Er ist einer größten Narzissten, die sich momentan ihren Weg durch die Branche bahnen dürfen: Nicolas Winding Refn, durch „
Drive“ in aller Munde und anschließend ausgebuht bei der Cannes-Premiere von „Only God Forgives“. Der exzentrische Däne polarisiert, weil er keinen Hehl daraus macht, dass er Filme in erster Linie für sich allein dreht – und sich dabei selbst natürlich unlängst als Marke definiert. So ist es auch kaum verwunderlich, dass im Zuge der Titelsequenz von „The Neon Demon“ nicht nur das eigeninitiierte Wertzeichen NWR in der unteren Hälfte des Bildes verharrt, sondern auch sein Name simultan in überdimensionierten Lettern über die Leinwand berstet. Doch vollkommen egal, wie man zu der öffentlichen Persönlichkeit Nicolas Winding Refn auch stehen mag, ob man an seinem exaltierten Gebaren Gefallen findet oder es grundsätzlich ablehnt, wird man zwangsläufig zugeben müssen, dass der in Kopenhagen geborene
Auteur zu den virtuosesten Aushängeschildern der (post-)modernen Filmkultur zählt.
Nachdem „Only God Forgives“ die Gemüter zuletzt also gezielt mit dem Dha-Schwert gespalten hat, von den einen als metaphorische Dekonstruktion maskuliner Archetypen und Vergeltungsphantasien verstanden, von den anderen zum substanzlosen Schmalspur-“Ödipus“ herabgesetzt, sollte es im nächsten Schritt natürlich eine müßige Frage bleiben, mit welcher Vehemenz Ref
n seiner querköpfigen Arbeitsphilosophie in seinem neusten Streich die Treue schwören wird. Wer sich bereits ausgiebig mit dem Schaffen Refns auseinandergesetzt hat, der wird wissen, dass die Antwort nur eine sein kann: Der Mann liebt sich viel zu sehr, als dass er ernsthaft den Anbiederungsversuch unternehmen würde, (wieder) in der Gunst Außenstehender zu steigen. Dementsprechend könnte man an dieser Stelle nun verlauten lassen, dass „The Neon Demon“ ein egoistisches Projekt geworden ist, welches sich primär um die eigene Achse dreht und sich dem Publikum ostentativ verschließt. Dem ist aber nicht so, sucht Refn doch immerzu den Kontakt mit Gleichgesinnten und weidet sich gleichermaßen am Sehen und Gesehen werden.
Das heißt, dass die Werke des Nicolas Winding Refn zweifelsohne nicht für jedermann zugänglich sind, keine Frage, aber jedem Zutritt gewähren, der in der Lage scheint, „zu sehen“. Und „The Neon Demon“ ist ein Film geworden, der sich genau mit diesem Themenaspekt des Sehens und des Gesehen werden beschäftigt, verlegt Refn seine Handlung doch geradewegs in das Modelbusiness von Los Angeles. Eine von Neonlichtern regelrecht geflutete Parallelwelt, die das menschliche Antlitz so weit abstrahiert, bis es nur noch wie ein aus Marmorstein geschlagenes Zerrbilder seiner selbst erscheint. Alles, was hier von Belang anmutet, sind die Ideale der Oberflächlichkeit:
„Beauty isnt everything. Its the only thing.“ In diesem klinischen Kosmos findet sich die 16-jährige Jess (Elle Fanning, „
Super 8“) wieder, die Refn zuvorderst als Symbol und Projektionsfläche versteht. An ihrer Unschuld veranschaulicht „The Neon Demon“ die bedrohliche Verkommenheit jenes schmierigen Geschäfts und lässt Jess, diesen sanften Lichtkegel inmitten moralischer Abwege, von der allgegenwärtigen Dunkelheit verschlucken.
Selbstverständlich gibt es in dieser (Plastik-)Welt, die sich allein über das Aussehen artikuliert, über Glitzerstaub in den Haaren, über extravagante Schminke im Gesicht und das Ausstellen von Modekollektionen an den Körpern, nichts, was wirklich in Relation mit natürlicher Schönheit gestellt werden könnte – und wenn, dann wird es durch die Mühlen der Liederlichkeit getrieben und vollkommen entkernt. Für Nicolas Winding Refn ist der profilneurotische Modelwahn ein reines Lügengebäude, welches er benutzt, um sein Wechselspiel aus Sehen und Gesehen werden anzustimmen. Wir blicken über die gut 110-minütige Laufzeit auf einen sterilen Kokon, in dessen Inneren sich ein Ballungsraum befindet, in dem Missgunst, Opportunismus, Konkurrenzgefechte, Eifersüchteleien und materialisierte Psychosen gedeihen und die blutbesudelten Hände reichen. Refn pathologisiert sein Sujet nach Strich und Faden, dringt in die krankhaften Ausformungen der Psyche vor und hat, hinter all seiner offenen Abneigung gegenüber diesem Metier, doch auch ein gewisses Mitleid dafür übrig, wenn die Menschen nach lebendiger Liebe gieren, doch nur Zuneigung im kalten Fleisch der Leichenhalle finden.
Ausschlaggebend ist aber, wie auch im Falle von „Walhalla Rising“, „Drive“ und „Only God Forgives“, wie Nicolas Winding Refn seine Geschichte entfaltet. Ihm geht es nicht um konventionelle Erzählstrukturen, von denen hat sich sein Output ohnehin schon frühzeitig verabschiedet, zeigte der offenkundige
Genre-Aficionado doch immer mehr Freude daran, genreimmanente Regeln respektive Mechanismen zu torpedieren, anstatt sie zu bestätigen. In „The Neon Demon“ wird dieser Umstand nun noch augenfälliger, fehlt dem Film doch aus sub- und metatextueller Perspektive die (psycho-)analytische Tiefe eines „Only God Forgives“, was das Narrativ noch purer (aber nicht auf dem gleichen Intensitätslevel wie bei dem hervorragenden Vorgänger) auf audiovisuelle Eindrücke bauen lässt. Durchkomponierte Tableaus werden von dröhnenden Synthesizern akzentuiert und geben der geometrisch-symmetrischen Bildkonfiguration den unverkennbaren Refn-Rhythmus, irgendwo zwischen statisch-tranceartiger Entschleunigung und diabolisch-greller Hochgeschwindigkeit temperiert. Man muss nur den Mut aufweisen, hinzusehen und mit den Wellen des Farbenmeers zu gehen. Genau dann erwartet einen eine Idee von der Essenz des Kinos.
Cover & Szenenbilder: ©Amazon Studios