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Moolaadé - Bann der Hoffnung

Moolaadé - Bann der Hoffnung

Ein Film von Ousmane Sembène

„Beschneidung ist Frauensache“

Als Ousmane Sembene im Juni 2007 starb verstummte eine der lautesten Stimmen Afrikas, wird der 1923 geborene Senegalese doch gemeinhin als Vaterfigur des schwarzafrikanischen Kinos wahrgenommen. Bevor Sembene sich in den frühen 60er-Jahren entschloss Filmemacher zu werden, war er bereits als Romanautor erfolgreich. Schon seine frühen Bücher wollten genuin afrikanische Geschichten erzählen, die an einem Dialog mit dem Volk interessiert sind und sich keineswegs nur an eine gebildete Elite richten. Getrieben von dem Wunsch, den einfachen Menschen Afrikas ein Sprachrohr zu bieten und bei diesem Vorhaben auch gehört zu werden, musste Sembene bald einsehen, das seine Bücher einem Großteil seines Zielpublikums verwehrt blieben. Da gerade in den Dörfern der Löwenanteil der Menschen Analphabeten sind suchte der politisch zeitlebens ambitionierte Künstler nach einem anderen Weg, um jene Menschen zu erreichen ohne aber eskapistisches Erbauungskino im Sinn zu haben

Für angehende afrikanische Filmemacher gab es auf dem Heimatkontinent keine Möglichkeit auf Ausbildung oder Finanzierung eigener Projekte. Ousmane Sembene ging nach Moskau, studierte dort Filmwissenschaften und realisierte 1963 mit dem 20-minütigen „Borom Sarret“ den ersten rein afrikanischen Film, der in seiner asketischen Gestaltung und seinem ungeschönten Blick auf soziale Missstände dem italienischen Neorealismus ähnelt, allerdings
eine eigene Ästhetik entwickelt und sich keineswegs hinter dem Einfluss europäischer Vorbilder versteckt. Stets begleitet von finanziellen Schwierigkeiten brachte es Sembene in seiner weiteren Karriere zwar „nur“ auf neun Langfilme, sein Verdienst für die afrikanische Kultur ist kaum zu unterschätzen. „Moolaadé“ ist sein letzter Film - eine kluge, unaufgeregt und abgeklärt erzählte Parabel über das Tabuthema Frauenbeschneidung. Eine Tradition, die seit Jahrtausenden existiert und noch heute im Großteil der afrikanischen Staaten (und auch auch darüber hinaus) praktiziert wird.

Die Handlung ist platziert in einem Dorf in Burkina Faso: Vier junge Mädchen erscheinen verängstigt im Hof von Collé (Fatoumata Coulibaly), die hier mit ihrem Ehemann, dessen zwei weiteren Frauen und ihrer einzigen Tochter Amasatou (Salimata Traoré) lebt. Die Mädchen befinden sich auf der Flucht vor ihrer Beschneidungszeremonie und suchen Schutz – denn im Dorf ist es allgemein bekannt, das Collé ihre Tochter nicht beschneiden ließt, als es vor sieben Jahren soweit sein sollte. Nach einiger Überlegung entschließt sich Collé den Mädchen Schutz zu gewähren und spricht ein so genanntes Moolaadè aus: einen gefürchteten Bann, der es jedem verbietet, sich unerlaubt Zutritt zu verschaffen. Auch wenn diese drastische Maßnahme in der patriarchalischen Dorfgemeinschaft Unmut hervor ruft ist der Respekt vor dem Bann stärker. Die Beschneiderinnen dagegen wollen versuchen, den Willen der aufmüpfigen Frau zu brechen und initiieren gesellschaftliche Restriktionen gegen Collé. Auch die anderen Frauen des Dorfes müssen bald unter der Extremsituation leiden, solidarisieren aber zunehmend mit Collé.

