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Die Nacht der Generäle

Die Nacht der Generäle

Ein Film von Anatole Litvak

(England / Frankreich, 1967)



"What is admirable on the large scale is monstrous on the small."



Drei Nazigeneräle; einer soll eine Prostituierte im besetzten Warschau ermordet haben. Das Cover der deutschen DVD-Version fragt: „Wer ist der irre Dirnenmörder in Uniform?“. Auf Plakaten heißt es: „A manhunt across the capitals of Europe… across three decades!“ Im Vorspann geht´s los. Nahaufnahmen von Streifen an Uniformen, Mützen, Hakenkreuze, goldene Adler. Und: sparsam ausgeleuchtete Frauenbeine in Netzstrümpfen, schlanke Taillen. Diese Assoziation soll vermutlich wohlige Schauer der Frivolität über Zuschauerrücken jagen.

Keine Frage, da will jemand ordentlich auf den Putz hauen. Wer Trash, strahlenden Sondermüll der Extraklasse erwartet, wird aber enttäuscht. Ein Blick auf die Besetzung macht stutzig: Omar Sharif, Peter O´Toole, Donald Pleasence, Christopher Plummer. Der Regisseur Anatole Litvak ist auch nicht in der Schmuddelecke zu Hause.

The Night of the Generals (Die Nacht der Generäle, 1967), auf dem Roman von Hans Hellmut Kirst (08/15) basierend, íst kein Trash, aber auch kein besonders komplizierter Film. Formal konventionell, aber thematisch eigenwillig. Es beginnt mit der Entscheidung, die Kamera auf Nazis zu richten. Wenn man dem Theorem zustimme, dass das bloße Gezeigte im Kern schon affirmativ sei, dann haben Menschen mit
eingebautem Politischen-Korrektheits-Chip schon mal Probleme. Der ermittelnde Major Grau (Omar Sharif) ist eindeutig ein Charakter, den der Zuschauer mögen soll und kann. Er ist Gerechtigkeitsfan, übersieht zielsicher alle Demarkationslinien, die in einem besetzen Polen an der Tagesordnung sind. Nur: er trägt eine Naziuniform. Fast alle tragen Uniformen. Und da weiß man nicht so recht, ob man überhaupt Symapthien vergeben, oder lieber ganz auf Distanz bleiben sollte.

Aber wer solche Bedenken beiseite schiebt, lässt sich auf ein interessantes Konstrukt ein, ein Hybrid aus Kriminalstück und Geschichtsdrama. Grau macht sich auf die Suche nach dem Mörder, wird dabei, ganz und gar zufällig, von Warschau nach Paris versetzt - wo bald wieder eine Prostituierte ermordet wird. Schnell hat er drei Kandidaten im Visier. Und die haben es in sich.

General Seidlitz-Gabler (Charles Gray) und General Kahlenberg (Donald Pleasence) sind der Verschwörer des 20. Juli. Seidlitz-Gabler ist ein feister aber harmloser Tiefstapler, Kahlenberg ein lustfeindlicher und pflichtfixierter, manchmal auch zerknirscht kalauernder Pragmatiker, der nur für seine Aufgabe lebt. Und da der historisch aufgeklärte Zuschauer weiß, dass man als Verschwörer alle Hände voll mit Planungsarbeit zu tun hat, geht der Blick schnell gen Kandidat Nr. 3.

Die Nacht der GeneräleDie Nacht der GeneräleDie Nacht der Generäle
Peter O´Toole spielt General Tanz. Der deckt einen Gutteil aller Persönlichkeitsmerkmale ab, die Adorno oder Fromm in ihren Analysen zum autoritären respektive faschistischen Charakter konstatierten. Menschenverachtung: selbstredend. Ordnungs- und Systematisierungsfanatismus: absolut. Waschfimmel: aber hallo. Während seine Kollegen mit der Ermordung Hitlers beschäftigt sind, spannt Tanz den jungen Offizier Hartmann (Tom Courtenay) für einen Paris-Trip ein, doch ist er nur scheinbar an Kunst, Geschichte und gutem Essen interessiert.

Die mitunter beste Szene ist die, wo Tanz vor dem Selbstbildnis Van Goghs eine Art Psycho-Koller bekommt. Die Körpersprache des Irrsinns ist im Mainstream-Kino nicht gerade subtil, aber wirkungsvoll angelegt: Zittern, Augenrollen, Hände vors Gesicht schlagen, taumeln und wanken, lustig hinfallen. Das volle Programm. Das ist nicht neu, aber gut gespielt. Was Tanz da in diesem Bildnis erkennt, erfährt man nicht. Man kann sich seinen Teil dazu denken (zum Beispiel: ein Irre erkennt den anderen).

Als Krimithriller ist Night of the Generals sehr annehmbar, obwohl man sich die Who-Done-It-Frage fast sparen kann. Geschichtskunde darf man keine erwarten.

Man fragt sich die ganze Zeit, wie diese eigentümliche Verschränkung wohl motiviert ist. Krawall und wohliger Spass an der Melange von möglichst knalligen Konzepten wie Sex und Nazitum könnte eine Antwort sein. (Man studiere hierzu die einschlägig bekannten Streifzüge von Herrn Christian Genzel auf dieser Seite zu ähnlichen, ähm, „Ergüssen“. Stichwort: SS Camp 5 – Women´s Hell, ect. pp.).

