von Asokan Nirmalarajah
Vor seinem Abspann ringt
King of Devil’s Island, das brutal-düstere Gefängnisdrama des Osloer Regisseurs Marius Holst (
Blodsband), noch ein letztes Mal um Authentizität. Der hochatmosphärisch inszenierte und aufwendig produzierte, aber sehr klischeebelastete und durchweg vorhersehbare Knastthriller zeigt zum Schluss einige Archivaufnahmen in Schwarzweiß von den jugendlichen Insassen der berüchtigten norwegischen Gefängnisinsel Bastoy bei den Fjorden von Oslo. Einer von ihnen trägt bei der alltäglichen Arbeit auf dem Felde einen blutigen Verband um den Kopf – ein Indiz dafür, dass die zuvor gezeigten Gewaltszenen des auf wahren Begebenheiten im frühen 20. Jahrhundert beruhenden Dramas keine Übertreibung waren. Doch die historische Sorgfalt des Films, der national wie international überraschend viel Anklang bei Kritik und Publikum fand, täuscht selten über seine dröge Handlung, schablonenhaften Figuren und seine abgenutzten Situationen hinweg.
Auf einer abgelegenen norwegischen Insel, vier Kilometer von der nächstgelegenen Stadt entfernt steht das zur Züchtigung verhaltensgestörter Jungen errichtete Jugendgefängnis Bastoy, umgeben von einer ungemütlichen, von eisigen Temperaturen geprägten Einöde aus dichten Wäldern, kargen Feldern und felsigen Buchten. Im Spätherbst des Jahres 1915 findet sich auch der eines Mordes beschuldigte Erling (Benjamin Helstad), der trotzige Harpunier eines Walfangschiffs, unter den Knaben aus armen oder kaputten Familienverhältnissen wieder, die sich dem strengen Regime des Gefängniswärters Besyreren (Stellan Skarsgård) unterordnen müssen. Doch der Neuankömmling will sich trotz der vom Hausvater Brathen (Kristoffer Joner) verhängten Strafmaßnahmen und den Warnungen seines besonnenen Mithäftlings Olva (Trond Nilssen) nicht beugen und plant den für unmöglich gehaltenen Ausbruch aus der Haftanstalt, in der Gewalt und Missbrauch an der Tagesordnung sind.
Diese internationale Co-Produktion zwischen den Ländern Norwegen, Frankreich, Polen und der Schweiz erreicht uns mit allerhand Vorschusslorbeeren. 300.000 norwegische Zuschauer machten das Knastdrama zu einem der meistbesuchten Filme der letzten Jahre, gleich dreimal gab es den norwegischen Filmpreis „Amanda“ (für den besten Film, die beste Musik sowie Trond Nilssen als besten Nebendarsteller) und oben drauf noch Zuschauerpreise vom Filmfest Hamburg und den Nordischen Filmtagen in Lübeck. Dabei vermag die altmodische, überlange und einfallslose Dramatisierung eines tatsächlichen Gefängnisaufstandes von 1915, der von der norwegischen Armee damals brutal niedergeschlagen wurde, nur selten wirklich zu fesseln. Das Problem ist auf das episodenhafte Drehbuch des Fernsehschreibers und Kinodebütanten Dennis Magnusson zurückzuführen, der sich sehr ungeniert aus dem Klischeetopf des Gefängnisfilmgenres bedient, ohne die verwendeten Zutaten frisch auszugestalten. So wirft der träge 115minüter gleich mehrere altbackene Figuren (den bibelfesten Gefängniswärter, den pädophilen Aufseher, den mundfaulen Rebellen, den passiven Schwächling, den intelligenten Pazifisten) und Situationen des Genres (Strafmaßnahmen, Misshandlungen, Fluchtversuche, Aufstände, Verfolgungsjagden usw.) auf einen Haufen und erhofft sich von Regisseur Hoists flüssigem, bildgewaltigen Erzählstil und der soliden Besetzung die nötigen Zwischentöne.
Doch erst im unerwartet kraftvollen letzten Drittel dieses mittelmäßigen, schnell wieder vergessenen Genrebeitrags, als die letzten Überlebenden des Aufstandes versuchen, über das zugefrorene, allmählich brechende Wasser von der Insel zu fliehen, streift sich der Film endlich die unvorteilhaften Vergleiche mit dem dramaturgisch sehr ähnlichen, aber ungleich packenderen englischen Gefängnisfilm-Meisterwerk
Scum (1979) von Alan Clarke ab. Überhaupt ist es der Kampf mit der Natur, der von diesem Film, der sich zu oft mit langweiligen Nebenschauplätzen und mit überflüssigen Figuren wie der ängstlichen Gattin des Gefängniswärters aufhält, in Erinnerung bleiben wird. Kameramann John Andreas Andersen (
Headhunters) findet unangenehm eisige, beklemmende Breitwandbilder für die atemberaubend weißen Landschaften von Estonia, die kurzzeitig die stereotypen Figuren verschlucken und ihre formelhaften Schicksale vergessen lassen. Seine weitestgehend monochrone Optik verleiht dem Film bis zum feurig- und blutig-roten Finale fast den Charme eines vergessenen Schwarzweißfilms. Die Liebe zum historischen Detail zieht sich indes durch alle technischen Abteilungen, von der Ausstattung bis zu den Kostümen.
Fazit: Ein kompetentes Ensemble schwedischer Nachwuchsmimen tritt in Marius Holsts enttäuschend konventionellem, wenig überzeugendem Knastdrama gegen einen gewohnt souveränen Stellan Skarsgard als strengen Gefängniswärter an. Dem von der poetischen Geschichte eines Walfängers gerahmten, eindrucksvoll fotografierten und ausgestatteten Historienfilm gelingt es aber leider nicht, die Klischees des Gefängnisfilms zu umschiffen und die geschichtliche Begebenheit ansprechend umzusetzen. Ein Dokumentarfilm über das Thema wäre sicherlich weniger ärgerlich ausgefallen.