(USA, 1978)
„When I looked in her eyes they were blue, but nobody home”
(David Bowie, 'Scary Monsters')
„They're coming!!!“
Stichwort Remakes, Sinn und Unsinn. Wenn 1. ein Stoff noch heute beziehungsweise wieder aktuell und interessant ist und Erfolg an den Kinokassen verspricht, und weil 2. mit alten Filmen kein Geld zu verdienen ist, wird 3. ein Remake gedreht. Das Ergebnis mag manchmal einfallslos erscheinen, manchmal auch
über alle Maßen einfallslos, aber das macht das Original ja nicht schlechter.
Die besten Remakes sind fast immer die, die den Originalstoff neu definieren anstatt nur zu imitieren. John Carpenters
The Thing (
Das Ding aus einer anderen Welt, 1982) ist so ein Beispiel. Das Original von Howard Hawks (1951) war noch zu erkennen, nur änderte Carpenter die Personenanordnung, schrieb ein Drehbuch, in dem nur noch die Grundidee übrig blieb. Das Setting lies er wiederum bestehen, denn er wusste dass das ewige Eis der Antarktis einen tollen Schauplatz abgab.
Kaum ein Stoff wurde über die Jahrzehnte so oft neuverfilmt wie Jack Finneys
The Body Snatchers (1954) aus den Fünfzigerjahren. In dem Roman suchen sporenartige Außerirdische die Erde heim und ersetzen die Menschen durch emotionslose Duplikate. Ziel ist der vollständige Vernichtung der alten Menschheit und die Errichtung einer koll
ektivistischen Neuen Weltordnung, gereinigt vom Individuum und seinen schwächlichen Gefühlen.
Don Siegel war sofort zur Stelle mit
Invasion of the Body Snatchers (
Die Dämonischen, 1956), denn die Geschichte passte so gut in diese angstvolle Zeit, in der sich Amerikaner entweder vor der kommunistischen Invasion oder ihrer Bekämpfung durch McCarthy fürchteten. Danach ging es alle fünfzehn bis zwanzig Jahre weiter mit Philip Kaufmans
Invasion of the Body Snatchers (
Die Körperfresser kommen, 1978), Abel Ferraras
Body Snatchers – Die Körperfresser (1993) und am Ende James McTeigue und Oliver Hirschbiegel mit
The Invasion (2007).
Siegels Schwarzweißalptraum atmet die Erhabenheit des Original-Klassikers. Ferrara gelang nicht die gleiche Intensität der Vorgänger, ein sehr guter Thriller ist es gleichwohl geworden. Das letzte Remake litt unter dem infernalischen Produktionswirrwarr, bei dem Joel Silver auf halber Strecke Regisseur Hirschbiegel (
Der Untergang, 2004) durch McTeigue (
V for Vendetta, 2005) ersetzte und am fertigen Drehbuch rumfuhrwerken lies. Und immer noch war das Ergebnis irgendwie aller Ehren wert. Eine gute Geschichte bleibt eine gute Geschichte.
Doch es ist Phillip Kaufmans Version von 1978, die vielleicht etwas ganz Seltenes beanspruchen kann: Noch besser zu sein als sein Original.
Vom Land in die Großstadt
Schauplatz ist immer noch Kalifornien. Doch nicht eine kleine Vorstadt, sondern das große San Francisco. Dort erfreuen sich die Bewohner seit einigen Tagen an einer neuartigen Pflanze, die in der ganzen Stadt wächst, doch keiner weiß, woher sie gekommen ist. Die Kamera begleitet den Gesundheitsbeamten Matthew Bennell (Donald Sutherland) auf seinen Streifzügen durch einschlägig berüchtigte Restaurants.
