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Der Spion, der aus der Kälte kam

Der Spion, der aus der Kälte kam

Ein Film von Martin Ritt

(GB, 1965)


"Willkommen in der wunderbaren Welt des Hochverrats. Hänge dein Gewissen an den Nagel, gib deinen Charakter an der Garderobe ab und tritt ein in das düstere Reich von Lug und Trug..."
(Alexander Rudolph, Spielanleitung für 'Spion & Spion')


"Innocent people die every day. They might as well do so for a reason."



Berlin in Regen, London im Regen, Holland im Regen. Glaubt man Filmen wie diesem hier, sah es im Kalten Krieg überall gleich grau aus, trostlos, leblos. In der Mitte von allem, am Checkpoint Charlie um Mitternacht, steht Richard Burton. Eine lebende Statue, den Kragen ins Gesicht gezogen, die Hände in den Manteltaschen. Er stiert nach drüben, zur Grenze, zum Feind. Scheinwerfer, Stacheldraht und Grenzpatrouillen rundherum. Zwei Minuten später ist wieder ein Agent tot. Damals waren das Kollateralschäden. Es ist Burton nicht mehr als einen kurzen, entgeisterten Gesichtsausdruck wert: Mist, schon wieder ein Plan der schief lief.

Wie viele Menschenleben der Kalte Krieg kostete, wie viel zerstörte Existenzen er produzierte, möchte heute niemand genau beziffern. Es ist ein ja abstrakter Begriff und es kommen viele Schauplätze zusammen. Zählt man allein sämtliche Stellvertreterkriege zusammen (Vietnam, Afghanistan, Korea, Angola, ect. pp.), kommt man locker auf zehn Millionen. Hinzu kommen die Opfer der unterstützen Militärdiktaturen und Un
rechtsregime weltweit. Und blickt man alleine auf die BRD, wären da noch die Justizopfer all der Richter, die früher unter dem Hakenkreuz und nach 1945 im Namen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung den Hammer schwangen. Die Justizopfer der DDR wiederum wurden von entnazifiziertem Personal verurteilt, doch das Ergebnis war nicht weniger erschreckend.

The Spy Who Came in From the Cold (Der Spion, der aus der Kalte kam, 1965) erzählt eine kleine Episode aus diesem großen Drama. Eine trostlose Geschichte über zwei Menschen, deren beider Leben am Ende so unwichtig wie der Flug einer Gewehrkugel kurz ist. Ein bedrückendes Lehrstück über die Beliebigkeit von Gut und Böse, in dem Gefühle keine Chance haben gegen Weltpolitik.

Die Romanvorlage kam von John le Carré. Er kannte die Welt der britischen Geheimdienste, während seines Studiums klopfte er linke Studentengruppen auf Sowjetspione ab, danach war er Agent für den MI5 und MI6. Alles, was er als Schriftsteller veröffentlichte, musste sein Arbeitgeber vorher autorisieren. Ein richtiger, aktiver Spion war er allerdings nie. Ansonsten wäre niemals auch nur eine Zeile von ihm erschienen. Der Roman war schon kurz nach seinem Erscheinen 1963 ein großer Erfolg. Die Verfilmung folgte fast auf dem Fuß.
Der Spion, der aus der Kälte kamDer Spion, der aus der Kälte kamDer Spion, der aus der Kälte kam
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Alec Leamas (Richard Burton). Für den britischen MI5 delegiert er in West-Berlin Spionageaktionen in der DDR. Nachdem sein Gegenspieler, der Stasi-Abwehrchef Hans-Dieter Mundt (Peter van Eyck) sein komplettes Agentennetzwerk zerschlagen hat, wird Leamas zurück nach England beordert. Dort hat sich sein Vorgesetzter einen Plan ausgedacht, um Mundt endgültig auszuschalten. Dazu wird Leamas zum Doppelagenten, der sich zum Schein von Agenten des Warschauer Paktes abwerben lässt. Im Osten soll Leamas den Eindruck erwecken, Mundt sei ein britischer Spion. Vor allem vom ehrgeizigen, jüdischen Kommunisten Fiedler (Oskar Werner) verspricht man sich Schützenhilfe gegen den Ex-Nazi Mundt. Nebenbei verliebt er sich in die junge, idealistische Sozialistin Nan Perry (Claire Bloom). Eine Verwicklung, die tragisch enden wird.

