von Asokan Nirmalarajah
Im Kinojahr 2007 brach eine regelrechte Flut von liberalen Irakkriegsdramen über das amerikanische Publikum herein, die weniger durch ihre eher durchwachsene Qualität auf sich aufmerksam machten als durch ihr Scheitern an der Kinokasse. Ob der zweite Irakkrieg nun als Ausgangspunkt für einen actionlastigen Agententhriller wie Peter Bergs
The Kingdom, für ein rührseliges Familiendrama wie James C. Strouses
Grace Is Gone, für einen desillusionierenden Militärkrimi wie Paul Haggis’
In the Valley of Elah, für einen internationalen Politthriller wie Gavin Hoods
Rendition oder für ein sensibles Liebesdrama wie Kimberly Peirces
Stop-Loss genommen wurde, das amerikanische Publikum zeigte sich gänzlich desinteressiert. Zu einer ersten positiven Ausnahme, zumindest in der Gunst der Filmkritiker, avancierte jüngst
The Hurt Locker (2008, dt. Titel:
Tödliches Kommando), der seit September letzten Jahres die Besucher und Jury-Mitglieder diverser internationaler Festivals begeistern konnte.
Kathryn Bigelows erster Spielfilm seit ihrem schmerzlichen Kassenflop
K-19: The Widowmaker (2002) ist ein preisgekrönter Soldatenfilm, der über lange Strecken seiner überlangen Laufzeit fesselt, sein volles Potential aber nicht wirklich auszuschöpfen ver
mag. Unter Verzicht auf die politischen und moralischen Dimensionen des Irakkonflikts, mit denen sich besonders die bisherigen Irakkriegsdramen ausgiebig beschäftigten, konzentriert sich
The Hurt Locker lieber ganz auf den Alltag eines hochspezialisierten Munitionsräumdienstes der US Army, die mitten in Bagdad hochgefährliche Bomben entschärfen soll. Das macht Bigelows fulminanten Comeback-Film zu einem intensiven, episodenhaften Thriller über den unmöglichen Alltag amerikanischer Soldaten, der in seiner Figurenzeichnung und seinem kritischen Zeitbezug allerdings doch etwas oberflächlich bleibt.
Basierend auf den Erfahrungen des Kriegsberichtserstatters Mark Boal, der auch zu der Story des bemerkenswert USA-kritischen Dramas
In the Valley of Elah beisteuerte, erzählt
The Hurt Locker von den angespannten Situationen, in die sich eine dreiköpfige US-Soldateneinheit begeben muss, um die Straßen Bagdads von Bomben zu räumen. Im Sommer 2004, 38 Tage vor dem jährlichen Turnuswechsel für das Team Bravo erleidet die Einheit zu Anfang des Films den Verlust ihres Vorgesetzten und Bombenentschärfers Matt Thompson (Guy Pearce in einer Gastrolle). Zurück bleiben der Geheimdienstmann J.T. Sanborn (Anthony Mackie) und der Scharfschütze Owen Eldridge (Brian Geraghty), die mit Sergeant William James (Jeremy Renner) einen besonders unorthodoxen neuen Vorgesetzen zugeteilt bekommen, dessen arroganter Leichtsinn für interne Spannungen zwischen den drei Männern sorgt. Während der pragmatische Sanborn sich mit James um die korrekte Vorgehensweise streitet, beklagt sich Eldridge beim Militärpsychiater. In ihren Missionen, die sie alltäglich mit dem Tod konfrontieren, stoßen die einzelnen Persönlichkeiten und ihre unterschiedlichen Sichtweisen auf den Krieg immer wieder aufeinander, bis James sich auf einen persönlichen Rachefeldzug begibt, der seine Männer in noch größere Gefahr bringt…
Diese vermeintliche Zuspitzung des Konflikts ist aber letztlich nur eine falsche Fährte des Films, der auf solche konventionellen Plotmechanismen eher verzichtet. Mit einer Nebenhandlung über einen irakischen Jungen, der sich Beckham (nach dem britischen Fußballer) nennt, DVD-Raubkopien verkauft und eine Freundschaft mit James knüpft, wird der Versuch einer traditionellen Narration sogar ein Stück weit persifliert.
The Hurt Locker beharrt durchweg auf seinen quasi-dokumentarischen Gestus, nicht zuletzt durch die sehr realistischen Gewaltdarstellungen, die besonders prägnanten Soundeffekte und die verwackelte, stetig heranzoomende oder zurückfahrende Kameraführung von Barry Ackroyd. Ackroyds Kameraarbeit erinnert dabei auch nicht zufällig an den nervösen, hyperkinetischen Stil eines Paul Greengrass, der mit seinen atemlosen Agententhrillern
The Bourne Supremacy (2004) und
The Bourne Ultimatum (2007) den visuellen Stil des modernen Actionfilms nachhaltig geprägt hat, wie man etwa auch an dem jüngsten Bond-Film
Quantum of Solace (2008) sehen konnte. Ackroyd hat nicht nur bereits mit Greengrass an dem ähnlich semi-dokumentarischen 9/11-Drama
United 93 (2006) zusammengearbeitet, ihre zweite Kollaboration, das für Ende des Jahres angekündigte Irakkriegsdrama
The Green Zone (2009) verspricht eine Ästhetik, die bereits streckenweise in
The Hurt Locker anklingt.
