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von Mario Caiano




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Brüno RSS 1.0


Brüno

Brüno

Ein Film von Larry Charles

Brüno (Sacha Baron Cohen) ist ein Fashionmoderator aus Österreich. Er ist junge (jedoch nicht mehr unschuldige) 19 Jahre alt, selbstbewusst und tough und ist bereits auf dem besten Weg, den Gipfel seiner Karriere zu erklimmen. Seine Fashionsendung „Funkyzeit mit Brüno“ genießt hohen Bekanntheitsgrad im Inland und ist der selbst ernannte Trendsetter der Nation. Normalerweise ist es in seinem Metier sowieso eigentlich nur eine Nebensache oder gar Selbstverständlichkeit, dass ein Modemoderator schwul ist, doch Brüno gibt dies auch noch sehr plakativ zum Besten (ob durch die quirlig-überdrehte Art, die delikate, emotionale Wortwahl und die akzentuierende Gestik) und geht dabei entschieden über das vorherrschende Fashionexperten-Klischee hinaus, er präsentiert seine Homosexualität wie das I-Tüppfelchen seiner ganzen Erscheinung – sozusagen die letzte feine Note seiner extravaganten Kleiderwahl und Art.
Seine Outfits wiederholen sich eigentlich auch nie, in keiner Sendung. Jedesmal präsentiert er ein Modell, das das vorige nochmal um eine Stufe in sexueller Explizität und Betonung der primären Geschlechtsorgane übertrifft.
Brünos bizarre Erscheinung wird stets begleitet von einer kindlichen Neugier gegenüber allem und jedem, was auffällt oder was sich andererseits zu sehr zurück hält und heimlich in den Hintergrund zu rücken versucht. Wenn nun wild diskutiert, debattiert, abgewogen und eingestuft (mittels der bewährten bipolaren Brüno-Ska
la: „in“ oder „out“) wird, ist Brüno in seinem Element und dabei mindestens eine Kamera auf ihn gerichtet!
BrünoBrünoBrüno
Der Film „Brüno“ ist nun eine sich von Anfang an auf den Protagonisten ausrichtende subjektive Reise durch die mediale Modewelt, deren (Trug)Schein und künstlichem Glanz und deren groteske Akteure und Mitstreiter. Formell präsentiert sich „Brüno“ als ein Dokumentarfilm von und über die Person des Fashionmoderators. Schnell wird Nähe zu der Person geschaffen und damit ist die tour-de-force, die der Protagonist über die Höhen und Tiefen dieser unstabilen und launischen Branche macht, sehr unvermittelt und dramatisch.
Der Zuschauer bekommt zu Beginn ein Bild vermittelt von dem turbulenten Alltag des Stars aus „Funkyzeit“ – eigentlich kann man sich der audiovisuellen Reize gar nicht erwehren, so sehr man es auch will, sie kommen in einer derart glitzernden, aufpolierten Überdosis daher, dass man gar nicht anders kann als staunend hinzuschauen: so beispielsweise wenn der Held zuerst komplett in Plastik gekleidet mitten in einem Springbrunnen der Wiener Innenstadt die Dokumentation eröffnet, im nächsten Satz schon in einem anderen Outfit (eine Art österreichische Bauerntracht mit provokant kurz geschnittenen Hosen) über den Wiener Ring läuft und dabei den Anschein macht, dass er trotz der langweiligen Eintönigkeit der Hauptstadt sich hier gut einleben kann. In der nächsten Szene räkelt sich Brüno mitten in seiner Sendung auf einem Studiostuhl – von der Konstruktion eine männliche Puppe, in dessen Schoß man Platz nehmen darf – und checkt den aktuellen Trendbarometer: was ist in und was out – Autismus oder Chlamydien (eine bakterielle Genitalinfektion).
Und dazwischen gewährt auch Brüno Einblicke in sein Privatleben, das offenbar ausschließlich von experimentellen Sexualpraktiken mit dem vietnamesischen Lustknaben Diesel erfüllt ist.
BrünoBrünoBrüno

