(USA, 2009)
(Start: 24. 09.)
Manchmal kann man ein Remake vor dem geistigen Auge scheitern sehen, noch bevor nur ein Bild über die Leinwand flimmert. Manchmal meint man, auf dem Reißbrett im Kopf erahnen zu können, was für schreckliche Updates sich Regisseur und Produktion ausgedacht haben könnten, um einen alten Film fit für das Hier und Jetzt zu machen (und dem Original ebenbürtige Wiederverfilmungen kommen ungefähr so häufig vor wie gut bezahlte Arbeit in Berlin oder günstige Wohnungen in München). Manchmal möchte man gar nicht erst hinschauen.
Einen Regisseur wie Tony Scott wird ein Hochglanzhit wie
Top Gun (1986) ein ganzes Leben lang verfolgen. Seinen Bruder Ridley wird man immer für
Alien (1979) oder
Blade Runner (1982) loben, gar lieben. Andere Plagegeister wie Michael Bay wiederum holen sich im Feuilleton regelmäßig Verrisse ab für seelenlosen Krawallkommerz (sein Kontostand wird ihn mehr als entschädigen). Auch Scott arbeitet heute noch gerne mit dem Produzenten Jerry Bruckheimer zusammen, der ja sonst für seine unheilige Allianz mit Bay bekannt ist. Doch Tony Scott ist kein Hassobjekt (mehr), dazu kamen im Laufe der Zeit viel zu viele Werke hinzu, die man guten Gewissens als sehr solide Actionkost bezeichnen kann.
Jetzt verfilmte er Joseph Sargents
The Taking of Pelham 123 (
Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123, 1974), im O
riginal ein rustikaler Krimithriller. Er spielt in New York, dort, wo das Verbrechen im Kino schon immer zu Hause war und der Ausnahmezustand nicht ganz so außergewöhnlich wie anderswo.
Scott beweist zuerst einmal Geschmack: der Plot lässt sich kurz und knackend auf den Punkt bringen. Das ist immer ein Qualitätsmerkmal guten Spannungskinos. Er hat überhaupt, mal so gesagt, viel weniger falsch gemacht, als zu befürchten stand.
Vier Gangster nehmen eine ganze U-Bahn und ihre Insassen als Geisel, mitten in der Rush Hour. Kriegen sie nicht innerhalb einer Stunde ein saftiges Lösegeld serviert, wird jede Minute eine Geisel erschossen. In der Kommandozentrale des New Yorker Verkehrsbetriebes hockt Dienstleiter Walter Garber (Denzel Washington) und versucht zu verhandeln.
So macht man das. Man schickt keine vier Gnome und einen alten Mann mit Bart drei ellenlange Filme lang auf die Reise, um einen Ring ins Feuer zu werfen. Man lässt auch keinen Computercrack herausfinden, dass die Welt in Wirklichkeit von superintelligenten Schraubenhaufen beherrscht wird und dann zwei überflüssige Filme lang gegen großmäulige Computerviren in Menschengestalt kämpfen. Oder zumindest glaubten die verwirrten Zuschauer das als Kern der Handlung ausmachen zu können. (Hat je ein Mensch die Handlung der beiden
Matrix-Nachfolger begriffen?)
Und wenn man schon neuverfilmt, dann bitteschön von einer stilvollen Vorlage – und Sergants Film ist stilvoll.
Natürlich geht nichts ohne Zugeständnisse an das aktuelle Kalenderjahr. Es muss alles schneller gehen, die Bilder müssen Krach schlagen, schnelle Schnitte, Videoclipästhetik, damit das Jungvolk nicht einschläft. Aber Scott hat aus dem Original keine tumbe Actionnummer gemacht. Er konzentriert sich auf die Spannung, die die Situation per se serviert – und die ist ja weiß Gott spannend genug, oder?
Auch die politische Neujustierung überrascht wenig, nett anzusehen ist sie trotzdem. Im Original sind die Geiselnehmer Söldner, die ihre Profession nun anderweitig ausüben. Bei Scott ist zumindest der Anführer, gespielt von John Travolta, ein ehemaliger Börsengott von der Wall Street, der sich nach zehn Jahren Knast wegen Betruges nun seinen ‚verdienten’ Lohn abholen will. Das mutet etwas zu zeitgeistgeil an, aber spätestens seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise weiß man, wie unterentwickelt das Unrechtsbewusstsein bei so manchem Vertreter dieses Berufstandes ist.
Mit seinen Hauptdarstellern hat sich Scott zwei große Namen ausgesucht, die ihre Rollen wie durchtrainierte Zirkuspferde beherrschen. Zudem modelliert und vertauscht der Regisseur die Persönlichkeitsprofile seiner Protagonisten. Im Original war Garber (damals Walter Matthau) ein raubeiniger Kettenraucher, der immer wieder sarkastische Seitenhiebe austeilt (und das in einem an Sarkasmen nicht gerade armen Film), der sein Ziel mit stoischer Beharrlichkeit verfolgt. Der Brite Robert Shaw, der den Bandenanführer spielte, blieb bis zum Schluss ein sardonischer, stets beherrschter und reservierter Killer. Der Figur, die Washington nun spielt, ist jede Verbalfrotzelei fremd; eine eifrige, emsige Arbeitsbiene, die es sich nie einfallen lassen würde, zu spät zum Dienst zu kommen. (Und trotzdem, seltsamerweise, im Verdacht steht, bestechlich zu sein.) Travolta hingegen mimt den psychopathischen, überdrehten Bösewicht (Marke Gary Oldman in
Leon – Der Profi, 1994), der sich nur mit Mühe unter Kontrolle hat und Garber in bizarre Konversationen über Schuld und Sühne verstrickt.
Den sehr einfallslosen Schluss muss man sich schenken. Da lässt Scott Jäger und Gejagten in einem kurzen Showdown miteinander zusammenkrachen, das erste Mal stehen sie sich gegenüber. Die Nummer mit dem kleinen Mann, der über sich hinauswachsen muss, die hatten wir schon.
Unterm Strich ist Scotts Remake besser als vergleichbare Dutzendware. Es gehört in die Reihe von schnellen Actionreißern, die immer auch eine gute Geschichte erzählen. Die zeitgenössische Kritik sagt selten bis nie ‚Meisterwerk’ dazu – soll man die gute Geschichte loben oder sich an der Action im gefühlten Zeitraffertempo stoßen? Und, was viel interessanter ist: wird das mal anders? Wird das junge Publikum von heute Tony Scott-Filme in zwanzig Jahren legendär oder genial nennen? Ist alles nur eine Frage der kulturgeschichtlichen Perspektive?
Time will tell.