Il Divo – Der Göttliche: einer der vielen Spitznamen, den der italienische „Jahrhundertpolitiker“ Giulio Andreotti von seinen Freunden und auch seinen Feinden bekam. Der gleichnamige Film erzählt nun in knapp 110 Minuten einen Teil des politischen Lebens Andreottis. Andreotti war in 33 italienischen Regierungen auf unterschiedlichen Posten besetzt, davon war er in sieben Regierungen selbst als Ministerpräsident im Amt. Andreotti wurde aber ebenso über 20 mal wegen verschiedener Delikte angeklagt und gilt als eine der Symbolfiguren für die Verwicklungen von Mafia und italienischer Politik. Nachgewiesen werden konnte ihm jedoch nichts; 2002 wurde er zwar wegen Mordes an einem Journalisten zu 24 Jahren Haft verurteilt, dieses Urteil wurde jedoch in der Revision 2003 wieder aufgehoben.
Dabei konzentriert sich der Film vor allem auf die Regierungsjahre und die folgenden Prozesse, löst diese jedoch nur in den für Biographien klassischen Texttafeln auf. Selbst die Regierungsjahre werden kaum datiert oder für den unbedarften Zuschauer zeitlich eingeordnet; doch das sieht Regisseur und Autor in Personalunion Paolo Sorrentino nicht als Problem. Il Divo interessiert sich kaum für die italienische Politik während des Terrors der Roten Brigaden, auch wenn die Texttafeln zu Beginn des Films hierbei einen anderen Eindruck vermitteln Denn über den Politiker Andreotti und seine Entscheidungen erfährt man wenig. Der Fokus liegt eindeutig auf seiner Persönlichk
eit, seinem Auftreten und seinen Ansichten. Und hier kommt schon der enorme Pluspunkt ins Spiel, der „Il Divo“ so sehenswert macht: Hauptdarsteller Toni Servillo. Dieser verkörpert die Titelfigur ungemein eindrucksvoll und liefert eine der besten Leistungen ab, die ich in letzter Zeit sehen konnte. Stoisch, ruhig und besonnen bewegt sich Andreotti respektive Servillo durch den Film, ohne jedoch den Rainman unter den Politikerbiografien zu markieren. Immer wieder sieht man den eiskalten Machtmenschen durchscheinen, den durchaus dubiosen Politiker, den man nicht so ganz zu durchschauen vermag, ihn jedoch auch kaum ablehnen kann.
Wahrlich großes Kino, diese schauspielerische Vorstellung! Allein deswegen lohnt es sich eigentlich schon, den Film anzusehen.
Doch auch die Regie im Zusammenspiel mit der Kamera und der musikalischen Untermalung ist schlicht und ergreifend hervorragend. In den ruhigen Szenen, den Monologen Andreottis ohne Hintergrundmusik bleibt die Kamera auf die Protagonisten fixiert, Dialoge werden in wechselseitigen Schnitten geführt, lange, statische Kameraeinstellungen dominieren die Inszenierung und untermalen damit ganz vorzüglich die gespannte, ernsthafte Szenerie. Doch es sollte kein falscher Eindruck entstehen: „Il Divo“ ist nicht notwendigerweise ein bitterernstes, komplett korrektes und historisch verbürgtes Politkino. Dies wird umso deutlicher, wenn auf der Tonspur die Musik anfängt: getrieben von dem vielfältigen (und übrigens exzellenten) Soundtrack fegt die Kamera in langen Steadycamshots über das Parkett der italienischen Politik, bleibt kaum in Ruhe, schwenkt in Dialogen zwischen den Gesprächspartnern hin und her und wird zum Bildgewordenen Medium Andreottis Ausspruchs: „
Ich habe mein ganzes Leben lang getanzt.“
Gerade in diesen Momenten fühlt man sich wie in einem temporeichen Theaterstück, in einer vergangenen Epoche, ja fast wie an einem königlichen Hof wenn die Würdenträger des Staates in prächtigen Hallen sich die Klinke in die Hand geben und zu Musik tanzen, während die Kamera wie entfesselt durch die Hallen wirbelt.
Dabei ist die Inszenierung natürlich extrem stilisiert, und schnell wird nach den anfänglichen Texttafeln klar, dass es allein durch den Stil des Films nicht um eine wahrheitsgetreue Abbildung des historischen Geschehens gehen kann. Zu absurd wirken Szenen, in denen Andreotti vampirgleich durch nächtliche Straßen schlendert, begleitet von drei Streifenwagen und mehreren schwerbewaffneten Polizisten; zu skurril die Katze mit verschieden farbigen Augen, die Andreotti im Weg sitzt und sich erst mit mehrmaligem Klatschen vertreiben lässt – eine Szene, die völlig in der Luft hängt, aber den Stoiker eindrucksvoll darstellt. Und als dann Andreottis Parteifreunde in den Film eingeführt werden, und in ihren schwarzen Anzügen in Zeitlupe aus ihren Luxuslimousinen steigen, wie eben Filmmafiosi, dann findet man sich in einem Biopic dass einfach larger than life ist, aber gerade dadurch die kritische Untersuchung auf den Wahrheitsgehalt geschickt untergräbt; und „larger than life“ passt ja dann doch auch irgendwo zu diesem zentralen Politiker der italienischen Nachkriegsgeschichte.
