Die junge Amerikanerin Suzy Bannion (Jessica Harper) kommt als Ballett-Schülerin an die angesehene Tanzakademie in Freiberg. Doch hinter den Mauern der altehrwürdigen Schule scheint seltsames vonstatten zu gehen: nicht nur wird sie gleich nach der Anreise bei einem schlimmen Gewitter abgewiesen, darüberhinaus trifft sie noch auf eine weitere Schülerin, die in Panik etwas wichtiges, aber nicht verständliches sagt - und in der gleichen Nacht noch stirbt. Weitere seltsame Ereignisse häufen sich, und die Gerüchte um die Schule bringen sie auf die Spur eines uralten Geheimnisses...
Nach dem Megaerfolg von "Deep Red" schuf Dario Argento seinen vielleicht besten, aber sicherlich seinen berühmtesten Film: Suspiria! Argento wollte, nachdem er mit Deep Red das Giallo-Genre zur Perfektion brachte, unbedingt etwas neues ausprobieren, und durch den finanziellen Erfolg hattte er auch relativ freie Hand. Er entschied sich, das Giallo-Genre zu verlassen und einen Horrorfilm aus der okkulten Richtung zu entwickeln. Er wusste, dass sich seine Fans darauf sicherlich einlassen würden. Er orientierte sich zuerst an dem von ihm verehrten Edgar Allan Poe, doch dann überkam ihm eine Kindheitserinnerung: schon als Kind war Argento fasziniert von Hexen und der Schwarzen Kunst. Deshalb sollte sich sein neuer Film auch um das Thema "Hexen" drehen. Zur Vorbereitung reisste er quer durch Europa und traf sich mit mehreren Frauen, von denen jede einzelne behauptete, eine Hexe zu sei
n. Daneben studierte Argento viele Bücher zum Thema und stieß auf eine Geschichte, die seine Aufmerksamkeit besonders erregte: ein Internat, in dem nur Mädchen beschult werden und mit Hexen und Magie in Kontakt kommen.
Aus diesen Quellen erarbeitete er das Script zu Suspiria. Besonders unterstützt wurde der dabei von Daria Nicolodi, die er nicht nur beruflich aus "Deep Red" kannte, sondern mit der er auch privat eine Beziehung führte. Nicolodi selbst wurde besonders von ihrer Mutter beeinflusst, und war besonders verärgert, dass sie aufgrund der amerikanischen Geldgeber nicht die Hauptrolle bekam (und nur einen Cameo-Auftritt hat) da diese auf eine Amerikanerin insistierten. Heraus kam dabei ein zugegeben recht dünnes Drehbuch, dass den Start der neuen Argento-Trilogie markierte: die Trilogie der drei Mütter, beginnend mit Suspiria, "Inferno" von 1980 als Mittelteil, und erst 2007 wurde die Trilogie mit "La terza Madre" abgeschlossen. Die Idee der drei Mütter kam vor allem aus der literarischen Vorlage von Thomas de Quincey, der 1822 das autobiographische Werk "Bekenntnisse eines Opiumessers" veröffentlichte, das zusammen mit "Suspiria de Profundis" eine der Hauptbezugsquellen für das Drehbuch darstellt. Dort werden auch die drei Mütter erwähnt: Mater Suspiriorum, Mater Tenebrarum und Mater Lachrymarum sind die drei Mütter, drei Hexen aus München, New York und Rom.
Als Ergebnis liegt einer der spannendsten Filme überhaupt vor. Der Film erreicht eine unglaublich dichte Atmosphäre und Dario Argento erschuf ein paar seiner besten Spannungssequenzen bzw. ein paar der besten spannenden Szenen der Filmgeschichte. Allein die erste Mordszene ist faszinierend kompliziert gefilmt, fesselt jedoch den Zuschauer durch die intensive Atmosphäre an den Sitz - trotz der komplizierten Montage und Schnittfolge geht die Übersicht nicht verloren. Argento dreht hier die Gewaltschraube gleich mal aufs Maximum ohne jedoch in plumpe Blutsudeleien zu verfallen. Dies könnte jedoch den unbedarften Zuschauer fast abschrecken, da der Film hier sehr blutig ist, was er im späteren Verlauf sicherlich nicht mehr ist. Was hier schon leicht anklingt ist die Tatsache, dass Suspiria nicht unbedingt ein simpel zu konsumierender Horrorfilm ist, sondern teilweise schon stark in die Arthouse-Sparte rutscht. Der Film wirkt stellenweise sehr tripartig, so dass der Zuschauer, wenn er sich absolut auf den Film und die einzigartige Atmosphäre einlässt, mehr als nur dafür belohnt wird.
