In Deutschland konnte 2011 nicht einmal
Harry Potters finale Schlacht den Siegeszug eines kleinen, feinen Kinofilms aus französischen Landen aufhalten, der bis zum heutigen Tag mit Zahlen aufwartet, von denen manch teure Hollywood-Produktion nur zu träumen wagt: 20 Millionen Zuschauer alleine in Frankreich und damit mittlerweile der dort zweiterfolgreichster Film nach dem französischen Mega-Hit „Willkommen bei den Sch'tis“ [2008] – diese Bilanz liest sich wahrlich beeindruckend. Und doch hatte man
„ZIEMLICH BESTE FREUNDE“ (
„Intouchables“), diesen Film über echte Freundschaft, zunächst überhaupt nicht auf dem Schirm, als er Anfang des Jahres in den hiesigen Kinos startete. Ein Fehler. Denn was als Geheimtipp mit einer recht überschaubaren Menge an Startkopien begann, sollte sich dank fleißiger Mundpropaganda zu einem waschechten Kinophänomen entwickeln, wie man es schon lange nicht mehr gesehen hat. Oder mit anderen Worten: Herzlich willkommen bei einer Geschichte, die sich bewusst auf einfachen Pfaden bewegt, weil sie Bombast oder sündhaft teure Effekte schlichtweg nicht nötig hat – und gerade dadurch begeistert:
Der reiche, verwitwete Philippe (François Cluzet) ist seit einem Paragliding-Unfall vom dritten Halswirbel an abwärts gelähmt und benötigt dringend eine neue Pflegekraft. Driss (Omar Sy), der kurz zuvor n
och sechs Monate wegen Raubüberfalls im Gefängnis saß, bewirbt sich kurzerhand um die Stelle, allerdings nur, um eine Unterschrift als Bestätigung zu erhalten, die es ihm ermöglichen würde, vom Arbeitsamt Arbeitslosenunterstützung zu beziehen. Diese Ehrlichkeit, gepaart mit dem Aspekt, dass Driss keinerlei Mitleid mit ihm hat, veranlasst Philippe dazu, dem überraschten Bewerber die Arbeitsstelle auf Probe anzubieten – der Beginn einer außerordentlichen Freundschaft, die die Grenzen des Andersseins mit Leichtigkeit überschreitet...
Die Einfachheit des Erzählten im Allgemeinen und die Herzlichkeit, mit der erzählt wird, im Speziellen, machen das Erfolgsrezept der autobiographischen Tragikomödie der Regisseure
Olivier Nakache und
Éric Toledano aus. Auch wenn mit
„ZIEMLICH BESTE FREUNDE“ im Grunde „nur“ eine altbekannte Geschichte über Freundschaft gegen alle Widrigkeiten nacherzählt wird, ist es doch gerade die schnörkellose, unsentimentale Herangehensweise an die zugrundeliegende wahre Begebenheit, die so viel Freude, so viel Energie versprüht, dass man nur allzu gerne über dieses vermeintliche Manko hinwegsieht. Man lacht, obwohl die Geschichte, da aus dem wahren Leben gegriffen, gerade in ihrer Ausgangslage ausgesprochen traurig ist. Es ist jedoch kein Lachen, das sich über die Behinderung Philippes oder die schwierige Lebenssituation von Driss lustig macht. Es ist ein durchweg respektvolles Lachen aus tiefstem Herzen, nicht über, sondern
mit den vom Leben gezeichneten Individuen, das keinen Unterschied macht zwischen Lebensweisen, unterschiedlichen Hautfarben, körperlichen Beeinträchtigungen oder sonstigen Diskriminierungen. Denn
„ZIEMLICH BESTE FREUNDE“ ist nicht mehr und nicht weniger als ein eindringliches Plädoyer dafür, das Leben schlichtweg zu genießen, Spaß zu haben und auch mal das Gute im Schlechten zu sehen. Komme, was da wolle. Im Zweifel ist es nämlich einfach nur das Leben. So erklärt sich dann auch, warum
„ZIEMLICH BESTE FREUNDE“, der nicht sonderlich tiefschürfend, nicht besonders originell und zudem recht konventionell inszeniert ist, weltweit bis heute für Furore sorgt: Er tritt seine Charaktere nicht mit Füßen, sondern zelebriert pure Lebensfreude, die derart ansteckend ist, dass ein breites Grinsen am Ende des Films quasi vorprogrammiert ist.
Wenn zwei, die unterschiedlicher nicht sein könnten, mit einem Mal den gemeinsamen Nenner entdecken, dann wirkt das nicht aufgesetzt, nicht gestellt, sondern echt, wahrhaftig und vor allem eines: herzlich. Der etablierte
François Cluzet („Prêt-à-porter“) [1994], der eine nicht zu leugnende Ähnlichkeit mit Dustin Hoffman aufweist, und sein aufstrebender Co-Star
Omar Sy („Micmacs – Uns gehört Paris!“) [2009] geben das ungleiche Duo durchweg sympathisch, ohne sich jeweils zu ernst zu nehmen, und verleihen dem Film dadurch einen unvergleichlichen Charme, den man in letzter Zeit leider viel zu selten im Kino bewundern kann. Niemals den Boden der Tatsachen verlierend, schlägt die tragikomische Autobiographie gen Ende sogar noch den Bogen in die Realität, wenn kurz vor Schluss ein Foto des „echten“ Philippe mit seinem Pfleger auftaucht. Zwischen Philippe Pozzo di Borgo und seinem Pfleger, der ihm für 10 Jahre zur Seite stand, dem Algerier Abdel Yasmin Sellou, besteht bis zum heutigen Tag eine tiefe Freundschaft, die die Grundlage für die 2001 erschienene Autobiographie
„Le second souffle“ lieferte, übersetzt etwa gleichbedeutend mit
„Der zweite Atem“, einer neuen Sichtweise auf das Leben und sich selbst. Ermöglicht durch das Leben als solches und die Freundschaft zu Menschen, die wissen, worauf es wirklich ankommt.
Insofern ist
„ZIEMLICH BESTE FREUNDE“ vielleicht kein Meisterwerk im herkömmlichen Sinne, sondern einfach ein wichtiger, zu Herzen gehender Beitrag über das Leben in all seinen schönen wie auch weniger schönen Facetten. Und damit so viel mehr, als unsereins zunächst vielleicht meinen mag. Wahrlich bemerkenswert.