Nach all diesem Lob muss man dem Film aber auch einige Dinge ankreiden: diese liegen vor allem in dem eigentlichen Thema das er behandelt; sekundär in der Art wie er das tut; und tertiär in der technischen Umsetzung.
Das Thema dem sich „Il Divo“ widmet, also italienische Politik nach dem zweiten Weltkrieg sowie den Verstrickungen von Mafia, Politik und Wirtschaft ist natürlich sehr interessant – siehe
Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert. Doch wo Damiano Damiani sich bewusst gegen einen historischen Ansatz entscheidet, und seine Geschichte dokumentarisch und allgemein hält, geht Regisseur Sorrentino genau den entgegengesetzten Weg: er setzt enorm viel Wissen voraus, welches, um ehrlich zu sein, ich schlicht und ergreifend nicht habe. Damit stehe ich sicherlich nicht allein. Sicherlich, die Entführung und Ermordung von Aldo Moro, dem ehemaligen Ministerpräsidenten, kann man kennen und mal gehört haben. Doch schon zu Beginn des Streifens werden Begriffe wie „Propaganda 2“ ins Geschehen geworfen, und im ganzen Film nur ein einziges Mal aufgegriffen. Ebenso startet der Film mit einer Montage verschiedenster Anschläge auf Politiker, Juristen und andere Mafiagegner, ohne diese einzuordnen für den Zuschauer, der sich nicht an die damaligen Bilder erinnern kann. Alles noch in einem Tempo, dass dem letzten Drittel des
Baader Meinhof Komplexes zu Ehren gereicht.
Durch diese enorme Menge an vorausgesetztem Wissen des Zuschauers lässt der Film ihn natürlich ziemlich alleine im Regen stehen, wenn er dieses nicht besitzt. Man fühlt sich enorm verloren. Allerdings entsteht dadurch natürlich auch ein gewisser Anreiz, den Film noch einmal zu schauen, nachdem man sich in das Thema eingelesen hat. Für italienische Zuschauer mag das alles ein geringeres Problem sein, allerdings muss man dem Script aber hierbei nunmal ankreiden, dass es kaum gelingt, die verschiedenen Personen und ihre Beziehungen für den Unbedarften einzuordnen. Schade. Nun zu dem Wie: sicherlich, wir reden hier von einem Spielfilm, also können die Schauspieler nur eine Ähnlichkeit bis zu einem gewissen Grad mit den historischen Figuren haben. Dies wird gelöst, indem zu quasi jeder neu eingeführten Figur ein Name und eine kurze „Position“ oder „Tätigkeit“ eingeblendet wird. Hier muss man sagen: „Il Divo“ gibt dem Begriff des „Namedroppings“ eine wahrlich ganz neue Dimension! Unglaublich viele Personen werden mit Namen bezeichnet, man vermag kaum zu unterscheiden, wen man sich jetzt unbedingt merken muss, und wer sich sowieso bald aus dem Film entfernt. Den Gesichtern die Namen zuordnen zu können ist eine Sache, aber wenn dann in mehreren Monologen die Namen eben ohne Gesichter fallen, dann fühlt sich der kenntnislose Zuschauer sicherlich erneut überfordert. Nun noch ein Wort zur technischen Umsetzung: die Einblendungen waren auf meinem über 70cm großen Bildschirm schlicht und ergreifend zu klein und somit im normalen Filmverlauf kaum lesbar. Und dann jedes Mal zu pausieren und zu zoomen ist auch nicht Sinn der Sache; das gibt aber nur kleinere Abzüge, vielleicht ist das bei der finalen DVD bzw. Bluray anders. An dieser Stelle natürlich wieder herzlichen Dank an S&L Medianetworx für die Bereitstellung des Screeners.
Was bleibt? Allein aufgrund von Toni Servillo sollte man den Film mal gesehen haben. Kein Wunder, wurde diese unglaubliche Leistung auch mit dem Europäischem Filmpreis als bester Darsteller geehrt. Ebenso sorgt die Inszenierung für jede Menge Freude und braucht sich gerade in der technischen Umsetzung und der Kameraarbeit nicht vor amerikanischen Produktionen zu verstecken. Allerdings ist der Film natürlich sehr anspruchsvoll und vollgepackt mit Anspielungen, die man kaum kennen kann. Das sorgt aber auch für Replay-Value.
Die Italiener können es also doch noch. Mehr davon!