Wenn man mal zurückdenkt und spontan versucht, sich die besten Filmwerke der 90er ins Gedächtnis zu rufen, fällt einem wohl neben einer Handvoll weiterer Meilensteine Jonathan Demmes preisgekrönter Thriller „Das Schweigen der Lämmer“ ein, der auf dem gleichnamigen Bestseller von Thomas Harris basiert.
Der zugleich mitreißende und verstörende Film hat neben weiteren Auszeichnungen fünf Oscartrophäen (u.a. für den „Besten Film“) einheimsen können, und entlockte sowohl dem Publikum als auch der weltweiten Presse eine Flut von Lobeshymnen.
Die junge FBI-Schülerin Clarice Starling (Jodie Foster gibt hier die beste Performance ihrer bisherigen Karriere) wird von ihrem Vorgesetzten Jack Crawford (Scott Glenn, „Backdraft“) um Hilfe gebeten. Die ehrgeizige Jahrgangsbeste soll dem inhaftierten Serienkiller und genialen Psychiater Dr. Hannibal Lecter (Anthony Hopkins, den man seit dem Film immer in dieser Rolle vor dem geistigen Auge sieht) ein Profil zur Identifizierung eines weiteren Psychopathen entlocken, der von den Ermittlern nur „Buffalo Bill“ genannt wird und seine weiblichen Opfer stets häutet bevor er die Leichen im Fluss versenkt.
„You still wake up sometimes, don't you? You wake up in the dark and hear the screaming of the lambs.“
Tatsächlich hofft Crawford, durch das noch unverbrauchte Auftreten Starlings einen besseren Kontakt zu Lecter herstellen zu können, da dieser jeden plumpen Plan eines abgebrühten Agenten sofort durchschauen und eine weitere Zusammenarbeit ablehnen würde.
Zunächst misstraut das als „Hannibal der Kannibale“ bekannte Genie auch der jungen Frau, und dringt durch geschickte Psycho-Spielchen in ihr Innerstes vor. Starling, die noch immer unter einem Kindheitstrauma leidet, versucht vor dem charmanten Lecter eine emotionale Blockade aufzubauen, doch als „Buffalo Bill“ sich ausgerechnet die Tochter einer Senatorin als nächstes Opfer ausgesucht hat, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit – die zukünftige FBI-Agentin muss ihrem gefährlichen Gegenüber die nötige Information entlocken… um jeden Preis.
„Quid pro quo.“
Bereits 1986 hat „Miami Vice“-Schöpfer Michael Mann unter dem Titel
„Manhunter“ die erste Hannibal Lecter-Geschichte von Thomas Harris,
„Roter Drache“, adaptiert.
Eigentlich ist auch dieser vergleichsweise weniger bekannte Vorgänger von „Das Schweigen der Lämmer“ ein kleines Highlight im Thriller-Genre und kann vor allem durch hervorragende Darsteller und optische Brillanz begeistern.
Zum damaligen Zeitpunkt ist noch nicht Anthony Hopkins in die Rolle des wohl populärsten Leinwand-Kannibalen geschlüpft, sondern der ebenfalls überzeugende aber leider zu sehr in den Hintergrund gerückte Brian Cox.
Im direkten Vergleich mit Demmes Werk zieht Michael Manns Erstling allerdings eindeutig den Kürzeren.
Doch was macht diesen Film, der noch immer als einer der besten Thriller der Neuzeit gilt, so besonders, so
einzigartig?
Nun, zunächst verfügt „Das Schweigen der Lämmer“ über eine ungeheuer beklemmende und trotzdem überaus reale Atmosphäre. Der Zuschauer bekommt das Gefühl vermittelt, dass dieses Grauen sich hier und jetzt ereignen könnte. Direkt vor der eigenen Haustür. In einem schäbigen Keller in der Nachbarschaft.
Und tatsächlich diente für die Ausarbeitung von „Buffalo Bill“ ein realer Serienkiller - nämlich Ed Gein, der in den 50ern mehrere Menschen ermordete und aus deren Überresten Haushaltsgegenstände und Masken anfertigte.
In Anbetracht der morbiden und Gänsehaut-erzeugenden Stimmung des Films könnte man sich die berechtigte Frage stellen, warum er nicht eher dem Horrorgenre als dem Thriller zugeordnet wird. Und prinzipiell stimmt es wirklich: „Das Schweigen der Lämmer“ ist vom Grundgerüst her ein waschechter Horrorschocker, der allerdings über Figuren mit Charaktertiefe und Identifikationspotential jenseits jedes Klischees verfügt.
Diese Einschätzung sahen aber offensichtlich sowohl der Vertreiber, wie auch „seriöse“ Kritiker und ein Großteil des Mainstream-Publikums anders – schließlich steht für viele Leute das Etikett „Horror“ immer noch für sinnlosen Schund, und auch die
Academy hätte ihre goldenen Figürchen vermutlich nur ungern an einen öffentlich bekannten Vertreter des niederen Genres vergeben.
Unterm Strich ist es ja egal, ob der Film nun unter „psychologischer Thriller“ oder einem anderen Banner vertrieben wird...eine meisterhaftere Umsetzung mit besseren Schauspielern hat man wohl bis heute nicht in einem Werk mit diesem Härtegrad erlebt.
Natürlich sind es vor allem die unglaublich intensiven Dialogszenen zwischen Foster und Hopkins, die das Herzstück von „Das Schweigen der Lämmer“ bilden, aber auch Scott Glenn als Jack Crawford oder Anthony Heald in der Rolle als schleimiger Dr. Chilton werden dem Zuschauer im Gedächtnis bleiben.
Für Regisseur Jonathan Demme stellt das Werk nach einigen Komödien den ersten Ausflug in die menschlichen Abgründe dar. Und wahrscheinlich ist auch gerade dessen unkonventionelle Herangehensweise an den Stoff ein Schlüssel für das hervorragende Resultat gewesen. Demme gelingt es einfach seinen Hauptfiguren trotz des komplexen Storyverlaufs (ein Oscar für das adaptierte Drehbuch ging an Ted Tally) den notwendigen Freiraum zur Entfaltung einzuräumen – ein wichtiger Punkt, der bei Filmen dieser Art in den meisten Fällen einer starken Anhäufung von Schockszenen zum Opfer fällt.
Ursprünglich sollte übrigens der Schauspieler Gene Hackman Regie führen, allerdings war dieser von dem harten Stoff dann doch nicht sonderlich angetan und gab das Projekt ab.
Ein Element, das noch eine besondere Erwähnung verdient, ist die fabelhafte Musik von Howard Shore - die bedrohlichen Klänge werden auch nach dem Ansehen noch eine Weile im Kopf nachhallen und die gepflegte Gruselstimmung aufrecht erhalten.
Hervorzuheben ist übrigens auch, wieviel Wert auf den titelgebenden Kern der Geschichte gelegt worden ist. Es wäre ein leichtes Unterfangen gewesen, einfach den Namen zu ändern und diese überaus faszinierende Metapher vollständig zu umschiffen oder nur knapp abzuhandeln – zum Glück ist dies nicht passiert. Denn natürlich steckt hinter „Das Schweigen der Lämmer“ mehr als nur die Ruhe auf der grünen Wiese…
Ohne Zweifel: Der beste Horrorfilm
und der beste Thriller der 90er!
„Well, Clarice - have the lambs stopped screaming?“