Leicht hatte es Charlie Chaplins tragikomische Nazi-Parabel "Der große Diktator" anfangs wirklich nicht. Einige Hürden mussten schon genommen werden auf dem Weg zur weltweiten Popularität, die das Werk heute genießt. Unter anderem rief die mit den Deutschen konforme Hearst-Presse (Zur Erinnerung: William Randolph Hearst war der Verleger, der später alle
Citizen Kane-Kopien an sich bringen wollte, weil er sich von Orson Welles auf den Schlips getreten fühlte) in der Heimat USA zu Demonstrationen gegen den Film auf. Und von Seiten der kurzsichtigen Kritikerschaft musste Chaplin den Vorwurf der Verharmlosung von Nationalsozialismus und Faschismus über sich ergehen lassen. Hat aber alles nichts genutzt: "Der große Diktator" mauserte sich zum unverwüstlichen Filmmonument und bildet aus heutiger Sicht einen wichtigen Eckpfeiler in der Karriere des gebürtigen Londoners, der sich 1940, zu einer Zeit, als die schlimmsten Hitler-Verbrechen noch bevorstanden, nicht nur abermals als differenzierter Beobachter des "Patienten" Gesellschaft erwies, sondern fast schon als "Visionär".
Chaplin spielt die Doppelrolle des Diktators Adenoid Hynkel ("Adenoid" = Wortspiel aus "
Adolf" und "para
noid") von Tomanien ("to mania" = "in den Wahnsinn") und des namenlosen jüdischen Barbiers. Letzterer verliert bei einem Flugzeugabsturz in der Endphase des Ersten Weltkriegs sein Gedächtnis und wird daraufhin i
n ein Hospital eingewiesen. Erst 20 Jahre später kehrt er ins zivilisierte Leben zurück und versucht sich in einem jüdischen Ghetto eine neue Existenz aufzubauen. Dass der Tyrann Hynkel sich inzwischen zum Führer des Tomanischen Reichs aufgeschwungen und den Einmarsch in das Nachbarland "Osterlich" befohlen hat, davon weiß der tolpatschige Friseur natürlich noch nichts. Darum können ihm auch die Besuche der Sturmtruppen von "Eurer Exzellenz" keine Angst machen. Seine Leidensgefährtin Hannah (Paulette Goddard, im richtigen Leben zu diesem Zeitpunkt Chaplins Frau) schlägt die Truppen tollkühn mit einer Bratpfanne in die Flucht. Als aber auffliegt, dass die beiden den zu den Juden übergelaufenen SA-Verräter Kommandant Schultz (Reginald Gardiner) im Haus der Nachbarsfamilie Jaeckel verstecken, kommt es zur Festnahme des Friseurs und dessen Deportation in ein Konzentrationslager.
Jedoch: Er kann fliehen und wird infolge eines dummen Zufalls mit dem Führer Hynkel verwechselt. In Uniform besteigt er das Podest Hynkels und tritt vor die Mikrofone...
Charles Spencer Chaplin, genannt Charlie Chaplin, war nicht nur was die Kunst an sich betraf ein Unikum. Auch in Sachen Beliebtheit konnte dem kleinen Mann mit dem Schnauzbart seinerzeit wohl kaum ein Schauspieler das Wasser reichen. Als erster Filmstar Hollywoods erhielt er einen Vertrag über eine Million Dollar - für damalige Verhältnisse bemerkenswert. In seinen Filmen behielt sich der subversive Satiriker und überzeugte Pazifist Chaplin vor, die Funktionsweisen eines gesellschafltichen Systems aufzudecken, um diesem auf zugleich ernsthafte, mahnende, aber doch leichtfüßige Art den Spiegel der eigenen Perspektivlosigkeit vorzuhalten; appellierend an den Verstand und ein Stück Selbstständigkeit in einem fremdbestimmten Alltag: Was in "Moderne Zeiten" noch die Dominanz der Maschinen war, die im Zuge der Industrialisierung dem Menschen das Denken und Arbeiten abnehmen, äußerte sich vier Jahre später, im "Großen Diktator", in der Person eines totalitären Führers, der aus den Unruhen in einem außer Kontrolle geratenen Staat seinen verheerenden Nutzen zieht.