Eines Tages fangen die Menschen um ihn herum an, verrückt zu spielen: seine Freundin Elisabeth (Brooke Adams), sein Freund, der erfolglose Schriftsteller Jack (Jeff Goldblum), dessen Freundin Veronica (Veronica Cartwright), selbst der Chinese von der Reinigung um die Ecke. Alle behaupten, dass sich Ehepartner und Freunde verändert hätten, abweisender und kälter geworden seien, ihre Persönlichkeit verloren hätten, sie als Bedrohung empfinden. „Sie ist falsch. Das ist nicht mehr meine Frau!“
Matthew glaubt es nicht so recht, bis er eines Nachts vor einem (noch) leblosen Körper steht, der dem seines neben ihm stehenden Freundes Jack wie ein Ei dem anderen gleicht.
Kaufmans Film ist ein Monument der Angst. Einer der fruchterregendsten und rabenschwärzesten Horrorstreifen, die jemals gedreht wurden. Ein grauenhafter Angsttrip, der direkt in Donald Sutherlands aufgerissenem Schlund endet und den Zuschauer verschluckt.
Kaum ein Film versteht es so gut, eine permanente Atmosphäre der Angst und der Bedrohung zu erzeugen. Ein Gefühl, dass mit jeder Szene, jeder Einstellung näher kommt, wie eine Schlinge um den Hals.
Kaufmans Techniken waren dabei so einfach wie wirkungsvoll. Vor allem zauberte er ein Stilmittel aus der Mottenkiste, das mit dem Ende des Schwarzweiß-Films etwas in Vergessenheit geriet: Das Spiel mit Licht und Schatten. In mehreren Szenen lässt er seine Protagonisten ins Halbdunkel abtauchen, platziert sie vor entstellende, verzerrende Spiegelkonstellationen. Das sind nicht nur Bilder die latentes Unwohlsein erzeugen. Sie belegen wie hinterhältig und effektiv Kaufman die Angstvisionen vom Identitätsverlust visuell ergänzt und verstärkt. Mathew taumelt durch einen Irrgarten, und die Feinde werden Stunde um Stunde mehr.
Auch das Sounddesign hat es in sich. Es gibt fast keine Hintergrundmusik, dafür elektronisches Gewaber. Auch das ist ein V-Effekt, der perfekt ins Gesamtbild des Schreckens passt, das Kaufman zeichnet. In einer der besten Szenen finden diese visuellen und akustischen Techniken zusammen: Matthew streunt durch die Stadt auf der Suche nach Hilfe, doch er weiß nicht wem er noch trauen kann. Die Menschen fängt Kameramann Michael Chapman in verzerrenden, überzeichneten Bildperspektiven ein, dazu blubbert im Hintergrund ein verfremdetes Herzfrequenzmessgerät.
Und der Schrei den die Ausgetauschten ausstoßen, wenn sie Menschen erkennen die noch nicht zu ihnen gehören, ist natürlich ebenso Terror in Akustik.
Dann diese sukzessive Spannungssteigerung. In vielen kleinen Einstellungen schafft es Kaufman die Gefahr an allen Ecken und Enden aufbrechen zu lassen, ohne seine Figuren davon Notiz nehmen zu lassen. Merkwürdige Gestalten an Glastüren, Menschen die vor einer Bedrohung zu fliehen scheinen, die noch kein Gesicht hat, und dann ganz schnell wieder aus dem Bild verschwinden. Wenn man nicht genau hinsieht entgehen einem diese Details gänzlich. Auch Matthew und Elisabeth merken erst mal nichts. Die Hektik und Geschäftigkeit der Großstadt ist ein starker Verbündeter des Feindes.
Die letzten Tage der Menschheit
Das Thema ist episch, es geht um nichts weniger als den Untergang der Menschheit. Es berührt einen der ältesten und vertracktesten Diskurse der Politischen Philosophie. Im Spannungsfeld zwischen den drei wesentlichen Antriebskräften des menschlichen Denkens und Handelns (Vernunft, Gefühl und Trieb) ist es immer die Neigung des Menschen zum Emotionalen und Triebhaften, die für Kriege, Verbrechen und Gräueltaten verantwortlich gemacht wird. Diesem angenommenen Zusammenhang wird nun eine fiktive Alternative entgegen gesetzt.
