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2008 Filmkritiken | 10468 Personen | 3323 Kommentare  
   
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Herr S. kommt nicht zum Zuge
von Klaus Überall




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Die tollen Tanten schlagen zu

Die tollen Tanten schlagen zu

Ein Film von F. J. Gottlieb

Ich darf Sie recht herzlich zur heutigen Lehrveranstaltung begrüßen und freue mich, daß Sie nach wie vor so zahlreich erschienen sind, jeder einzelne von Ihnen. Wir haben ja zuletzt schon ein sehr kritisches Auge auf die oftmals übersehenen Werke des europäischen Kinos geworfen, und – das habe ich ja schon auf dem Curriculum angekündigt, den, wie ich mitbekommen habe, der eine oder die andere bislang gar nicht beachtet hat – so widmen wir die heutige Vorlesung nun dem Film DIE TOLLEN TANTEN SCHLAGEN ZU aus dem Jahre 1971, den Sie sich hoffentlich im Zuge Ihrer gründlichen Vorbereitung bereits mit analytischem Blick angesehen haben.

Bitte schlagen Sie doch kurz Ihre Unterlagen auf und lassen Sie Ihr Auge über die Namen der Mitwirkenden schweifen. Regisseur Franz Josef Gottlieb sind wir ja schon begegnet, als wir AUF DER ALM DA GIBT'S KOA SÜND studierten. Die entsprechenden Querverweise entnehmen Sie doch bitte den dortigen Handouts, die ich übrigens auch im Handapparat auflegen lasse. Dabei fällt mir übrigens ein: Einigen von Ihnen scheinen die im Handapparat aufliegenden Handouts bislang entgangen zu sein. Wenn Sie in die Bibliothek kommen, sehen Sie gleich rechts auf dem Regal einen Ordner mit dem Namen der Lehrveranstaltung darauf. Sie wissen a
ber schon, wo sich die Bibliothek befindet, oder? Genau, das ist der Raum mit den vielen Büchern.

Kommen wir zurück zum Film. In DIE TOLLEN TANTEN SCHLAGEN ZU sind, wie auch schon in WENN DIE TOLLEN TANTEN KOMMEN und in TANTE TRUDE AUS BUXTEHUDE zuvor, Rudi Carrell und Ilja Richter zu sehen. Carrell spielt hier einen Holländer namens Rudi, während Richter einen schlaksigen Jungen mimt, der nicht schauspielern kann. In der, wie sagt man doch so schön neudeutsch, Cast werden die beiden von bekannten Gesichtern flankiert: Darunter Theo Lingen, Hans Terofal – die Aufmerksamen unter Ihnen wissen bereits, wie sehr sich Terofal um den Erfolg der deutschen Komödie verdient gemacht hat - weiters Trude Herr, Hansi Kraus, und Dr. Gunther Philipp, der uns schon so oft gezeigt hat, wie gerne und gelungen sich Psychologiestudium und Slapstick vereinen lassen. Geschrieben wurde das Werk von Erich Tomek, der dann später die Serie EIN SCHLOSS AM WÖRTHERSEE schuf – ein Stück Fernsehgeschichte, dem ich nächstes Semester eine ganze Vorlesungsreihe widmen möchte. Bei Interesse tragen Sie sich bitte jetzt schon auf der Liste ein, die vor dem Geschäftszimmer aushängt – ich werde Ihren guten Willen auch gerne bei der Notengebung berücksichtigen.

Der vorliegende Film zeigt uns einmal mehr, wie vielseitig die – bitte verzeihen Sie mir die Anglizismen – Location Wörthersee in zahllose Geschichten eingebaut werden kann. Besonders unter Berücksichtigung der im deutschen Humorverständnis so beliebten Verwechslungsstrategien, in welcher Figuren für ganz andere Figuren gehalten werden, und sich die Mißverständnisse dann bis zum klimaktischen, aber letztlich doch glücklichen Ende türmen. So reisen hier die Freunde Rudi und Andy an den Wörthersee und werden dort prompt verwechselt: Rudi wird für einen Meisterkoch gehalten und darf fortan die Küche eines Hotels unsicher machen – und, das müssen wir zum Ziele der Differenzierung genau festhalten, es handelt sich hierbei nicht um das Schloßhotel. Andy dagegen wird in einem Mädcheninternat für ein, jawollja, Mädchen gehalten und bekommt unter der strengen Führung von Vizedirektor Theo Lingen Stubenarrest, ohne das Mißverständnis aufklären zu können.

