen, die auf ihr wandeln, da anders beschaffen sein? Wobei: ganz lossprechen von ihrer Serien-Herkunft wollen sich die Gunmen dann doch nicht, weshalb sich Mitch Pileggi (Skinner), Michael McKean (Morris Fletcher aus „Dreamland“ in Staffel 6) und David Duchovny alias Fox Mulder höchstselbst als Gaststars die Klinke in die Hand geben.


Doch sinkende Quoten zwingen die Verantwortlichen nach nur 13 Folgen, den Notfallstecker zu ziehen und der gerade erst richtig in Fahrt kommenden Serie ein für alle Mal den lebensnotwendigen Saft abzudrehen. So beschließt ein gemeiner Cliffhanger, der eigentlich zu einer zweiten Staffel überleiten sollte, die Abenteuer der so liebenswerten Truppe und lässt den Zuschauer mit unbeantworteten Fragen zurück. Dass diese letzte Folge gerade „All about Ives“ heißt und im Kern bereits alle Anlagen für eine weiter auszubauende, nun aber nicht mehr vollendete Mythologie aufweist, ist pure Ironie des Schicksals. Hart und unfair. Doch um zumindest noch einiges zu retten, wurde kurzerhand Episode 15 („Jump the Shark“) der finalen „Akte X“-Staffel zum Quasi-Abschluss der kurzlebigen Spin-Off-Serie umfunktioniert, indem alle offenen Handlungsstränge noch einmal aufgegriffen wurden. Es war somit die Mutter aller Mystery-Serien, die in ihrer 16. Episode die Lone Gunmen zum Leben erweckte, und es war dieselbe Erfolgsserie, die vor Episode 16 der allerletzten Staffel das Spin-Off einem Ende zuführte. Schade, dass den einsamen Streitern für Gerechtigkeit nicht mehr Zeit vergönnt war. So bleibt letztlich nur die Erinnerung an ein überaus liebenswertes Serien-Kleinod, das sich bewusst keinen Konventionen unterworfen hat und gerade dadurch in vielen Aspekten zu punkten wusste.


Zumindest einer Sache können sich die einsamen Helden Langly, Byers und Frohike bei aller Tragik dann doch sicher sein: erst durch sie und ihre immer wichtiger werdende Rolle bei „Akte X“ wurde der Prototyp des sogenannten technogeeks geboren. Eine Spezies, die zweifellos auch in Zukunft noch von sich reden machen wird und derzeit unter anderem in der Hit-Serie „Supernatural“ in Gestalt eines paranormal interessierten Blogger-Pärchens Einzug hält. Was wieder einmal zeigt, dass auch die, die still und heimlich im Verborgenen für Recht und Ordnung einstehen, die (Serien-)Welt bereichern können. Ohne viel Zutun, ohne dass jemand überhaupt von ihrer Existenz weiß. Freilich ein schwacher Trost für die im Gegenzug in Kauf genommene Einsamkeit, die die wahren Helden wegstecken, als würde es ihnen rein gar nichts ausmachen.


Vielleicht ist ja dies der Preis, den man zu zahlen bereit sein muss. Vielleicht. Eventuell müssen unsere Augen aber auch erst noch geöffnet werden, um den Schein vom Sein zu trennen.

Eine Rezension von Stefan Rackow
(13. Mai 2009)
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Daten zur Serie
Die Einsamen Schützen USA, Kanada 2001
(The Lone Gunmen)
Regie Bryan Spicer, Richard Compton, u.a. Drehbuch Chris Carter, Vince Gilligan, Frank Spotnitz, John Shiban, Thomas Schnauz, Collin Friesen, Nandi Bowe
Produktion Chris Carter, Vince Gilligan, John Shiban, Frank Spotnitz (20th Century Fox Television) Kamera Barry Donlevy, Robert McLachlan
Darsteller Bruce Harwood, Tom Braidwood, Dean Haglund, Zuleikha Robinson, Stephen Snedden, Jim Fyfe
Länge 13 Folgen à ca. 42 Minuten (1 Staffel) FSK ab 12 Jahren
Filmmusik Mark Snow
Entwickelt von Chris Carter, Vince Gilligan, John Shiban, Frank Spotnitz
Guest starring Mitch Pileggi, Michael McKean, David Duchovny
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