Aber das ist es nicht, denn Litvaks Film verlässt sich mehr auf Unterflächenspannung. Vielleicht hatte man sich Robert Siodmaks Nachts, wenn der Teufel kam (1957) angesehen. Auch da jagen deutsche Kommissare in den frühen 40ern einem Mörder (Mario Adorf in seiner ersten großen Rolle) hinterher, während links und rechts die Bomben der Alliierten einschlagen.

Zieht Litvak überhaupt einen Gewinn aus diesem Wagnis?

Kaum. Das Attentat auf Hitler dient als dekorativer Hintergrund, nicht als Motor analytischer Reflexionen. Und das ist für einen Unterhaltungsstreifen vielleicht zu viel erwartet. Bedenkenswert hingegen scheint die (eher implizierte als offen gestellte) Frage nach der Relevanz eines einzelnen Menschenlebens in einem beispiellosen Krieg. Für Major Grau zählt die Rechtsstaatlichkeit auch in diesen Zeiten des Ausnahmezustandes, sie zählt auch für Nicht-Arier. (Und das ist fast schon ein schlechter Witz, wenn man die zeitgenössischen, strukturanalytischen Studien von Ernst Fränkel und Franz Neumann kennt.)

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So entsteht die etwas sonderbare Doppelsituation, dass es um Mord an zwei Frauen geht, während drumherum schon seit Jahren Millionen Menschen sterben und die Protagonisten dieses sozialen Rahmens schon seit Jahren nichts anderes machen als Morden. Diese 'Schieflage' bringt der französische Inspektor Morand (Philippe Noiret) schön auf den Punkt, als ihn Grau nach einem General ausfragt, der des Mordes verdächtigt wird: "Sind nicht irgendwie alle Generäle Mörder?!" Sharif kontert mit einem ähnlich spitzfindigen Aphorismus: "Was im Großen bewundert wird, wird im Kleinen als abstoßend betrachtet."

Spannend bleibt dann die Frage, was sich mit dieser Erkenntnis anfangen lässt. Funktioniert ein Krimi im Rahmen des Ausnahmezustand des Krieges überhaupt noch? Braucht er nicht die Normalität, um zu funktionieren, zu atmen? Was unterscheidet einen kriminalistisch relevanten Mord noch vom Sterben auf Schlachtfeldern und in Konzentrationslagern?

Aber, Gegenfrage: sind dann zwei Menschenleben etwa weniger wert, und kann man dann getrost auf eine Ermittlung pfeifen - nur weil eh Krieg ist? Muss man gerade dann die Mühlen der Justiz demonstrativ mahlen lassen, um zu beweisen, dass Krieg nicht alles rechtfertigt und letzten Endes zur Anarchie führt? Oder, etwas negativer formuliert: muss man gerade in dieser Zeit einen Rest schäbiger Scheinnormalität wahren?

Als Milieustudie und psychologische Schauergeschichte entwickelt Night of the Generals einen ganz gewissen Reiz. O´Toole legt seinen verrückten Nazi-Kommandeur als verbissenen Pedanten und Gewaltneurotiker an, der ‚zum Spass’ ein ganzes Warschauer Stadtviertel in Schutt und Asche legen lässt. Ein steifes Brett in Uniform, doch in ihm kocht es. Der Wahnsinn bricht in kurzen, eruptiven Schüben aus, wie in der Van Gogh-Szene. Beides sind sehr verstörende und gespenstische Szenen.

Donald Pleasence wiederum entwickelt einen lakonischen, trockenen Witz, der so manchen Dialog veredelt. Mein Lieblingspart: Als er den jungen Gefreiten Hartmann darauf vorbereitet, einen Tag lang Fremdenführer und Ordonnanz für den irren Tanz spielen zu müssen. „Tun Sie, was nach seinem Geschmack ist. Hoffen wir, dass SIE nicht nach seinem Geschmack sind. Wenn doch, betrachten Sie es als Dienst am Vaterland.“

Den auf Plakaten meist groß mitangekündigten Christopher Plummer gibt es allerdings nur in einer Minirolle als Wüstenstratege Rommel zu sehen.

Die Länge: zweieinviertel Stunden, das ist ordentlich (bzw. ordentlich lang). Wem Litvaks bedächtiger Inszenierungsstil passt, muss nicht unruhig im Sessel herumrutschen. Wer höhere Schlagzahlen braucht, ohne sich auf Niveau-Glatteis zu begeben, muss Sam Peckinpahs Cross of Iron (Steiner - Das eiserne Kreuz, 1976) gucken.

Night of the Generals ist, wir betonen es noch einmal, ein Unterhaltungsfilm. Das muss man im Kopf behalten, auch wenn die Kulisse zu mehr herausfordert. In seiner Themenverschränkung bleibt er bis heute eigenwillig.

Eine Rezension von Gordon Gernand
(21. Dezember 2008)
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Daten zum Film
Die Nacht der Generäle England / Frankreich 1967
(The Night of the Generals)
Regie Anatole Litvak Drehbuch Joseph Kessel / Paul Dehn (Script), Hans Hellmut Kirst (Romanvorlage)
Produktion Horizon Pictures, Filmsonor Kamera Henri Decae
Darsteller Peter O'Toole, Omar Sharif, Donald Pleasence, Charles Gray, Christopher Plummer, Tom Cortenay, Joanna Pettet, Philippe Noiret
Länge 138 Min. FSK
Filmmusik Maurice Jarre
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