Die Außerirdischen stellen der Menschheit in Aussicht, in einer Welt ohne Verbrechen und Krieg leben zu können. Der Preis ist die Aufgabe jeder Emotionalität und Individualität. Ein zu hoher Preis?
Zugegeben, es ist ein sehr vereinfachtes Thema. Denn Gewalt, im Kleinen wie im Großen, ist so oft keine Folge von überbordenden Gefühlen, sondern, ganz im Gegenteil, von kalter, zynischer Rationalität, die nur den eigenen Vorteil und das eigene Überleben kennt. Doch die Frage bleibt spannend, so oder so.
In Aldeous Huxleys
Brave New World wird der Held, nur „der Wilde“ genannt, am Schluss von Mustafa Mannesmann gefragt in welcher Welt er denn leben wolle, verzichte man auf eine bis ins letzte Detail durchgenormte und kontrollierte Gesellschaft. Er fragt ob er das alles wirklich wolle: Krieg, Leid, Krankheit, Unglück.
Ist das der Preis?
Kaufman war klug genug auf so eine vertrackte Frage keine plumpe Antwort zu geben. Doch der Zuschauer mag schon stutzig werden, denn wann haben in Horrorfilmen die ‚Bösen’ gute Argumente zu bieten? Die schönste Stelle in der gerade noch mal gut gegangenen Version von Hirschbiegel/McTeigue ist die in der die Welt, anders als zuvor, definitiv gerettet wird. Die Invasion hatte tatsächlich einen tollen 'Nebeneffekt', die Welt wird friedlich, für kurze Zeit. Als dann ein Mittel gegen die Außerirdischen gefunden wird und ein Reporter den Wissenschaftler fragt, ob die Invasion endgültig gestoppt sei, blafft der ihn an: "Schauen Sie mal in die Zeitung. Wir sind wieder ganz Mensch."
Die politischen Konnotationen sind bei Kaufman schwächer ausgeprägt als beim Original. 1956 diente Siegels Schreckensszenario von Infiltration fremder Mächte, der Zerstörung der bekannten (amerikanischen?) Lebenswelt als Spiegelbild der Paranoia und des Konformitätsdrucks unter McCarthy. Siegel beteuerte in Interviews, er hätte dieses Angstklima mitnichten verstärken wollen. Es sei ihm um versteckte Ironie gegangen.
Kaufman wählte bewusst die ehemalige Hippie-Hochburg San Francisco als Schauplatz. Bei ihm sind es nicht die Kommunisten, sondern die Yuppies, die die Kontrolle übernehmen. Die Invasion, die Kaufman paraphrasieren will, ist die Wachablösung eines gesellschaftspolitischen Konsens. Eine radikale Veränderung des sozialen Klimas. In den bevorstehenden Achtzigern werden die Marktradikalen den Ton angeben. Im Weißen Haus, in den Vorstandsetagen und Denkfabriken, in den Wirtschaftsinstituten der Universitäten, in den Kommentarspalten der Zeitungen. Ronald Reagan wird Präsident.
Es wird künftig nicht mehr darum gehen, eine Gesellschaft als Ganzes zum Positiven zu verändern. Es wird nur noch um die Optimierung des Menschen gehen, damit der Wirtschaftskreislauf funktioniert und sich das Hamsterrad weiter dreht. Davon legt die grassierende Helf-dir-Selbst-Psycholiteratur Zeugnis ab. Eine fast pfiffige Rolle liefert Leonard Nimoy (Mr. Spock) ab. Er spielt Dr. Kibner, einen Populärpsychologen und Bestsellerautor, der Dummschwätzerei mit Common Sense verwechselt.