Wer 1965 ins Kino ging, dachte bei einem Agentenfilm automatisch an James Bond. Doch weder Le Carré noch Regisseur Martin Ritt wollten damit was zu tun haben. Buch und Film waren eine Art Anti-Programm für Zuschauer, die das Agentenleben für ein aufregendes Männerabenteuer hielten.

Schon der Vorspann macht das deutlich. Keine schmissiger Soundtrack von Shirley Bassey, keine stilisierten Bilder mit rauchenden Colts und langhaarigen Damen, die um den breitbeinigen Helden herum schweben. Die ersten Bilder zeigen einen Grenzübergang im geteilten Berlin, nachts, im Regen, ein Piano leiert im Hintergrund. Und: Schwarzweiß. Farbe war fehl am Platz.

Richard Burton war die perfekte Wahl für die Rolle des ausgebrannten Agenten. Wenn er in seinem alten Mantel durch London streunt, dann weiß man nicht ob er bereits in seiner Doppelagentenrolle steckt oder sich gar nicht erst verstellen muss. Die Rolle des Alec Leamas verlangte ihm aber mehr ab als gewöhnlich. In vielen Filmen durfte Burton toben und rasen, seine Widersacher mit vernichtendem Blick durchbohren und mit Schimpftiraden befeuern.

Doch in dieser Rolle musste er auf all das verzichten und sich nur auf seine Präsenz verlassen. Wir sehen nicht Burton den Wüterich, sondern Burton den Melancholiker. Es ist wohl kaum die schlechteste Rolle, die er je gespielt hat.

Die Inspiration für Alec Leamas, so erzählte le Carré viele Jahre später im Guardian, kam ihm in einer Londoner Flughafenbar. Da sah er diesen zerzausten Mann, der griff in die Tasche seines Trenchcoats, knallte dem Barkeeper eine Handvoll Münzen unterschiedlichster Herkunft auf den Tisch und bestellte so viel Scotch wie möglich. Die Phantasie des jungen Autoren lief auf Hochtouren. Konnte so ein Agent aussehen, der gerade von einer Mission zurückkehrte? Und wenn ja, was hatte ihn so fertig gemacht?
Der Spion, der aus der Kälte kamDer Spion, der aus der Kälte kamDer Spion, der aus der Kälte kam
Vielleicht waren es genau die Erkenntnisse, die le Carrés Buch damals ihren Sprengstoff verliehen und heute noch aktuell machen. Wie sah noch mal die Realität nach dem Krieg aus, gereinigt von aller Romantik und Schulbuchbeschönigung?

Die Nazis, die den Zweiten Weltkrieg und die Nürnberger Prozesse überlebten, zählten zu den größten Gewinnern des Kalten Krieges. Ob glühender Anhänger oder pragmatischer Profiteur, war fast egal. Sie alle hatten im Dritten Reich Qualifikationen erworben, die nach 1945 in West und Ost geschätzt und genutzt wurden. Der Nationalsozialismus war eine flexible Ideologie, in der mal Kommunismus, mal Kapitalismus böse war, allein der Hass auf das Jüdische diente als einende Klammer. Man konnte sich nach dem Krieg quasi aussuchen, welchen Teil des alten Weltbildes man aktivierte und welchen man auf Eis legte. Wem der Sinn eher nach Geschäftemacherei stand, fand im freien Westen offene Arme. Wem das Totalitäre und Militärische am Herzen lag, wurde hinter dem Eisernen Vorhang glücklich.