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Bitteschön, meine Damen! Was soll das Gekichere? Wir sehen uns das hier ja nicht zum Spaß an. Also: Um Andy wieder aus dem Mädcheninternat herauszuholen, verkleidet sich Rudi als Andys Mutter, während eine andere besuchende Mutter für einen Mann gehalten wird. An dieser Stelle sollten wir kurz innehalten und den diesem oberflächlich betrachtet harmlosen Klamauk innewohnenden Gender-Diskurs ein wenig Aufmerksamkeit schenken. Das fängt schon damit an, daß Ilja Richter selbst ohne Verkleidung für ein Mädchen gehalten wird – Andy steht gewissermaßen für die sexuelle Ambivalenz, die uns allen zu einem gewissen Grad zu eigen ist. Daß er die Komödie eine Zeitlang mitspielt, ohne sich als Mann erkennen zu geben, zeichnet ihn als einen Menschen, der sich seiner Sexualität nicht sicher ist. Nicht zu übersehen auch die – und das dürfen wir ruhig auch so aussprechen – dialektischen Elemente: Wenn sich Andy an einem Seil, das er aus vielen Büstenhaltern geknotet hat, aus dem Internat abzuseilen versucht, ist er einerseits ein Individuum auf der Flucht vor seiner eigenen sexuellen Identität, auf der anderen Seite aber bedient er sich beim Fluchtversuch eben jener geschlechtsspezifischen Elemente, denen er zu entkommen versucht.

Viel gereifter in seiner geschlechtlichen Identität – aber dafür natürlich auch als ältere Figur, quasi als Mentor in die Handlung integriert – ist Rudi, der als vereinendes Element zwischen Chromosomenträgern jeglicher Art vermittelt. Ohne Widerspruch wirft sich Rudi in Frauenkleider, um Andys Mutter zu mimen, und wird – trotz eindeutiger männlicher Physiognomie sowie definitiv maskulinen Sprech- und Bewegungsmustern – vom gesamten Umfeld sofort als Frau akzeptiert. Als Theo Lingen die Information erhält, daß sich ein Betrüger in Frauenkleidern im Internat herumtreibt, verdächtigt er nicht etwa den für uns so offensichtlich transgressiven Sexual-Wechselbalg Rudi, sondern die tatsächliche Mutter, die im Internat auftaucht – eine Figur, deren repressive Züge (sie rät ihren beiden Töchtern, ja keine Männerbekanntschaften zu schließen) sie gewissermaßen ihrer sexuellen Identität berauben.

Jetzt lachen Sie doch nicht dauernd! Schreiben Sie lieber mit – das wird alles Teil des Prüfungsstoffes. Dabei fällt mir übrigens ein, daß zuletzt Exemplare einer meiner vorigen Prüfungen in schlecht lesbaren Kopien in der Mensa gesichtet wurden – ich bitte Sie, Sie sind doch nun auch schon erwachsen. Als Vorbereitung empfehle ich Ihnen sogar eine Auseinandersetzung mit meinen vorigen Prüfungsstoffen – vor allem die Kapitel "Depressionen im Deutschen Revuefilm" und "Monogamie im französischen Film" – aber ich darf Ihnen versichern, daß Sie hier ganz auf die diesjährige Vorlesungsreihe zugeschnittene Fragen erwarten werden. Ich darf Sie da aber beruhigen. Man hört trotzdem immer wieder von Studenten, die meine Prüfung bestanden haben.