Doch packte Chaplin mit "Der große Diktator" auch auf Dauer ein heißes Eisen an, weil die Thematik von Machtmissbrauch im großen Stil und des Völkermordes im Speziellen erstens nach wie vor brandaktuell ist, und weil man bei eben dieser komplexen Thematik zweitens auch stets Gefahr läuft, sich im Ton zu vergreifen. Doch wenn der Führer Hynkel im Film seine größenwahnsinnigen Expansionspläne in die jubelnde Menge posaunt und dabei so sehr nuschelt, dass ihn ein Off-Sprecher für uns "übersetzen" muss, dann werden damit nicht nur blinder Gehorsam und zugespitzter Nationalstolz der Jubelnden aufs Korn genommen. Gleichzeitig wird eben auch nochmals deutlich, wie selbstzweckhaft und beliebig die Formulierungen der NS-Ideologie doch waren. Es ging um die gewaltsame Ausrottung all dessen, was nicht "arisch" war - das alles im Gewand einer vordergründig volksdienlichen "Politik", die man notfalls auch mal kurzerhand anders ausrichten konnte: Alle Judenverfolgungen sollten augenblicklich eingestellt werden, ordnet Hynkel an. Aber nur bis zu dem Zeitpunkt, "bis wir den Kredit von Epstein (ein Jude) in der Tasche haben".
Was den Film so außerordentlich macht, ist das nahezu nahtlose Wechselspiel zwischen Komik und Tragik. Der jüdische Friseur, der später ja selbst für den Diktator gehalten wird, begegnet auf offener Straße einem Nazi-Offizier. Da er den Siegeszug des Dritten Reichs wegen seines Gedächtnisverlusts und des Krankenhausaufenthalts "verschlafen" hat, weiß er mit dessen Gruß "Heil Hynkel" nichts anzufangen. "Wer ist das?", fragt er mit reumütigem Blick. Als er daraufhin rumgeschubst wird, wehrt er sich mit Händen und Füßen und schleudert dem Offizier sogar einen Farbeimer ins Gesicht. Einen abseits stehenden SA-Mann fordert er dazu auf, die Polizei zu rufen. Nur Hannah kann ihn vor dem Schlimmsten bewahren. Wenn man hier nun lacht, dann lacht man nicht aus Schadenfreude über die missliche Lage des Barbiers oder sonst etwas. Man lacht über den hoffnungsvollen Mut zur Komik, die hier für einen klitzekleinen Moment befreiend über das historisch geerdete Grauen, welches ständig präsent ist, triumphiert. Und auch wenn Hynkel im weiteren Verlauf des Films der totalen Lächerlichkeit preisgegeben wird - mit am schönsten zu sehen beim unvergessenen Tanz mit dem Globus, der als warnender Vorbote für des Führers Untergang vor dessen Augen zerplatzt wie eine Seifenblase - dann geschieht dies im Zeichen des Respekts und im Wissen der vielen Opfer, die das Hitler-Regime gefordert hat. Aus dem quälenden Unverständnis dafür, wie ein einziger Mann, von dem überliefert wird, dass er selbst zum Autofahren unfähig war, ein ganzes Volk mobilisieren und schließlich unterjochen konnte, entsteht die Karikatur eines Despoten, dessen Machtgebärden so weit führen, dass er und sein Vertragspartner Napaloni (entspricht im Film der Figur Mussolinis) sich auf Friseurstühlen um die Wette nach oben schrauben, um ein Überlegenheitsgefühl gegenüber dem jeweils anderen zu spüren.
Dieses Verhältnis aus Satire/Parodie und der Tragik der Auswüchse des Krieges balanciert Chaplin mit der ihm gegebenen Genialität aus. Ferner transportiert er die ihm auf den Leib geschriebene Standardrolle des "Tramps", des liebenswürdigen Vagabunden mit schwarzem Zylinder und Spazierstock, in die Ära des Tonfilms, dem er sich jahrelang selbstbewusst (um nicht sagen zu müssen trotzig) verweigerte. Wobei "Der große Diktator" ja konkret gesagt nicht der erste Tonfilm Chaplins war. Schon "Moderne Zeiten" wurde im Tonfilmverfahren gedreht; im hier besprochenen Film gab es aber erstmals Sprechrollen. Trotzdem durfte Chaplin sein pantomimisches Talent auch hier noch mal zur Schau stellen.
Obwohl "Der große Diktator" im kommenden Jahr sein 70. Jubiläum feiert, hat sich auf der Oberfläche des Films kein einziges Staubkorn niedergelassen. Wenn der jüdische Barbier in seiner weltbekannten Schlussrede die universelle und zutiefst humane Friedensbotschaft verkündet, dann haben wir das Gefühl, der Weltstar Charlie Chaplin spräche persönlich zu uns und der versammelten Menschenmenge - und sind uns bewusst, soeben einem ganz besonderen Klassiker der Filmgeschichte beigewohnt haben zu dürfen.