Ein Reigen von für einen ahnungslosen Zuschauer sehr eigenartigen Eindrücken in einer sehr bizarren Welt folgt darauf und immer scheint Brüno in diesem Chaos von Fotografen, Kameras und der sich selbst inszenierenden Mode-Industrie aufzufallen und sich zu behaupten. Bis eines Tages das Unglück passiert. Brüno übertrifft sich wieder einmal selbst und wählt für die Abendgarderobe zu einer exklusiven Modesteg-Vorführung ein Unikat von einem Anzug – einen noch nicht getesteten Prototyp von einem Klettbandanzug. Das Ungeschick ist schnell passiert und schon stolpert der Moderator wirr über den Modesteg mit der halben Garderobe der Models um seinen Körper gewickelt.
Die Zuschauer der Vorführung reagieren mit Empörung auf diese ästhetische Geschmacklosigkeit – der Skandal ist perfekt und Brünos Kündigung einen Anruf entfernt. Nun ist Brüno selbst “out“. Und dies hat ungeahnte katastrophale Folgen: nicht nur, dass er keinen Job mehr hat, er kommt auch in keinen VIP-Club mehr rein, die Kontakte und Liebschaften wenden sich ab von ihm, selbst sein vietnamesischer Lustknabe Diesel will nichts mehr von ihm wissen. Brüno kommt auf bitterste Weise zur Erkenntnis, dass die Modewelt oberflächlich und scheinheilig ist. Es ist Zeit für einen Neuanfang.

Es ist wirklich erstaunlich wie es Sacha Baron Cohen, welcher nicht nur „Brüno“ zur Welt gebracht hat, sondern auch maßgeblich am Drehbuch mitgeschrieben hat und die Hauptrolle spielt, mit Regisseur Larry Charles innerhalb von knapp mehr als 5 Minuten schaffen, das Image von Brüno (wie man es bereits aus der „Ali G – Show“ kennt – Brüno ist dabei nach Ali G und Borat der dritte Charakter, den Cohen für seine satirische Show erfunden hat) zu etablieren (bzw für die eingefleischten Ali G – Fans lediglich wieder aufzuwärmen), um dieses dann innerhalb von nur wenigen Minuten komplett in den Ruin zu stürzen.
Die Krise ist damit die Exposition für die eigentliche Handlung des Films. Man muss den Verantwortlichen in dieser Hinsicht ein Kompliment aussprechen: wofür der Vorgängerfilm "BORAT: Cultural Learnings of America for Make Benefit Glorious Nation of Kazakhstan" weit mehr als die Hälfte der Spielfilmlänge braucht, um den Charakter einzuführen, seine Motive und Interessen zu verdichten und dann die Krise herbeizuführen, aus der dann die Heldenreise entspringt, das schafft der neuste Streich in 5 Minuten.
Das Rezept ist also von „Borat“ übernommen worden, das Neue an „Brüno“ ist das schier den Atem raubende Erzähltempo, die noch bizarreren Einfälle und eine noch exploitativere Ausschlachtung der gängigsten Klischees und Vorurteilen (insbesondere gegenüber Homosexuelle, aber auch in Hinsicht der Intoleranz, Dummheit und sexuelle Prüderie der Amerikaner). Auch diesmal sind es die US-Staatler und ihre prüde, verkrustete und scheinheilige Lebenseinstellung, die aufs Korn genommen werden.
Denn Brüno beschließt nach seinem Fiasko in Österreich einen Neuanfang in Amerika, den amerikanischen Traum auszuleben: berühmt werden. Deswegen reist er mit allem was in seine 20 Koffer passt, begleitet vom Assistenten des Assistenten, Lutz (Gustaf Hammarsten), der kurzum zum ersten Assistenten befördert wird, ins Land der unbeschränkten Möglichkeiten. Das Ziel klar vor Augen: der zweit berühmteste Österreicher zu werden nach Adolf Hitler.
Doch ähnlich wie bei Borat stößt Brüno, statt einen Erfolg nach dem anderen einzufahren, auf eine Kette von Missverständnissen und Komplikationen und nur ein kauziger Talentförderer und Lutz halten zu ihm. Während Borat aber aufgrund kultureller Differenzen und Vorurteile scheitert, ist es Brünos explizite Bekenntnis zur Homosexualität und seine extrovertiert-schrille Art, die auf Unverständnis und Abstoßung trifft.
Dabei bringt Brüno ganzen Körpereinsatz: er rezitiert mit Hingabe Filmdialoge, spielt auch Statisten in TV-Serien wie „Medium“, mietet sich überteuere Appartements, lässt sich auch die Körperhaare an den verstecktesten Körperstellen entfernen, produziert innerhalb von 24 Stunden ein Promotionvideo zu einer eigenen neuen Celebrity-Show (mit großen Ansagen und anmaßenden Versprechen, wahnwitziger Selbstvermarktung, Nackt-Tanzeinlagen und zum Höhepunkt einen in Zeitlupe schwingenden Penis, der seinen Namen ankündigt), reist mit der Absicht, eine Wohltätigkeitsorganisation zu gründen, oder zumindest für Frieden in Nahost zu sorgen, über die halbe Erdkugel (um dann letztendlich doch nur einen globalen Großeinkauf zu machen), adoptiert ein afrikanisches Kleinkind (bzw tauscht es ein gegen eine limitierte I-Pod-Ausgabe) und versucht sich sogar an einem Amateuer-Porno mit versteckter Kamera und dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Ron Paul als unwissenden Nebendarsteller. Brüno macht alles, um endlich schnell berühmt zu werden. Doch jegliche Müh vergebens, das Testpublikum zerreist ihn, die berühmten Interviewpartner sind von seiner Extravaganz und seinen unkonventionellen, kontroversen Methoden eher abgeschrocken, das Gesetz entreisst ihm das Kind (sein vorgegebenes Symbol für Menschlichkeit und Toleranz, und nebenbei auch ein effektiver „Schwanzmagnet“ – das homosexuelle Pendant zu Borats „Pussymagnet“, welchen dieser in seinem Auto installiert haben wollte) und der betagte Politiker beschimpft ihn als „stock schwul“ und nimmt Reiß aus aus dem improvisierten Pornostudio.
Brüno ist zum zweiten Mal am Boden zerstört, zerwirft sich mit seinem Assistenten Lutz und bricht auf der Straße zusammen. Doch unverhofft wir ihm eine Erleuchtung zuteil– direkt aus dem Schaufenster eines TV-Ladens flimmert die Antwort auf seine Probleme über die Fernsehbildschirme: sämtliche berühmten Persönlichkeiten in Amerika sind heterosexuell. Seine sexuelle Ausrichtung ist scheinbar das Einzige, was Brüno von seiner VIP-Karriere in USA abhielt.
Er beschließt nun sich auf heterosexuell zu trimmen – der Beginn eines unvorstellbaren Leidenswegs, welches dem Zwerchfell des Zuschauers keine Ruhepause gewährt.
BrünoBrünoBrüno
Lange und sehnsüchtig erwartet war der dritte Film von Sacha Baron Cohen. Die Erwartungen nach dem überaus gelungenen und in Hinsicht Respektlosigkeit und Einfallsreichtum blühenden "Borat“ waren auch immens hoch.
Doch Brüno enttäuscht in keinster Weise. Im Gegenteil, überrascht die bewährte Kooperation von Cohen und Charles darin, dass im neuen Film wieder die Stärken des Vorgängers wiederzufinden sind (die Wahl des Mockumentary als Filmkonzept, die groteske, selbstironische Charakterisierung des Protagonisten, Sacha Baron Cohens parodistischer Humor und die Interviewsituation als der Ort der Entlarvung der wahren Motive der Gesprächspartner, sowie die Heldenreise und der Freundschaftsaspekt zwischen Brüno und Lutz als Plot-Vehikel). Veränderungen, Ausbauungen und neue Zutaten (viel rasanterer Rhythmus, eine bitterböse Medienfarce und Satire auf die Glitzer-Glanz-Modewelt, mehrere Wendepunkte, unvoraussehbare Handlungsentwicklung, ausgereiftere technische Stilmittel) sorgen dafür, dass es kein fader Neu-Aufguss des Erfolgfilms von 2004 geworden ist.

