(USA, 2007)
Kinostart: 08. November
"Says the man in the airconditioned room."
Anders als sein Freund Paul Newman schaffte es Robert Redford nicht auf Richard Nixons berüchtigte Feindesliste. Dort hatten der amerikanische Präsident und sein Hauptberater Charles W. Colson eine Liste der gefährlichsten, weil einflussreichsten republikanerfeindlichen Liberalen zusammengestellt, um ihnen das Leben schwer zu machen. Zum Beispiel: Steuerbehörde auf den Hals hetzen, Skandale initiieren und ähnliche schlechte Scherze. Newman belegte als einziger Kunstschaffender einen respektablen neunzehnten Platz, was er zeitlebens als Auszeichnung verstand. Newman und Redford, eines der präsentesten und potentesten Pärchen in der Geschichte Hollywoods, verband sowohl der cineastische Erfolg als auch ihr politisches Engagement für die Bürgerrechtsbewegung und mannigfaltige soziale und ökologische Projekte.
Anders als Newman liebte Redford jedoch seit jeher die moralische Eindeutigkeit im Film. Seine Figuren sind starke, integre Helden, meistens frei von jedweder Ambivalenz. Er spielte den Watergate-Aufklärer Bob Woodward in Alan J. Pakulas
All The Presidents Men (
Die Unbestechlichen, 1976), den mutigen Einzelkämpfer in Sydney Pollacks Agentenklassiker
Three Days Of The Condor (
Die drei Tage des Condors, 1975), den idealistischen Jungpolitiker in
Bill McKay – Der Kandidat (Michael Ritchie, 1972) und den nicht minder idealistischen Gefängnisdirektor in
Brubaker (Stuart Rosenberg, 1980). Und im Gegensatz zu Newman fand sich Redford auch hinter der Kamera zurecht. Für sein Drama
Ordinary People (
Eine ganz normale Familie, 1980) reichte man ihm fast alle wichtigen Oscars, darunter den für die beste Regie. Nun hat er seinen bislang politischsten Film gemacht.
Von Löwen und Lämmern platziert sich mitten in die Renaissance des system- und geschichtskritischen US-Films, die an die New Hollywood-Phase der Siebzigerjahre erinnert. Dabei werden aktuelle politische Diskurse entweder im Hier und Jetzt thematisiert (wie in
Syriana), oder vor dem Hintergrund der jüngsten amerikanischen Historie vexiert (wie in
Der gute Hirte oder
Good Night and Good Luck). Auch Redfords neueste Arbeit entspringt einem aufklärerischen Impetus, der nach Verfehlungen fragt und mehr Reflexion und Wachsamkeit einklagt, vor allem gegenüber ‚denen da oben’.
Zuerst ist es fast rührend zu sehen, was für ein Film
Von Löwen und Lämmern aus künstlerischer Sicht geworden ist. Ein Kammerspiel, das sich auf wenige Szenerien und Personen beschränkt, ein großer, sokratischer Dialog. Und die Botschaft, die sich aus dem Zusammenspiel dieser Handlungsstränge herausschält, ist um vieles leichter zu dechiffrieren als in dem komplexen Puzzle
Syriana. Wir sehen Tom Cruise als Senator Jasper Irving, der sich die renommierte Journalistin Janine Roth (Meryl Streep) in sein Büro bestellt hat, um ihr seine brandneuesten Strategien im „War on Terror“ als exklusive Non plus ultra-Lösung zu verkaufen. Wir sehen Redford höchstpersönlich, als (wie könnte es anders sein) idealistischen Politikprofessor Stephen Malley in seinem Sprechzimmer, der den intelligenten, aber phlegmatischen Studenten Todd (Andrew Garfield) zu mehr politischem Engagement animieren will. Und wir sehen die beiden freiwilligen GI´s Arian und Ernest (Michael Pena und Derek Luke), ein Schwarzer und ein Latino, ehemals Studenten von Malley, die in Afghanistan von ihrer Truppe getrennt und von Talibankämpfern umzingelt werden.