Ousmane Sembene, der schon in den meisten seiner früheren Filme starke weibliche Charaktere zeichnete und sich aktiv für die Frauenrechte einsetzte, verurteilt das archaische Ritual der Genitalverstümmelung aufs schärfste. Doch ganz im Gegensatz zu weich gespülten, vereinfachenden Machwerken wie Wüstenblume ist „Moolaadé“ sachlich im Ton und wirft einen authentischen Blick auf die Lebensumstände der hier porträtierten Menschen, der mit der touristischen Sensationsgeilheit europäischer und amerikanischer Produktionen nichts gemein hat. Sembene selbst versteht seinen Film als Grundlage für einen Dialog und er begegnet auch der Gegenseite mit Respekt. Schlichte Gut-Böse-Schemata greifen in einem solch komplexen Zusammenhang nicht und die konsequente Ambivalenz der Figuren mit einer klar lesbaren Botschaft zu verbinden gelingt in außerordentlicher Perfektion. Vielleicht ist es der sowjetischen Schule zu verdanken, wo die Filmemacher bekanntlich regelmäßig an der Zensur vorbei filmen mussten, das Sembenes Kritik so subtil und doch scharf durchdacht ist.

Selbst die bedrohlichen, in dunkelrote Kleider gehüllten Beschneiderinnen werden nicht dämonisiert, gleichwohl sie mit ihren verhärmten Gesichtszügen ein beängstigendes Bild abgeben. In „Moolaadé“ sind alle Figuren in ihren Geschlechterrollen sowie in ihrem gesellschaftlichen Ansehen verhaftet. So auch Collés Ehemann, der ihre Entscheidung geduldet hat, die eigene Tochter nicht beschneiden zu lassen und es ablehnt, Gewalt gegen Frauen anzuwenden. Erst auf das Drängen seines Bruders erhebt er die Peitsche gegen seine zweite Frau – Mehrfachehen werden hier als Selbstverständlichkeit hingenommen. Wenn schlussendlich die herrschende Ordnung aus den Angeln gehoben wird, geschieht dies nur über einen leidvollen Weg. Collé selbst ist auch keinesfalls eine klassische Heldin, die als Identifikationsfigur für die gelangweilte mitteleuropäische Hausfrau dient. Als die Kinder auftauchen, will sie sie zunächst schlagen ohne ihnen überhaupt eine Frage zu stellen und trotz ihrer selbstbewussten Haltung akzeptiert sie die herablassende Behandlung ihres Schwagers in stiller Demut.

Zwei weitere Mädchen, die sich Collé nicht anvertrauen wollten, wählen den Freitod und stürzen sich in den Brunnen. Eins der vier anderen Mädchen wird von der eigenen Mutter aus dem Moolaadé-Bannkreis gelockt und stirbt bei der Vollziehung der Beschneidung. All die grausamen Details der Geschichte führt der Film zwar nicht grafisch vor Augen, löst aber eine emotionale Erschütterung aus, die ihresgleichen sucht. Für den europäischen Zuschauer ist es in erster Linie die kulturelle Andersartigkeit, die einen zusätzlichen Reiz darstellt: „Moolaadé“ entführt durch eine wenig vertraute Erzählweise und eine fremde Ästhetik in eine andere Kultur, vorurteilsfrei und kritisch beleuchtet. Hier sei beispielweise der Volksglauben erwähnt, denn die Angst vor Flüchen und dunklem Zauber ist tief verwurzelt in den traditionell lebenden Stämmen Afrikas.

Gedreht wurde in einem Dorf, das bis zur Zeit der Dreharbeiten weder Telefonanschlüsse noch Elekrizität besaß. Am Set herrschte Chaos aufgrund verschiedener gesprochener Sprachen, der finanzielle Rahmen war eng abgesteckt, der Dreh immer wieder erschwert durch technische Probleme. Das Sembene in hohem Alter und unter solch widrigen Umständen ein so kompromissloses Ergebnis erzielen konnte zeugt von seiner unbestreitbaren Meisterschaft als Regisseur. Frei von emotionaler Manipulation, behandelt der Film sein Publikum als mündige, selbstständig denkende Menschen und lässt anhand eines exemplarischen Schicksals die Fakten für sich selbst sprechen. Das Gesamtwerk gewinnt an Glaubwürdigkeit durch die sehr natürlich agierenden Darsteller, die fast dokumentarische Schlichtheit der Bilder und die malerische Kulisse, deren Herzstück eine sehr alte, traditionell in Stachelschweinform gebaute Moschee ist. Entgegen dem schwermütigem Sujet ist „Moolaadé“ ein lebensbejahender und bunter Film geworden, der voller auf den Punkt formulierter Einsichten steckt, ohne diese aber selbstgerecht auszustellen. Das der Film ein persönliches Projekt voller Herzblut ist, steht im aber nicht nur in der optischen Gestaltung zu Gesicht, auch die Anteilnahme am Schicksal kleinerer Nebenfiguren wie dem Händler des Dorfes, einem ehemaligen Soldaten, zeugt davon. Dieser dreist feilschende „Söldner“ verkörpert nach eigener Aussage die neue freie Marktwirtschaft und wird am Ende für die eigene Zivilcourage grausam bestraft.