Besonders erwähnenswert, und natürlich auf den ersten Blick zu erkennen, ist die unglaubliche Farbgestaltung. Anstatt auf eine gothische Atmosphäre zu setzen, präsentiert Argento dem verzückten Auge des Zuschauers absolut knallig leuchtende Farben. Nichts wirkt natürlich ausgeleuchtet, das Blut ist genauso leuchtend rot wie die Wandfarbe, die Architektur ist größtenteils verschnörkelt und absolut bunt. Die Beleuchtung selbst ist auch sehr unnatürlich, die Szenen bei Dunkelheit sind oft einfach in blau, grün oder rot ausgeleuchtet. Erzielt wurde dieser Effekt wahrscheinlich dadurch, dass Argento eigentlich ausgemustertes Filmmaterial mit alten Technicolortechniken kombinierte und so die Farben leuchten lassen konnte - die Quellen unterscheiden sich hier jedoch etwas. Festhalten kann man aber, dass es selten einen bunteren Horrorfilm gab. Argento zeigte seinem Kameramann Luciano Tovoli als Inspiration die Zeichentrickfassung von "Schneewittchen und die sieben Zwerge" aus dem Jahr 1937. Jedes Bild wirkt nicht nur durch die Farben, sondern auch durch die ganze räumliche Anordnung überwältigend und bis auf das letzte Detail durchkomponiert. Man könnte sich eigentlich jedes Einzelbild des Filmes an die Wand hängen.
Doch nicht nur sind die Bilder wunderschön anzuschauen, sondern dem Team um Mastermind Argento gelingen ein paar der vielleicht grundlegend gruseligsten Bilder und Szenen überhaupt. Den Mord zu Beginn hab ich oben schon erwähnt, aber auch ohne eigentliche Aktion vermittelt der Film allein durch eine Bildsprache eine Atmosphäre, die dem Zuschauer eine Gänsehaut beschert. Viele Sequenzen bleiben in Erinnerung, da sie die Urängste der Zuschauer berühren können. So ist zum Beispiel die Szene, in der die Schülerinnen gemeinsam in der Halle der Schule übernachten absolut überragend. Die Wände der provisorischen Schlafkammer sind Betttücher, und während die Mädchen im Vordergrund sich gegenseitig Gerüchte über die Schule erzählen, sind die Schatten der Lehrerinnen hinter den Tüchern zu sehen. Das sind wirklich per se gruselige Bilder die dort auf den Zuschauer einprasseln. Auch sind viele Gesichtsausdrücke der Darstellerinnen "echt". GOBLIN schrieb erneut einen absolut brillanten Soundtrack, und zur Atmosphärebildung lies Argento die Musik am Set auf voller Lautstärke laufen. Durch die vielen dissonnanten Töne reizte er seine Darsteller teilweise bis aufs Blut so dass sie extrem angespannt in die Horrorszenen gingen. Als gelungener Clou des Drehbuchs bleibt jedoch das Ende, das durchaus recht viel Interpretationsspielraum bietet.