Die Amerikaner schätzten ehemalige Nazigeneräle nicht nur wegen ihrer strammen Militärausbildung. Ihr Antikommunismus war ein ganz dicker Pluspunkt, im Kampf gegen die Sowjets war jeder Schweinehund willkommen. Es begann mit dem ehemaligen SS-Obersturmbannführer Reinhard Gehlen, der nach erfolgreicher Zusammenarbeit mit der CIA und dem CIC erster Präsident des Bundesnachrichtendienstes wurde. (Das sind die, die völlig unabsichtlich die NSU-Terroristen nicht finden konnten.) Auch andere prominente Gestalten wie Klaus Barbie, Eduard Roschmann oder Josef Mengele dienten als inoffizielle Mitarbeiter und Informanten. Zum Dank schaffte man sie über die 'Rattenlinie' nach Südamerika. Einige wurden dort erfolgreiche Geschäftsleute und angesehene Mitglieder der Gesellschaft. Nur bei wenigen, wie zum Beispiel Adolf Eichmann, schlug der Hammer der Gerechtigkeit doch noch zu.

Dabei war keine große Leidenschaft im Spiel. Die Nazis konnten Amerika nicht wirklich leiden, aber man musste sich mit den Gegebenheiten arrangieren. Die Amerikaner hielten eben so wenig von Fritz und Schultz, aber die Nazis waren nun mal besiegt, während der Russe die freie Welt bedrohte. Warum nicht voneinander profitieren? Wozu sich mit Vergangenem aufhalten? What's the big deal?!

Auch in der DDR war man in der Wahl der Mitstreiter nicht zimperlich. Zwar wurden nach 1945 führende Köpfe in Verwaltung und Schulwesen entfernt und durch ideologisch geschultes Personal ersetzt. In Fachbereichen wie Wirtschaft, Technik oder Medizin konnte man aber kaum wählerisch sein, nach dem Krieg herrschte ja hüben wie drüben 'Personalnotstand'. Es waren nicht zuletzt die kleineren Rädchen des Nazisystems, die nun in einem neuen totalitären Staat große Karrieren machten. Sie halfen beim Aufbau von Volkspolizei und NVA, wurden Abgeordnete in der Volkskammer und klebten auf den Chefsesseln der Medienbetriebe.

Die Fahnenmärsche und Fackelzüge, die Durchdringung des Einzelnen und die Überwachung des Kollektivs, all das kannte man schon aus Führer's Zeiten. Wer sich da schon wohlfühlte, stellte in der DDR bei Marx und Engels einfach die Ohren auf Durchzug und erfreute sich an Militärparaden und Menschenverfolgung.
Der Spion, der aus der Kälte kamDer Spion, der aus der Kälte kamDer Spion, der aus der Kälte kam
So war das damals, alles in allem. Können wir den frustrierten James Bond an der Theke nicht gut verstehen? Konnte man das ohne Alkohol überhaupt ertragen?

The Spy Who Came in From the Cold stellte Gewissheiten und Bequemlichkeiten in Frage. Auch westliche Geheimdienste brechen die Regeln von Moral und Anstand, wenn es denn sein muss. Wie Leamas' Vorgesetzter (Cyrill Cusack) sagt: Der Gegner spielt hart und unfair, da muss man doch konkurrenzfähig bleiben.

Leamas lernt diese Lektion im denkbar ungünstigsten Moment. Er begreift: Er weiß nichts, und er ist nichts. Seine Abrechnung ist so bitter wie lapidar: "What the hell do you think spies are? Moral philosophers measuring everything they do against the word of God or Karl Marx? They're not. They're just a bunch of seedy, squalid bastards like me: little men, drunkards, queers, hen-pecked husbands, civil servants playing cowboys and indians to brighten their rotten little lives. Do you think they sit like monks in a cell, balancing right against wrong?"

Und am Ende, beim Abspann, begreift es jeder. Und man braucht dann dringend was zu trinken.

Eine Rezension von Gordon Gernand
(26. November 2014)
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Daten zum Film
Der Spion, der aus der Kälte kam England 1965
(The Spy Who Came in From the Cold)
Regie Martin Ritt Drehbuch Paul Dehn, Guy Trosper (Script); John le Carré (Novel)
Produktion Martin Ritt / Salem Films Limited Kamera Oswald Morris
Darsteller Richard Burton, Claire Bloom, Oskar Werner, Peter van Eyck, Cyril Cusack, Sam Wanamaker
Länge 112 Min. FSK
Filmmusik Sol Kaplan
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