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von Christian Alvart




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Die Gebrüder Skladanowsky

Die Gebrüder Skladanowsky

Ein Film von Wim Wenders

Die Brüder Skladanowsky gehören zu den Pionieren der Kunstform, die wir hier so sehr in all seinen Formen und Ausprägungen lieben, aber sie stehen im Schatten der Gebrüder Lumière, die als Urväter unseres heutigen Kinos ihren Platz in der Geschichte gefunden haben (vgl. auch unseren Essay zu L'ARRIVÉE D'UN TRAIN EN GARE DE LA CIOTAT). Dabei lagen Max Skladanowsky und seine beiden Brüder Emil und Eugen mit ihrem Bioscop ganze acht Wochen vor den Lumières: Am 1. November 1895 führten sie erstmalig im Berliner Varieté Wintergarten eine Reihe von Kurzfilmen auf. Es war die welterste öffentliche Filmaufführung. Einige Wochen zeigten die Erfinder ihre Filme jeden Abend einem ausverkauften Publikum, gingen mit ihrem Gerät auf "Tournee" - und wurden schon Ende des Jahres von den Gebrüdern Lumière überholt, deren Kinematograph dem Bioscop technisch haushoch überlegen war.

Einhundert Jahre später setzte Wim Wenders, zusammen mit einer Gruppe Studenten der HFF München, den Erfindern ein filmisches Denkmal. In einer kuriosen Mischung aus Spielszenen, Dokuelementen, alter und neuer Technik versucht der Film DIE GEBRÜDER SKLADANOWSKY die Zeit greifbar zu machen, in der "der Kinntopp in der Luft lag". Aus der Sicht der jungen Gertrud
Skladanowsky wird erzählt, wie Vater Max an seinem Apparat bastelte, und wie es den drei Brüdern letztendlich gelang, bewegte Bilder einzufangen und auch zu projezieren. Dann springen wir in die Gegenwart, wo die 91jährige Lucie Hürtgen-Skladanowsky, eine weitere Tochter von Max, in mehr oder weniger dokumentarisch eingefangenen Szenen von ihrem Vater erzählt und seine Erfindungen erklärt - darunter ein Daumenkino. Während die alte Frau erzählt, klettern aber die fiktiven Figuren der Gertrud und des Eugen Skladanowsky aus ihren Bildern heraus und lassen uns zurück ins Jahr 1895 springen, wo wir der ersten Aufführung beiwohnen dürfen. Zurück im Jetzt erkunden Gertrud und Eugen in einer Pferdekutsche das moderne Berlin, fahren durch das Brandenburger Tor und verschwinden in der Industriewüste der Stadt.

Die Gebrüder SkladanowskyDie Gebrüder SkladanowskyDie Gebrüder Skladanowsky
Die Sequenzen, die 1895 spielen, wurden mit einer alten Kurbelkamera gedreht und fangen so die technisch primitive Qualität der alten Skladanowsky-Filme ein. Zum Bild hören wir aber Musik und eine Erzählstimme - die der jungen Getrud im ersten Part, die altklug als treibender Motor der Erfindungen dargestellt wird ("Ick fand das immer unecht", fertigt sie die Nebelbilder der Gebrüder in breitem Berlinerisch ab), die von Max Skladanowsky im zweiten. Das reizvolle Aufeinandertreffen von alt und neu zieht sich durch den Film: Wenn ein Industriespion am Fenster der alten Lucie dem Dokuteam horcht, weist uns das direkt auf die Entstehungstage zurück, in denen neugierige Blicke von außen gefürchtet wurden. Und wenn zum Schluß Eugen und Getrud Skalanowsky durch Berlin fahren und darin verschwinden, ist das tröstlich und traurig zugleich: Ihr Pioniergeist ist auch im Jetzt noch spürbar, aber letzten Endes verschwinden sie für uns und geraten in Vergessenheit.

Erstaunlich beim Ansehen des Filmes ist es, wie sehr die Filmvorführung seinerzeit als Varietéakt verstanden wurde - ein verblüffender Zaubertrick, der am 1. November als Schlußattraktion nach einer Reihe von traditionelleren Künstlern aufgeführt wurde. Es fügt sich ins Bild ein, daß Eugen Skladanowsky als Clown und Jongleur gearbeitet hat, und daß die meisten ihrer Kurzfilme Varietéprogramme darstellen, vom "Serpentinentanz" bis zum "boxenden Känguruh". Das Aufführen des Filmes war noch Attraktion in sich. Wenders und sein Team fangen die spielerische Neugier der Brüder mit ihrem lustvollen Bruch mit den filmischen Traditionen ein und zeigen eine Familie, die für kurze Zeit an einem sehr aufregenden Abenteuer teilnehmen kann. Als die Gebrüder Lumière auf die Bühne treten, ist der Spuk vorbei - "Aber wir waren acht Wochen früher dran", hören wir Max Skladanowsky. "Dat kann uns keener nehmen."

Die Gebrüder SkladanowskyDie Gebrüder SkladanowskyDie Gebrüder Skladanowsky
DIE GEBRÜDER SKLADANOWSKY ist ein leichter, spielerischer Umgang mit dem Material - und trifft auf genau die Probleme, die einer Mischung aus Dokumentation und Fiktion bzw. dramatisierten Szenen inhärent sind: Der Wahrheitsgehalt einzelner Details bleibt offen, die Dokuszenen bremsen den Erzählrhythmus zu sehr aus. Eine reine Dokumentation oder ein rein kreatives Herangehen an das Sujet hätten dem Film eventuell mehr Substanz verliehen. Richtig anstrengend auch der 15minütige Abspann - freilich ein Klacks für HERR-DER-RINGE-verwöhnte Langschnittfreunde, aber hier tatsächlich ganze 20% der Gesamtspielzeit! Die Outtakes und Schnipsel während des Abspanns zeigen uns, daß Wenders und seine Leute viel Freude am Drehen hatten - aber das muß man ja keine Viertelstunde lang präsentiert bekommen.

Wenigstens ist den ein wenig in Vergessenheit geratenen Pionieren hiermit ein filmisches Denkmal gesetzt, das in seiner leicht naiven, immer spielerischen Behandlung seines Themas bei den Skladanowskys sicher für Vergnügen gesorgt hätte. Auch Wim Wenders wäre wohl manchmal gerne ein Bühnenkünstler, der uns mit purer Magie verblüfft. Aber sicherlich spüren wir selbst heute manchmal noch die unglaublichen Möglichkeiten, die die Pioniere in diesem Medium gesehen haben, und staunen mit großen Augen über das, was uns da gezeigt wird. Die Gebrüder Skladanowsky sind noch unter uns.

Eine Rezension von Christian Genzel
(26. Februar 2007)
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Daten zum Film
Die Gebrüder Skladanowsky Deutschland 1995
(Die Gebrüder Skladanowsky)
Regie Wim Wenders Drehbuch Wim Wenders
Produktion HFF München / Veit Helmer Filmproduktion
Darsteller Udo Kier
Länge 79 FSK
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