von Asokan Nirmalarajah
Zu Beginn des französischen Krimis
36 Quai des Orfèvres (2004) herrscht zeitweilige Irritation beim Zuschauer, da er für die erste Viertelstunde des Films nicht so recht zu unterscheiden vermag, wer auf welcher Seite des Gesetzes steht: während brutale Kriminelle sich durch die Pariser Unterwelt schlagen und öffentliche Straßen zu Terrorzonen erklären, begehen betrunkene Polizisten einen Raub (sie klauen das Schild ihrer Behörde als Geschenk für einen in Rente gehenden Kollegen) und drohen lokalen Rivalen befreundeter Unternehmer mit Mord im Wald. Ein solch fulminanter Anfang verspricht viel - zuviel für diesen Film. Denn sobald einem bewusst wird, dass in dem von der europäischen Kritik größtenteils gefeierten Film die Gesetzeshüter in ihrem Verhalten und ihren Vorgehensweisen nicht immer von den rücksichtslosen Handlungen der Verbrecher zu trennen sind, verpufft diese anfängliche Ambiguität ganz rasch in klar gezogenen Grenzen zwischen potentiellen Identifikationsfiguren und widerwärtigen Antagonisten. So erkennt man in diesem sehr klischeehaften und einfallslos dahin plätschernden Film recht deutlich besagte Sympathieträger vornehmlich an ihrem müden, melancholischen Blick und altersgrauen französischen Gesichtszügen, während die eher osteuropäisch anmutenden, tätowierten bösen
Jungs durch gestählte Oberkörper und aggressive Killerblicke auffallen.
Auch wenn der fraglos ambitionierte, aber kraftlose Polizeifilm mit Gérard Depardieu und Daniel Auteuil in den Titelrollen der „tödlichen Rivalen“ über zwei der interessantesten Gesichter des französischen Kinos verfügt, vermag er nicht die gleiche elektrische Spannung zwischen den Leinwand-Legenden hervorzurufen, die eines der übersehbaren Vorbilder des Films so virtuos mit seinen amerikanischen Stars erzeugte: wenn Al Pacino und Robert De Niro in Michael Manns
Heat (1995) um Präsenz ringen, dann war das eine seltene und erinnernswerte Erfahrung, aber wenn Depardieu und Auteuil sich hier als alte Freunde und aktuelle Widersacher wiederholt einander auf die Füße treten, dann hat das doch sehr wenig Spannung. Das mag sicherlich auch daran liegen, dass man beide schon früher des öfteren gemeinsam auf der Leinwand gesehen hat: in besonders guter Erinnerung sollte das kleine, aber feine Bauerndrama
Jean de Florette (1986) sein. Dort wie hier spielen sie zwei Männer, die sich zwar gegenseitig schätzen, jedoch miteinander konkurrieren, bis einer von beiden dem Machtkampf zum Opfer fällt. Doch während man in dem melancholischen Klassiker aus den 80er Jahren mitfieberte, was für einen Verlauf die Geschichte nehmen würde, weiß man hier schon sehr früh, zu welchen Schlüssen das Publikum bewogen werden soll.
Als Kommissare Denis Klein und Leo Vrinks, sind Depardieu und Auteuil auf der Jagd nach einer Räuberbande, die schnell, effizient und brutal am hellichten Tag auf den Straßen von Paris Geldtransporter überfallen. Da der amtierende Polizeikapitän bald seinen Platz räumen wird, sehen beide Männer die Möglichkeit einer Promotion in der schnellen Ergreifung der Täter mit Hilfe ihrer jeweiligen Einheit. Kompliziert wird der Wettkampf der zwei Polizisten durch ihre diversen illegalen Handlungen, in die Leos Frau Camille (Valeria Golino) involviert wird, und die immer mehr Opfer auf beiden Seiten des Gesetzes fordert.
Zunächst verspricht
36 Quai des Orfèvres der beste Michael-Mann-Film zu werden, den Michael Mann nie gedreht hat (und worin letzterer mit seinem letzten Werk
Miami Vice (2006) selbst virtuos gescheitert ist), da sich Regisseur Olivier Marchal scheinbar auch für robuste Männerfiguren jenseits post-feministischer Sentimentalitäten interessiert, die aus ihrem autonomen, professionellen Handeln ihr männliches Selbstverständnis ziehen und mit den heimischen Ansprüchen ihrer besorgten, entfremdeten Ehefrauen hadern, welche nicht selten ihre gefährliche Arbeit stören, weil sie den Hang ihrer Männer zur Selbstaufgabe nicht verstehen können. Doch bei Marchal ist mehr Schein als Sein der Fall, da die Figuren hier bloße Silhouetten bleiben, die auf Genre-Schnittmuster zurückgreifen, ohne ein Innenleben zu zeigen, das den Zuschauer abseits der filmischen Form fesselt.
Denn schnell merkt man, dass die sorgfältig kreierte, dichte und stilvolle Atmosphäre des Films und die konstant zu hörende Musik mit ihren spannungsfördernden Rhythmen nur Effekthascherei sind, die eine wenig aufregende Handlung mit weit voraus absehbaren Wendungen verhüllt. Da können auch die sehr gelungene Kameraführung, der präzise Schnitt und manch eine virtuose Actionszene nicht überzeugen, wenn die solide Besetzung sich mit klischeehaften Dialogen und Figuren herumzuschlagen hat. Der im Krimigenre unerfahrene Zuschauer mag sich hier und da vielleicht überraschen lassen, aber im Großen und Ganzen wird hier gepflegte Langeweile serviert, die handwerklich und mimisch das Beste des französischen Kinos aufbieten mag, aber bei aller authentischer Milieu-Schilderung und lupenreiner Ästhetik kein Interesse für ihre Charaktere und deren Geschichte zu wecken vermag.