Doch um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen:
The Hurt Locker trägt letztlich ganz und gar die Handschrift von Regisseurin Kathryn Bigelow, mit all ihren Stärken und Schwächen. Als eine der wenigen namhaften Hollywood-Regisseurinnen und als einzige Filmemacherin, die sich im Actionfilm etablieren konnte, vermag Bigelow in Sachen Action-Choreographie, handwerklichem Geschick und visuellem Einfallsreichtum stets zu begeistern. So absurd und unfreiwillig komisch ihre Filme zuweilen auch sein mögen (waffengeile Yuppie-Killer in
Blue Steel, 1990; surfende Bankräuber in
Point Break, 1991), Bigelow hat in der Regel ein sicheres Gespür für Spannungsmomente, eindrucksvolle Bilder und solide Dramaturgie. So auch nicht anders bei
The Hurt Locker, der etwa mit einer packenden Eingangssequenz und einer umwerfenden Detonation beginnt, die ebenso erschreckend wie atemberaubend schön ist. Auch erzählt Bigelow hier wieder von übermütigen Männern, die ihrem faden Leben entfliehen wollen und die elektrisierende Nähe zum Tod suchen. Wie die Protagonisten aus
Near Dark (1987) und
Strange Days (1995) ist auch Sergeant James ein unverbesserlicher
thrillseeker, ein getriebener Antiheld auf der Suche nach dem ultimativen Kick, nach der Grenzerfahrung. Die aufreibenden Szenen, in denen er Bomben entschärft, haben so oft auch eine stark sexuelle Konnotation. Für James ist Krieg selbst die Droge, die er sogar mehr braucht als die Geborgenheit seiner Familie in den USA. So ist der Film auch nicht darum bemüht, abermals zu konstatieren, dass Krieg die Hölle ist, sondern zeigt dem Zuschauer eine Figur, die mit einer beunruhigenden Gelassenheit geradewegs in diese Hölle hineinmarschiert. Warum das so ist bleibt letztlich etwa unklar.
Psychologische Tiefe, das muss man sich wohl eingestehen, war allerdings noch nie eine der Stärken Bigelows. Auch hier bleiben die Hauptfiguren schablonenhaft und letztlich etwas konturlos trotz recht dynamischer Vorstellungen der Hauptdarsteller. Eher störend als ansprechend ist auch die Besetzung einer Reihe hochtalentierter Mimen in größtenteils belanglosen Minirollen. So huschen etwa David Morse, Ralph Fiennes und Evangeline Lilly durchs Bild ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Der sehr geringe sozialhistorische Kontext des Films hat dabei seine Vor- wie Nachteile: Zum einen ist
The Hurt Locker ein merkwürdig unpolitischer Film, in dem es nicht wichtig ist, wer gegen wen warum kämpft, sondern nur dass gekämpft wird und dass das Kämpfen an sich etwas Orgiastisches für die Soldaten haben kann. Zum anderen wirkt der Film durch diese Bedeutungsleere über weite Strecken auch wie ein abstrakter Science-Fiction-Film, in dem eine Menschenpatrouille eine weißsandige Marslandschaft erkundet und jedes fremde Wesen, das eine dunklere Hautfarbe hat, misstrauisch mit der Waffe anvisiert. Entsprechend reduktiv geraten ist leider auch das Bild der Iraker, das der Film trotz einiger weniger Ausnahmen hier zeichnet.
Alles in allem bleibt
The Hurt Locker also um Längen hinter dem bislang besten Beitrag zum Irakkrieg zurück: Für diejenigen, die den sehr guten HBO-TV-Mehrteiler
Generation Kill (2008) nach dem gleichnamigen Roman des Kriegsberichtserstatters Evan Wright gesehen haben, wirkt Bigelows Film wie eine besonders substanzlose Folge der besonders komplexen und intelligenten Miniserie. Mit der formalen Souveränität und visuellen Intensität von Bigelows Film kann aber selbst die Serie nicht mithalten. Die stärkste Szene des Films beinhaltet allerdings keine Explosion, sondern schildert das lange, erschöpfende Warten der mit Wüstensand bestäubten, müden Soldaten auf einen feindlichen Gegenschuss aus großer Distanz. Einige einander gereichte Tüten Fruchtsaft sorgen für die nötige Wasserversorgung.