(Deutschland / Österreich, 2007)
Kinostart: 15. November
„Was wolltest du beweisen? Das Fernsehen blöd macht? Pff… ganz was Neues!“
Sich über das Fernsehen beschweren, das ist ungefähr so, als ob man schreiben würde: „Flutkatastrophen sind doof“. Was vermutlich mit der Halbwertszeit humanistisch gesinnter Kulturkritik zu tun hat. Je mehr man sich über etwas echauffiert und sich gleichzeitig nichts ändert, verwandelt sich Aufregung bei den einen in routiniertes Rummotzen, während die anderen mit den Achseln zucken. Fernsehnkritik, eine Fingerübung im Feuilleton. Der enervierende Trashtalk, die Bauernfänger-Gewinnshows zu nächtlicher Stunde, die schlecht getarnten Ideenklauerein bei ausländischen Sendern. Und dann das ewige Geiern und Gieren nach der Quote; die Ungeduld, die deutsche Programmmacher an den Tag legen, wenn ein Format nach zwei Sendungen nicht gleich läuft wie am Schnürchen. Ja, all das stinkt. Aber Hundehaufen stinken auch. Und was wollte man da machen? Den Haufen anbrüllen: „Hör auf zu stinken!“?
Was will Hans Weingartner (
Die fetten Jahre sind vorbei) also mit seinem neuem Film
Free Rainer – Dein Fernseher lügt? Kritik am toten Objekt üben? Die alte Rivalität zwischen Kino und Glotze wieder auferstehen lassen? Oder doch wieder etwas Empörung über die alltägliche Blödmache aus den Gleichgültigen herauski
tzeln?
Am Anfang steht eine Läuterungs- und Erweckungsgeschichte. Der besagte Rainer (Moritz Bleibtreu) ist Fernsehproduzent, ein überaus erfolgreicher. Zu seinen Quotenrennern zählt die Show „Hol dir das Super Baby“. Dort kämpfen hübsche, braungebrannte Hormonbomber um die Frau. Der Kerl mit dem besten Erbmaterial gewinnt. Ein Konzept, das voll im Einklang steht mit den gängigen, biologistischen Deutungsmustern der Beziehungs- und Familienforschung. Als satirische Idee ist das nett. Nicht über die Maßen originell, aber gut am Puls der Zeit.
Rainer ist ein in kräftigen Farben gemahlter Schlechtmensch. Zum Anfang sehen wir ihn in seinem Luxusschlitten bekokst durch Berlin brettern, die Flasche Wodka Smirnov immer griffbereit. Und dies zu den Klängen von Downsets
Anger (Punkt für Sie, Herr Weingartner!). Der Zuschauer soll es so schnell wie möglich begreifen. Es ist ein falsches Leben auf der Überholspur, mit falschen Freunden und falschem Glück. Erst die Begegnung mit der bodenständigen Pegah (Elsa Schulz Gambard), schlechte Träume und Gewissensbisse lassen ihn zum Systemkritiker und praktizierenden Rebell werden. Nachdem die Erkenntnis bei ihm durchgesickert ist, die Welt mit Medienmüll überschüttet zu haben, versucht er sich an kritischem Qualitätsfernsehen. Doch die Quote sagt: Durchgefallen!
Da beginnt Rainer dem Phänomen des Einschalteverhaltens der Deutschen auf den Grund zu gehen, und findet heraus, dass sich die Quoten aus einer demographisch (angeblich) repräsentativen Minderheit zusammensetzen. (Für einen erfahrenen Produzenten eine erstaunliche investigative Leistung!) Also wird ein radikaler Schnitt gemacht. Der schicke Flachbildfernseher fliegt aus dem Appartement. Zusammen mit Pegah und dem kontaktscheuen Computerfachmann und Verschwörungstheoretiker Phillip (Milan Peschel) quartiert er sich in einem kleinen Hotel im Brandenburgischen Niemandsland ein. Mit einer aus Hartz IV-Empfängern rekrutierten Medienguerilla machen sie sich auf in die deutschen Haushalte, um an Messboxen und Telefonkästen rumzufummeln und der Quote etwas auf die Sprünge zu helfen.
Was folgt, ist eine wundersame Kulturrevolution. Das Bildungsfernsehen feiert nicht für möglich gehaltene Siegeszüge, Dokumentationen und Literaturverfilmungen laufen zur Primetime. Und wer sich partout nicht begeistern lässt, der geht wieder nach draußen an die frische Luft. Die Jugend versauert nicht mehr beim SMS-Verschicken, am Strand werden Reclam- und Suhrkampbücher gelesen. Von den Titelseiten von SPIEGEL, STERN und TAZ schreit es hinaus: das ist die Auflehnung des Geistes gegen die Verdummung. Des Menschen Kreativtrieb schlägt Purzelbäume. Diese kleine Rebellion sprengt alle Klassenbegriffe, lässt eine Winzigkeit lang Ober-, Mittel- und Unterschicht eins werden, wenigstens im Feld des Kulturellen.
Es erinnert fatal an die legendäre
Simpsons-Episode, in welcher der beliebten Zeichentrickgewaltserie „Itchy & Scratchy“ der Garaus gemacht wird und die Straßen wieder mit spielenden Kindern bevölkert werden. Phantasie und Kreativität werden nicht länger vom ‚quasselnden Zyklopen’ unterdrückt. Die Pointe dieser Folge hat auch für Weingartners Film eine gewisse Leitmotivik. Denn natürlich siegen am Schluss Itchy und Scratchy, und so gibt es für die Kinder von Springfield letztlich doch nur einen – typischen - Zugang zu Kunst und Kultur, wie Homer Simpson sagt: „Wir zwingen sie dazu!“.