„Brüno“ ist damit eine wilde Mischung aus Sozialfarce, Groteske, Drama und Mockumentary (aber nur in der Originaltonfassung wirklich witzig!!!); mit einem Hauptdarsteller, der sich im Laufe seiner Schauspiel- und Entertainer-Karriere nicht nur weiter entwickelt hat, sondern die etablierten fiktiven Persönlichkeiten aus der Ali G- Show ausbaut und seinen Charakter mit noch höherer Komplexität ausstattet. Sacha Baron Cohen beweist mit seiner letzten Leistung nicht nur, dass er für seine Rolle wirklich alles tut (und dabei keinen Tabu-Bruch auslässt), sondern dass er auch genau weiß wie sein Charakter gestrickt ist und kann sich in diesen sehr feinfühlig hineinversetzen (besonders in der zweiten, der dramatischeren Hälfte des Films sieht man wie gut Cohen das Method Acting beherrscht, die Motive Brünos und die Problematik der Veränderung glaubhaft, auch wenn sehr stark überzeichnet, darstellt, und dabei seinen so widersprüchlichen, grotesken Charakter dennoch sehr ernst nimmt).

Es bleibt nur noch zu hoffen, dass dies nicht der letzte Film aus der Welt des Ali G gewesen war.

Eine Rezension von Eduard Beitinger
(07. August 2009)
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Daten zum Film
Brüno USA 2009
Regie Larry Charles Drehbuch Sacha Baron Cohen
Produktion Everyman Pictures Kamera Anthony Hardwick, Wolfgang Held
Darsteller Sacha Baron Cohen, Gustaf Hammarsten, Lloyd Robinson
Länge 81 min. FSK ab 16
Filmmusik Erran Baron Cohen
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