Wo waren wir? Ah ja. Denken wir doch einmal kurz über das - und ich verwende nun bewußt ein provokant gewähltes Wort – politische Element des Films. Der hochgeschätzte Kollege unserer Academia, Dr. Gunther Philipp, spielt hier einen texanischen Ölbaron, der auf dem Gelände des Hotels gerne nach Öl bohren möchte, und dann – weil der Eigentümer ihm das Grundstück nicht überlassen möchte – eine Intrige anzettelt, um das Hotel in den Ruin zu treiben. Wer hinter diesem Handlungsstrang aber eine plumpe Abrechnung mit dem amerikanischen Imperialismus vermutet, irrt sich gewaltig: Zunächst mal versucht der Ölbaron lange Zeit, das Grundstück ehrlich zu erwerben. Erst, als sich der Eigentümer dem Geld gegenüber unbeeindruckt zeigt, greift er zu anderen Methoden. Wir sehen hier also nicht etwa eine Kritik am Kapitalismus, sondern einen gewieften Diskurs über die Grenzen desselbigen! Weiters gilt es zu beachten, daß der Ölbaron einen Pakt mit der Schwester des Eigentümers schließt – wir sehen also Österreich und die Vereinigten Staaten Hand in Hand eine Verschwörung planen! Es kann bedenkenlos davon ausgegangen werden, daß Regisseur Gottlieb hier einen Kommentar zu dem Mythos abgibt, daß die Nazis seinerzeit in Österreich einmarschiert sind, wo die doch in der Tat mit Freudentränen und offenen Armen zur Kollaboration bereit waren.

Ich sehe auf die Uhr und muß feststellen, daß die Zeit schon wieder viel zu schnell vergangen ist. Als Frage möchte ich Ihnen aber noch einen Gedanken mit auf den Weg geben: Ach, bitte, jetzt packen Sie nicht schon ungeduldig zusammen, die eine Minute können Sie doch noch warten. Also: Wie würden Sie die Verwendung von Schlagern im Film bewerten? Sind die Schlagersänger als griechischer Chor zu verstehen, der die Handlung kommentiert? Oder erfüllt die Musik hier vielmehr das Ventil für die Sehnsucht nach ursprünglichen Werten, mit denen vermittelt werden soll, daß die Suche nach einer modernen sexuellen Identität durchaus Hand in Hand mit traditionell gefeierten Geschlechterrollen kombinierbar ist? Bitte denken Sie darüber nach. Und noch ein allerletzter Gedanke: Inwiefern spielen Gewalt und Aggression in dem politischen Diskurs eine Rolle, nachdem ja die Verschwörung in einer großen Schlägerei gewissermaßen bereinigt wird?

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Nächste Woche sprechen wir über BANANA JOE, und in diesem Zuge betrachten wir die Idee des Kolonialismus im Zusammenhang mit dem Gesamtwerk von Terence Hill und Bud Spencer. Danke und auf Wiedersehen.

Eine Rezension von Christian Genzel
(01. April 2007)
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Daten zum Film
Die tollen Tanten schlagen zu Deutschland 1971
(Die tollen Tanten schlagen wieder zu)
Regie F. J. Gottlieb Drehbuch Erich Tomek
Produktion Lisa Film Kamera Heinz Hölscher
Darsteller Gunther Philipp, Rudi Carrell, Ilja Richter, Theo Lingen, Hansi Kraus, Trude Herr, Hans Terofal
Länge 90 FSK 6
Kommentare zu dieser Kritik
Stefan R. TEAM sagte am 01.04.2007 um 14:46 Uhr

Danke für diese überaus unterhaltsame Kritik! :-)) Wenn es das Anliegen des Autors war, dem Leser ein Grinsen aufs Gesicht zu zaubern, so ist dies mit Bravour geglückt! Freue mich schon auf die nächste Vorlesung... ich bin übrigens immer der notorische Zu-spät-Kommer, der sich in der letzten Reihe unter Murren der Aufstehenden seinen Weg bis zum freien Platz in der Mitte bahnt. ;-)
schwarzygesetzlos sagte am 06.04.2007 um 14:27 Uhr

Gut, dass im Review die essentielen Bestandteile und Elemente des deutschen Verwechslungskinos gut und eindrucksvoll an diesem Paradebeispiel erklärt wurden! Meiner Ansicht nach ist dieser Film nur noch durch "Tante Trude aus Buxtehude" (man beachte hier Hans Therofal als Friseur) zu toppen.


Beim Durchlesen des Kapitalismus-Teils fällt mir auf, dass das doch tatsächlich Dr. Gunther Philip hier mal eine komplett seriöse Rolle bekleidet. Man fasst es nicht!

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