Die bösartigsten Konnotationen in diesem Film reichen bis in die jüngste (deutsche) Geschichte zurück. Die Art und Weise wie die Außerirdischen ihre nach der Reproduktion nutzlos gewordenen ‚Originale´ entsorgen, entwickelt sich zu einem groß angelegten und organisierten Treiben. Zu Massenmord. Dazu nächtliche Szenen mit Lastwagenkolonnen und Scheinwerfern. Wir werden Zeugen eines Genozids. Ausgeführt von Lebewesen die es als natürliches Recht des Stärkeren begreifen, anderes Leben zu beherrschen, zu beseitigen.
Grauen, Untergang und Spass dabei
Wie gesagt,
Invasion of the Body Snatchers ist dunkel und angsteinflößend durch und durch. Da kann man es kaum glauben, wie viel Spass und Spieltrieb der Regisseur und sein Team in Konzeption und Produktion steckten. Zu den Highlights zählt mit Sicherheit der Cameo-Auftritt von Kevin McCarthy, der im Original von 1956 die Hauptrolle inne hatte (nicht zu verwechseln ist mit dem radikalrepublikanischen Senator, um dessen Umtriebe es in dem Film ja indirekt geht). Man hat noch gut sein großes Gesicht mit den weit aufgerissenen Augen in der vorletzten Szene im Sinn, wie er vor der bevorstehenden Invasoren warnen will. Man müsste ihn für einen Irren halten, wäre man als Zuschauer nicht eingeweiht. Nun, 1978, läuft er Donald Sutherland vors Auto und gellt erneut: „Sie kommen!“ Als ob er die letzten zwanzig Jahre nichts anderes gemacht hätte, wie Kaufman einmal im Interview scherzte.
Don Siegel ist kurz als Taxifahrer zu sehen, Kaufman spielt einen Mann, der Sutherland vom Telefonieren abhalten will. Seine Frau liefert sich mit Jeff Goldblum einen literarischen Disput. Auch Robert Duvall taucht kurz auf. Grateful Dead-Gitarrist Jerry Garcia spielt Banjo. Das United Artists-Logo ist gleich mehrmals versteckt zu sehen.
Von diesem Spass merkt man im Film nichts. Er ist eine dunkle Straße, die direkt ins Nichts führt, in eines der legendärsten Unhappy Ends des Kinos.
Matthew wandelt in der letzten Szene über einen belebten Platz. Im Hintergrund eiert ein trauriges 'The Star-Spangled Banner'. Ist er einer von ihnen geworden oder nicht? Ist schon das ganze Land infiltriert? Die ganze Welt?
Veronika erkennt ihn, sie ist noch sie selbst. Sie spricht ihn an, Mathew hebt den Arm, dann kommt der Schrei. Die Kamera fährt in seinen schwarzen Schlund. Ein Abspann ohne Musik. Ein Schlag in den Magen. Doch war es nicht einfach großartig dass Spannungsfilme in den Siebzigern so grandios grauenvoll enden durften?
Kaufman wollte genau das Ende kreieren, dass Siegel damals nicht abliefern durfte. Die Chefetage von United Artists bekam es erst zu sehen, als der Film fertig produziert war. Es hätte Zeiten gegeben, da hätte man die Hände über den Kopf zusammengeschlagen. Doch es waren die tapferen Siebziger.
Es wird sogar richtig ironisch: Kaufman dreht ein alternatives Ende, das so etwas wie augenzwinkernden Humor enthalten sollte. Doch die Bosse waren begeistert, sie wollten es genau so rabenschwarz haben. Welch weise Entscheidung.
Invasion of the Body Snatchers ist eine gewaltige, bleischwere, epische Untergangsvision ohne Ausweg. War es damals, ist es heute noch. Man braucht etwas Zeit um aus der Schwärze von Donald Sutherlands Mund zurück ans Licht zu krabbeln.
Und falls es wen interessiert: Auf die Frage, ob die Möglichkeit von Unglück und Chaos einer friedlichen aber unfreien Welt vorzuziehen sei, ob man das auch noch wollen solle, antwortet der Wilde aus Huxleys Jahrhundertroman: „Ja, all diese Rechte fordere ich.“