Die Zerstörung der Radios nimmt zum Ende hin eine bedeutende symbolische Stellung ein: Im Zuge der Restriktionen gegen die Frauen des Dorfes, vornehmlich gegen jene auf Collés Seite, werden alle Radios des Dorfes beschlagnahmt und auf eine Weisung des Stammesältesten verbrannt. Gleich einem Scheiterhaufen wird hier die Engstirnigkeit aufgezeigt, die alle Einflüsse von außen abhält um die patriarchalische Struktur des Dorfes nicht zu gefährden – schließlich hat Collé durch eine Radioübertragung die Rede eines islamischen Geistlichen verfolgen können und so erfahren, das der Koran keine Beschneidung der Frau fordert. Zuvor hatte der Stammesälteste seinem Sohn verboten, das aus dem Ausland mitgebrachte Fernsehgerät für die Dorfbewohner zugänglich zu machen. Zuletzt erheben sich nicht nur die Frauen gegen ihre Unterdrücker, auch die weltoffene Jugend bietet der Elterngeneration die Stirn. Sembene zeichnet in diesem hermetisch abgeschlossenen Mikrokosmos (die gesamte Handlung findet in dem winzigen Ort statt) ein Afrika im Umbruch. Endgültig untermauert wird diese hoffnungsvolle Sicht auf eine bessere Zukunft durch das letzte Bild in „Moolaadé“, welches unkommentiert eine Antenne in Großaufnahme zeigt, die in diesem Zusammenhang zum Wegweiser in die Zukunft gesehen werden muss. In den Medien sieht Sembene die Chance, die Landbevölkerung weitläufig zu informieren – natürlich nicht nur in Bezug auf die Genitalverstümmelung. Primär ist Sembenes letzter Film ein Plädoyer für Gedankenfreiheit, Gleichberechtigung und individuelle Meinungsbildung.

So positiv die Moral auch ausfällt, so bleibt es doch eine deutliche Mahnung: Freiheit muss erkämpft werden und dazu ist intensiver Einsatz nötig. Sembene gibt dem afrikanischen Volk viel mit diesem letzten Film, doch er fordert mindestens genauso viel zurück. Während dem populistischen Pseudo-Dokumentarfilm „Fahrenheit 9/11“ 2004 in Cannes die Goldene Palme verliehen wurde, musste sich ein aufrichtig humanistisches Meisterwerk wie „Moolaadé“ mit zwei Preisen in Nebenkategorien begnügen. Um die Verbreitung des Films in Afrika selbst und nicht nur auf internationalen Festivals voran zu treiben wurden zahlreiche Synchronisationen angefertigt und damit die Sprachbarriere aus der Welt geschafft. Das diese in Afrika unübliche Auswertung stattfindet, belegt zusätzlich die kulturelle und politische Relevanz dieses vielschichtigen Ausnahmefilms.

Nachtrag zur DVD: Die deutsche Veröffentlichung von Neue Visionen präsentiert den Film in exzellenter Bild- und Tonqualität, im untertitelten Original. Zusätzlich enthält die DVD wertvolles Bonusmaterial wie ein Interview mit Sembene und ein Making Of, das Einblick in die Dreharbeiten bietet.

Eine Rezension von Marco Siedelmann
(22. Oktober 2009)
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Daten zum Film
Moolaadé - Bann der Hoffnung Senegal, Burkino Faso, Kamerun, Frankreich, Marokko, Tunesien 2004
(Moolaadé)
Regie Ousmane Sembène Drehbuch Ousmane Sembène
Produktion Ousmane Sembène, Thierry Lenouvel Kamera Dominique Gentil
Darsteller Fatoumata Coulibaly
Länge 124 Minuten FSK ab 12
Filmmusik Boncana Maïga
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