Düstere Legenden, moderne Sagen, Großstadtmärchen – unter welchen Namen man sie auch immer zusammenfassen mag, Geschichten wie jene von in der Mikrowelle „getrockneten“ Haustieren, von Krokodilen, die als Babys die Toilette hinuntergespült wurden und dann in der Großstadtkanalisation zu enormer Größe heranwachsen, oder auch von unappetitlichen Einlagen in Fast Food kennt jeder. Als modernisierte Varianten uralter Märchen oder neuerfundene, zeitgenössische Geschichten werden sie zumeist mündlich weitergegeben, oft mit dem festen Glauben an ihren Wahrheitsgehalt. Doch auch wenn einige vielleicht einen faktischen Kern in sich bergen, sind die meisten dieser Geschichten in ihrem heutigen Gewand rein fiktiv und ihr Ursprung kann in den seltensten Fällen nachvollzogen werden – obwohl manche derart glaubhaft erzählt werden, dass sie es sogar ab und zu als Meldung (oder vielmehr als Zeitungsente) in die Tagespresse schaffen. Das Weitererzählen solcher teils skurriler Anekdoten soll ungehorsamen Kindern Lehren erteilen, vor Unachtsamkeit und Ignoranz warnen oder einfach nur unterhalten.
Letzteres trifft vor allem auf jene mit Mystery- und Horrorelementen beladenen Geschichten zu, die von Rache und Selbstjustiz, Vorurteilen, Hass und den tiefsten Abgründen der menschlichen Natur erzählen. Des Nachts am Lagerfeuer oder im schalen Licht der Taschenlampe unter der Bettdecke sind jene Erzählungen von grauenvollen Erlebnissen umso wirkungsvoller, spieg
eln sie doch uralte, in jedem von uns vorhandene Ängste in modernem Gewand wider. Der Phantasie scheinen dabei kaum Grenzen gesetzt, die Vielfältigkeit der Schilderungen ist ebenso eindrucksvoll wie erschreckend: nach einer Nacht mit einer unbekannten Schönheit wacht ein Geschäftsreisender am Morgen in einer mit Eis gefüllten Badewanne auf und stellt fest, dass ihm eine Niere entfernt wurde; eine ältere Dame wird versehentlich lebendig begraben; ein Babysitter erhält einen mysteriösen Drohanruf, der bei genauerer Untersuchung aus eben jenem Zimmer zu kommen scheint, indem die zu beaufsichtigenden Kinder selig in ihren Bettchen schlummern.
Das Repertoire solcher Erzählungen ist schier überwältigend und so sind sie mittlerweile fester Bestandteil der modernen Unterhaltungskultur. In mehr oder weniger direkten Zitaten finden sie als Inspirationsquellen für möglichst gruselige Mordszenen bereits seit längerer Zeit immer wieder Eingang in die Welt des Films, wenngleich sie dabei nur einen kleinen Teil eines Filmplots ausmachen und meist zumindest so getan wird, als wäre die ganze Szenerie einzig und allein der Feder der Drehbuchautoren entsprungen. Die tollkühne Idee, einen Film ganz offen auf diesen Legenden zu basieren und dabei schamlos aus dem reichen Schatz an Geschichten zu schöpfen und einzelne Erzählstränge fröhlich zusammenzuklauen, muss man daher ob ihrer Dreistigkeit und ihrer potenziell doch so wirkungsvollen Simplizität eigentlich bewundern. Gut, abgeguckt wird ja ständig. Die entscheidende Frage ist eben nur, ob dabei wenigstens etwas Innovation in der Integrierung der abgekupferten Elemente in die Gesamtgeschichte zum Einsatz kommt.