Den Geruch des elitären Führungsverständnisses der Geschmacksbourgeoisie hatte vermutlich auch der Regisseur in der Nase. Deshalb lässt das Drehbuch Phillip an einer Stelle fragen, ob das, was sie hier machen, nicht ‚elitär’ sei. Rainers wunderbar kaltschnäuzige Antwort: „Natürlich.“ Aber am Ende soll der Zuschauer doch selbst entscheiden, was er denn nun wirklich in der Glotze sehen will. Trash oder Kultur. Das ist das, was Rainer und seine Mitstreiter erreichen können. Nicht mehr, nicht weniger.
Es gibt zwei Filme, die einen bei
Free Rainer in den Sinn kommen. Zum einen Louis de Funès Komödienklassiker
Brust oder Keule (Claude Zidi, 1976) und Sidney Lumets berühmter Anti-TV-Film
Network aus demselben Jahr. Sie behandeln zwei der zentralen Fragen, die Weingartners Film ebenfalls evoziert. Zum einen geht es darum, in wie fern ‚schlechter’ Geschmack, sowohl kulinarischer und kultureller Art, konditionierbar ist, und was wohl zuerst da war: das Bedürfnis und seine mediale Befriedigung, oder das Konzept, das man dem Zuschauer solange serviert, bis er es schluckt. Auf der anderen Seite steht die Frage danach, in wie fern das Fernsehen für den Menschen ein Ort der Sinnstiftung darstellt und welchen Platz es in der Kultur einer Gesellschaft einnehmen sollte.
Weingartner tut einen Teufel, diese Fragen zu beantworten. (Was vielleicht auch gar nicht geht. Nicht in einem Unterhaltungsfilm.) Vielmehr verlässt er sich auf die Verlockung der Vorstellung, dass der Konsument endlich seine selbstverschuldete Unmündigkeit ablegen und sich wieder seines eigenen Verstandes bedienen könne. Es wäre ausgesprochen hochnäsig, so etwas als Utopie oder Märchen zu bezeichnen, so unrealistisch es auch klingen mag. Im reinen Kontext dieses Filmes möchte man dem aufklärerischen und medienkritischen Impetus am liebsten voll und ganz auf dem Leim gehen. Weingartner träumt von der Befreiung des Individuums und der Gesellschaft gleichermaßen. Die Befreiung von Oberflächlichkeit, Materialismus und radikal-ökonomischem Pragmatismus. Das sind schöne, idealistische Gedanken in einem Film, der das teilweise gut umzusetzen weiß.
Im anderen Teil von 'teilweise' strampelt sich Weingartner leider zu sehr ab mit der Erweckung Rainers als TV-Che Guevara, zumal diese Geschichte ausschließlich in vorhersehbaren Bahnen verläuft. Moritz Bleibtreu spielt von Anfang an so, als ob die Kehrtwende eh nur eine Frage der Zeit sei. Man sieht es ihm an: eigentlich will Rainer dieses Leben doch gar nicht. Er schaut mit blutender Koksnase in den Spiegel, als ob er sagen wollte: „Was für ein falsches Mistleben.“ Nur der Zustand des permanenten Exzesses und der Rausch des Erfolges hält ihn davon ab, einen Schnitt zu machen. In seinen ruhigen Stunden sagt er zu Pegah: „Du kannst mich unmöglich mehr hassen als ich mich selbst.“ Da hat man doch keine Fragen mehr.
Die detektivische Schärfe, mit dem Rainer anschließend dem Quotenwahnsinn auf den Grund geht, ist übrigens genau der Weg, den Weingartner bei den Vorbereitungen zu diesem Film gegangen ist. Die Verblüffung, die sich beim Hinterfragen von normalerweise Unhinterfragtem einstellen kann, sind Weingartners eigene Erlebnisse und tropfen fast Wort für Wort in das Drehbuch: „Ich kenne keinen, der so eine Quoten-Box zu Hause stehen hat. Ich kenn´ nicht einmal jemanden, der jemanden kennt, der so ein Ding zu Hause hat.“ Nach dem der Jungregisseur unter einem Stapel von Recherchematerial aufwachte, wurde ihm klar, keiner gigantischen Verschwörung, aber zumindest einem ziemlich faulen Zauber auf die Schliche gekommen zu sein.
In
Free Rainer schauspielert Bleibtreu genau so routiniert gut wie Milan Peschel und die Neuentdeckung Elsa Schulz Gambart. Der Knaller in dem Ensemble ist Gregor Bloéb als Programmdirektor Maiwald, ein Chef-Fiesling aus dem Bilderbuch. Er gibt ihn mit so viel lasziver Schmierigkeit und Wangen tätschelndem Zynismus, dass es eine Freude ist.
Auch wenn die groß angelegte Wandlung des Protagonisten zu gewollt und obligatorisch wirkt, eine Initiation am Reißbrett, darf man Weingartner zu einem runden Film gratulieren, der mit großer Geste vorgetragen wird. Der seine zwei Stunden wie im Flug vergehen lässt. Dem man für seinen sozialen Optimismus Respekt zollen muss. Der über sein primäres Thema hinaus Wegweiser aufstellt in aktuelle Diskussionen darüber, ob eine Gesellschaft geistig und materiell auseinanderdriftet, und ob der Zugang zu Informationen und Wissen wirklich so frei und selbstverständlich ist, beziehungsweise bleiben wird. Der suggeriert, dass hinter Medienkritik ein bisschen mehr stecken könnte als bildungsbürgerlicher Kultursnobismus. Und der klar macht, dass es sehr befreiend sein kann, einen großen Hundehaufen anzubrüllen. Vielleicht nimmt man irgendwann selbst die Schippe in die Hand und macht den Dreck weg.