Man wird relativ schnell begreifen, dass die beiden nur deswegen in der Klemme stecken, weil Senator Irving eine Haurucklösung in Sachen Afghanistankrieg haben will. Natürlich um die Fahrkarte ins Weiße Haus zu lösen. Selbst als er per Telefon vom Fehlschlag seiner Operation erfährt, nimmt er keine Sekunde lang das Pokerface ab. Seine lupenreine Neocon-Rhetorik formt druckreife Parolen, die er Janine Roth mit Verve und Schneid in den Notizblock trompetet. Sogar original Bush-Phrasen sind dabei („Whatever it takes…“). Cruise spielt diese Rolle vermutlich deshalb so glänzend, weil sie seinem zahnpastalächelnden Naturel entspricht. Im Gegensatz dazu macht Meryl Streep keine gute Figur, da sie sich als angeblich gestandene Journalistin erstaunlich oft den Wind aus den Segeln nehmen lässt. Immer wieder schaut sie Irving nach einem verlorenen Wortgefecht mit großen, staunenden Augen an, wie eine blutjunge Anfängerin im Debattierclub. Als ob sie seine Argumente zum ersten Mal hören würde. Allerdings nutzt Redford gerade diese Konfrontation, um die Verflechtung der Medien im Krieg, des ‚embedded journalism’, zu reflektieren. Vielleicht stockt ihr deswegen immer wieder der Atem. Denn das Zitieren von Clausewitz bleibt nicht nur knochigen Generälen vorbehalten. Diese Nummer hatten, vor Beginn des Irakkrieges, auch Kommentatoren der Rheinischen Post drauf.
Redford hat mit seinem Studenten ein ähnliches Spiel vor. Auch er nutzt seine strukturelle Macht, um seinen Diskussionspartner in die Enge zu treiben. Nur geht es hier darum, einem aufgeweckten jungen Menschen zu mehr Teilnahme am politischen Geschehen zu bewegen. Natürlich hat Redford seine eigene Rolle nach allen Seiten abgesichert. Er ist liberal, aber kein Dampfplauderer wie Senator Irving, sondern hat – Trommelwirbel - selbst schon an der Front gekämpft. Damals, in Vietnam. Er hat für sich festgestellt, dass sich eine bessere Welt nicht am Schreibtisch herbeischreiben lässt. Deshalb sucht er nach Talenten und Freigeistern, gibt ihnen schon mal einen Schubs in die gewünschte Richtung. Bei Todd sind allerdings härtere Maßnahmen gefragt. Entweder er entscheidet sich für mehr Engagement, oder er wird durchfallen.
Auch Janine Roth wird zu einer fundamentalen Entscheidung gedrängt, denn ihr Instinkt und Sachverstand verrät ihr, dass die hochtrabenden Pläne von Senator Irving nichts als kalter Kaffe sind. Sie weigert sich, die Propagandatrommel für ihn zu schlagen. Ihr unbeeindruckter Chefredakteur setzt ihr die Pistole auf die Brust und erinnert sie dabei ganz unsanft an ihr ‚hohes’ Alter und ihre pflegebedürftige Mutter.
Zum Schluss sterben Arian und Ernest in Afghanistan im Gefechtsfeuer. Sie sterben für Schreibtischstrategen und Reißbrettgeneräle wie Jasper Irving. Die Lämmer sind arme Schweine, die im Gesellschaftssystem der USA hart um Akzeptanz kämpfen müssen. Und sie sind die ersten, die sich in die erste Reihe stellen, um jenes System zu verteidigen, wenn auch aus mitunter naiven Motiven. Also sind sie die wahren Löwen, die für die wahren Lämmer auf die Schlachtbank müssen. Deshalb auch der grammatikalisch feine Unterschied im Originaltitel:
Lions For Lamps.
Dabei schafft Redford das abstruse Kunststück, Systemkritik im Namen des Systems zu formulieren. Oder besser gesagt: im Namen jener Idee, die hinter dem System steht, oder stehen sollte. Seine Anklage gestaltet er derart allgemein und mehrdeutig, dass sie auch in konservativen Kreisen konsumierbar sein dürfte. Denn im Endeffekt wird der Afghanistankrieg als etwas Gutes dargestellt, das lediglich schlecht und unverantwortlich gemacht wird. Redford möchte wieder das gute Amerika, das liberale und tolerante Amerika. Auf seiner Seite dürfte er all diejenigen wissen, die dem Ende von Bushs zweiter Amtszeit entgegenfiebern. Er nimmt dabei zu jedem Zeitpunkt einen sehr kulturzentristischen Standpunkt ein, die Afghanen kommen bei ihm nur als gesichtslose Taliban vor. Seine Affinität zur Tränendrüsenpoesie ist kaum zu übersehen. Auch kommt er zum großen Finale nicht ohne soldatisches Heldenpathos aus, gestorben wird in elegischen Streichern.
Aber ankreiden sollte man Redford das eigentlich nicht. Sein Film soll ein Film über Amerika sein. Ein Aufklärungsversuch, der das uralte Versprechen einlösen soll, dass amerikanische Demokratie, selbst wenn sie korrumpiert und usurpiert ist, jederzeit erneuerbar sei. Die Zukunft wird zeigen, ob das nur ein frommer Wunsch eines alten Idealisten bleibt, oder der Anfang einer Regenration.