Nichtdestotrotz muss man aber festhalten, dass das Drehbuch doch sehr dünn ist und die eigentliche Handlung sich sicherlich auf 3 Sätze zusammenfassen lässt. Argento perfektionierte hier das Schlagwort "style over substance" und so verdrängte die Inszenierung die eigentlich erzählte Geschichte. Auf besondere Weise überschneiden sich hier manchmal die Tonspur und das Bild: beim Wort "witch" im Satz "What do you know about witches?" wird das Bild dunkel, als Suzy von der mysteriösen Haushälterin geblendet wird ertönt ein lautes "WITCH" aus dem nirgendwo. Überhaupt ist das Motiv der Hexe allgegenwärtig, sogar die Drähte eine Glühbirne leuchten in Form eines feurigen W. Viele Drehbuchholprigkeiten, das seltsame Verhalten der Darsteller und die infantilen Dialoge lassen sich jedoch mit etwas Vorwissen leichter erklären. Eigentlich sollten die Schülerinnen der Tanzakademie zwischen 12 und 14 Jahre alt sein. Doch die Geldgeber sprachen Argento ein Verbot dafür aus, da ein solch gewalttätiger Horrorfilm mit Kindern sicherlich Probleme mit der Zensur hätte. Trotzdem behielt Argento das Drehbuch mit den Kinderdarstellern bei, so dass Suspiria eher ein extrem düsteres Märchen aus der Sicht eines Kindes ist. Und wenn man genau hinschaut, kann man sogar bemerken, dass Argento die Türgriffe höher als normal anbringen lies, so dass die Darsteller nach oben greifen müssen und noch mehr wie Kinder wirken.
Mit Suspiria schuf Argento und sein Team einen Urfilm des Horrorkinos, dass bis heute seinen Einfluss gelten machen kann. Die Band "The Smashing Pumpkins" benutzt auf der aktuellen Tour als Intro die Titelmelodie von Suspiria. Der Regisseur Lucky McKee, der in seinem tollen Film "May" sich mehrmals vor Argento verbeugte, schuf mit "The Woods" eine gelungene Hommage an Suspiria, der in der Grundstory doch sehr an Argentos Film erinnern kann - und hier sicherlich auch mal an die Reihe kommt. Und darüberhinaus wird wohl momentan eine Anime-Adaption hergestellt, und die Grüchteküche sprach auch schon über ein geplantes Hollywoodremake, was auch immer man davon halten soll. Zum schmunzeln möchte ich euch nun noch kurz die Filmkritik von kabel1.de präsentieren, die glaube ich vom Katholischen Filmdienst stammt: "Dümmliche Mischung aus Horror und Okkultismus, die auf grobe Effekte setzt und die Atmosphäre völlig vernachlässigt." Soso, die Atmosphäre wird vernachlässigt. Nun gut.
Bei den Darstellern setzte Argento eher auf unbekannte Gesichter. Seine Muse Daria Nicolodi hat nur einen Cameo-Auftritt zu Beginn am Flughafen. Die Hauptrolle wird von Jessica Harper gespielt, die Argento in Brian de Palmas "Phantom im Paradies" sah und sofort von ihr begeistert war. Auch ein bekannter Deutscher hat eine kleine Rolle: Udo Kier, Star vieler Exploitationfilme, inzwischen gut im Geschäft mit B und C-Movies gibt einen Hexenexperten. Besonders hervorheben möchte ich Joan Bennett, die die leicht dämonische Tanzlehrerin absolut genial verkörpert. Für die Musik war wie gesagt GOBLIN erneut zuständig, für die fasznierende Fotografie war Luciano Tovoli zuständig.
Inzwischen gibt es den Film als deutsche DVD, und sogar seine TV-Premiere erlebte er nach knapp 30 Jahren bei arte - zwar geschnitten, aber doch recht anschaubar. Grundlage dieser Kritik ist jedoch die amerikanische Limited Edition von Anchor Bay, durchnummeriert auf immerhin 60.000 Stück. Leider nicht mehr zu bekommen, überzeugt die DVD mit dem Film und Extras, einer zweiten DVD mit einer langen Doku, sowie dem Soundtrack auf CD. Dazu gibt es als Schmankerl noch Postkarten und Stills. Selbstredend ist die DVD ungekürzt.
Fazit: Suspiria ist vielleicht einer der besten Horrorfilme die jemals gedreht wurden, der sicherlich aber auch im Werk von Argento einer herausragende Stellung einnimmt. Suspiria zeigt dass Argento nicht nur die Kunst des Giallo beherrscht, wie er mit Deep Red bewiesen hat, sondern auch unglaublich atmosphärische okkulte Filme schaffen kann. Diesen Film sollte man tatsächlich mal gesehen haben. Selbst nicht Horrorfans können sich problemlos von der dichten Inszenierung überzeugen lassen, die über so manche Drehbuchschwäche locker hinweghelfen kann. Ein Meisterwerk!