Wir befinden uns im Deutschland der Siebzigerjahre. Der Zuseher sieht Eindrücke einer Beerdigung.
Aus dem Off wird ein Brief vorgelesen.
Es ist das Begräbnis des 1977 von der RAF ermordeten deutschen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer.
Den Brief schrieb Schleyer aus seiner Gefangenschaft an seinen Sohn. Er prognostiziert darin, dass das Morden der Roten Armee Fraktion nicht so schnell aufhören wird.
Er sollte leider Recht behalten. Erst 1998 gab die „letzte“ Generation von Terroristen die Auflösung der Organisation bekannt, die nicht nur Deutschland jahrelang in Atem hielt.
Doch zurück zum Film „Deutschland im Herbst“, dessen Thematik, wie der Titel ja schon verrät, die Zeit des Deutschen Herbsts, die Zeit des RAF-Terrors, ist und der sich kritisch mit dem politischen Klima in der Bundesrepublik nach der Entführung Schleyers auseinandersetzt..
11 renommierte Filmemacher nahmen für dieses couragierte Projekt, das zum damaligen Kinostart ja wirklich brandaktuell war, im Regiesessel Platz: unter ihnen Volker Schlöndorff („Die Blechtrommel“) und Rainer Werner Fassbinder.
Der fertige Film wurde dann eine Collage von Kurzfilmen bzw. einzelnen Episoden. Die Spielfilmhandlung wird immer wieder mit „echtem“ Filmmaterial, wie zB. Dokumentationnsauschnitten verwoben. Die Grenze verschwimmt dabei zunehmend.
Der Film ist aus heutiger Sicht ein nicht zu unterschätzendes Z
eitdokument, dass jedoch bei weitem nicht perfekt ist.
Es ist ein filmisches Experiment, bei dem in gewisser Weise Neuland betreten wurde. Den mehr oder minder spontanen Zusammenschluss großer deutschsprachiger Regisseure, die einen Kommentar zur Lage der Nation gestalten, gab es in dieser Form bis dahin nicht.
Dabei bleibt nicht aus, dass der Film natürlich „Stückwerk“ ist und die einzelnen Beiträge in ihrer Qualität stark variieren.
Teilweise ist der Streifen recht wirr. Für manchen wird ev. schon die fast halbstündige Eingangsepisode von Fassbinder eine Geduldsprobe darstellen.
Als Voraussetzung für das Verständnis dieses Streifens sollte man allerdings schon recht gute zeitgeschichtliche Vorkenntnisse und ein Basiswissen über die Gründungsmitglider der RAF( wie Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof) mitbringen.
Denn der Film steigt unmittelbar mit der Beisetzung Hans-Martin Schleyers ein und die im Film diskutierten Themen, wie die Todesnacht von Stammheim, werden nicht weiters erklärt.
Der Film ist politisch engagiertes "Anliegen"kino, das zwar stellenweise durchaus gewöhnungsbedürftig wirkt, dennoch als einmalige Impression aus dieser Zeit Faszination auf anspruchsvolle Filmfans ausübt.
Das Konzept des Films wurde übrigens gerade erst dieses Jahr wieder geehrt.
Im Februar feierte "Deutschland 09" auf der Berlinale Premiere. Im Streifen setzten sich Regisseure wie Tom Tykwer, Fatih Akin, Wolfgang Becker oder Dominik Graf mit der Lage Deutschlands (wieder im Herbst) auseinander. Die eindeutige „Hommage“ verwendet wie das berühmte Vorbild sowohl Spiel- als auch Dokumentarepisoden.
„Deutschland im Herbst“ ist jedenfalls ein packendes Zeitdokument, das man als Freund politischen Kinos gesehen haben sollte.
Der Film kommt jetzt im Rahmen einer neuen Reihe des Kulturspiegels in Zusammenarbeit mit Kinowelt/Arthaus in den Handel.
Credit und Copyright Coverfoto/Coverimage:
Kinowelt