Jamie Blanks'
"DÜSTERE LEGENDEN" wählt da einen recht simplen Weg, indem er den Mörder sein böses Werk einfach nach den Vorbildern aus urban legends, wie die modernen Großstadtsagen im englischen Sprachraum genannt werden, verrichten lässt. Aber der Reihe nach:
Die Geschichte beginnt in einer stürmischen, unheilvollen Nacht mit dem grausamen Tod einer Studentin, die von einem Axt-schwingenden Irren, welcher auf dem Rücksitz ihres Autos lauert, regelrecht hingerichtet wird. Ihr tragisches Ableben ist nur der Beginn einer Reihe bizarrer Morde in der Studenten- und Professorenwelt der Pendleton University, die sich offenbar alle an aus modernen Gruselmärchen bekannten Begebenheiten orientieren. Bei ihren Recherchen stoßen Paul (Jared Leto), Schreiberling bei der Uni-Zeitung, und Natalie (Alicia Witt), scheinbarer Mittelpunkt der Mordserie, auf eine düstere Episode in der Vergangenheit der alterwürdigen Lehrinstitution: 25 Jahre zuvor soll ein Professor mordend durch ein Wohnheim gezogen sein, was jedoch von der um den Ruf der Universität besorgten Führungsetage sorgfältig vertuscht wurde (eine weitere, an vielen Colleges beheimatete Legende). Um den neuerlichen Übeltäter überführen zu können (selbstverständlich ohne Hilfe seitens der Behörden oder der Fakultätsangehörigen, die sich allesamt in einem Stadium des Verneinens und Verdrängens zu befinden scheinen), müssen die Studenten nun klären, ob und wie die erneute Mordserie mit dem Jahrestag jenes Amoklaufes zusammenhängt. Oder liegt des Rätsels Lösung doch an einer gänzlich anderen, unvermuteten Stelle verborgen?...
So dramatisch sich diese College-Slasher-Geschichte in der Theorie auch anhören mag – das reichhaltig vorhandene Potenzial an Spannung wird leider nur unzureichend ausgeschöpft. Die Inszenierung ruft jedenfalls nicht so viel Angst und Schrecken hervor, wie es für einen Horrorfilm standesgemäß wäre. Der Film guckt sich seine Mordszenen nicht nur anderswo ab, er betont dies auch noch übermäßig, indem das Thema der urban legends als Leitfaden durch die Erzählung hindurch fungiert und der Mörder selbst auch nur imitiert, was anderweitig (wenn auch nur in einer fiktiven Realität) bereits vorgemacht wurde. Der Grad an Innovation hält sich also sowohl in der Erzählweise des Films als auch innerhalb der Geschichte selbst in Grenzen. Der Gruselfaktor ergibt sich zu einem großen Teil aus der Überlegung heraus, dass die zur Unterhaltung erzählten Geschichten vielleicht ein weniger amüsanter Teil der eigenen Realität werden könnten. Wir werden dahingehend belehrt, dass potenziell nicht nur ein unbekannter Protagonist oder eben der vielzitierte Freund eines Freundes, sondern jeder Einzelne von uns selbst der unfreiwillige Star in einer dieser düsteren Legenden werden könnte. Doch selbst der Schrecken, der aus dieser Möglichkeit heraus resultiert, hält nicht lange an, sodass man Blanks’ Film trotz seines zugegebenermaßen durchaus vorhanden Unterhaltungswertes in Sachen Horror nicht mehr als Mittelmäßigkeit bescheinigen kann.
Das Selbe gilt übrigens für einen Großteil der dargebotenen Schauspielleistungen. Man hat zwar schon deutlich schlechteres Angst-Geschrei aus den Kinolautsprechern schallen hören, aber ebenso sind Tränen und vor Schrecken verzerrte Gesichter schon um Einiges besser auf der Leinwand verewigt worden. Bei einigen der Opfer hat man als Zuschauer sogar Schwierigkeiten, überhaupt Sympathien und damit Mitgefühl zu entwickeln, was dem Spannungsaufbau nicht gerade zuträglich ist. Zwar nicht gerade langweilig, aber eben alles andere als wirklich angsteinflössend schafft es der Streifen nicht, sich einen Platz in der Liga der erstklassigen Horrorfilme zu sichern. Und so hat
"DÜSTERE LEGENDEN" leider nicht das Potenzial, langfristig selbst zu einer eben solchen zu werden.