Deutschland 1942: Nachdem der 17-jährige Friedrich Weimer bei einem Boxkampf wieder einmal seine sportlichen Talente unter Beweis stellen konnte, wird er von einem Lehrer der Nationalpolitischen Erziehungsanstalt (im Volksmund „Napola“) Allenstein angesprochen, der ihm die Aufnahmeprüfung für das (fiktive) Eliteinternat nahe legt. Dadurch ermutigt, begibt sich Friedrich zu den strengen Ausleseverfahren und besteht. Nach einem zu konstruiert wirkenden Streit zwischen Friedrich und seinem Herrn Papa, der dem NS-Regime äußerst kritisch gegenübersteht, fälscht der Protagonist prompt seines Vaters Unterschrift, um die Schule besuchen zu dürfen. Dieses Aufbegehren des jungen Boxers gegen seinen Vater, die Drohung dessen kritische Aussagen zu denunzieren sowie die cholerische Reaktion Weimer Seniors, welche in der Zerstörung von Friedrichs Fahrrad besteht, veranschaulichen zwar die gesellschaftlichen Missstände im Hitler-Deutschland, die ganze Familien entzweirissen und gegeneinander ausspielten, wirken allerdings auch plakativ.
Es gelingt dem jungen Regisseur Dennis Gansel, den harten, menschenverachtenden Alltag des Ausbildungsprogramms, das aus den Jungmannen einen Nachwuchs für den Führer, der das Dritte Reich zu einem „Tausendjährigen Reich“ machen sollte, heranzüchtet, beängstigend gut und feinsinnig zu zeichnen. Neben faschistischem Körperkult und brutalem Drill stehen physische und psychische Foltermethoden auf der Tagesordnung und
drohen, einige der kaum noch den Kinderschuhen Entwachsenen zu zerbrechen.
Hölzern wirkt die plumpe Gegenüberstellung vom zunächst unkritischen Friedrich und dem sensiblen, künstlerisch talentierten Denker und Schöngeist Albrecht Stein, der zuletzt den begnadeten Boxkämpfer dazu bringt, sich von der Gehirnwäsche zu emanzipieren. Das Verhalten von Heinrich Stein, Albrechts Vater, ist – abgesehen davon, dass er auch noch Gauleiter sein muss – eindimensional. Die Darstellung der dekadenten Nazis, die schwer besoffen Friedrich und Albrecht im verrauchten, infernalischen-rot ausgeleuchteten Keller zum Boxkampf auffordern, um sich grölend an der Schmach des letzteren zu ergötzen, fällt äußerst einfältig aus und lässt an altbewährte Strickmuster aus Hollywood denken, welche die Nazis, die bereits als fertige Monster das Licht der Welt zu erblickt haben scheinen, geradezu dämonisieren. Anstatt den Widerspruch aufzuzeigen, der darin bestand, dass viele Kriegsverbrecher, Lageraufseher, KZ-Ärzte, Mörder etc. liebevolle Familienväter waren oder danach zu fragen, wie man Menschen dazu bringen kann, unvorstellbar grausame Taten zu begehen, wird hier lediglich der anklagende Zeigefinger erhoben. Vorsicht, liebes Drehbuch! Denn das mag vielleicht in Unterhaltungsfilmen alla „Indiana Jones“ (1981-1989) gut funktionieren, nimmt hingegen einem Film dieses Genres den glaubwürdigen Ernst und hinterlässt einen wenig differenzierten Eindruck. Dass dies das Kino der letzten Jahre weit besser hingekriegt hat, beweisen nicht nur unkonventionellere Filme, wie „Sophie Scholl – die letzten Tage“ (2005), sondern auch der groß angelegte Blockbuster „Der Untergang“ (2004).
Einer der großen Schwachpunkte der fiktiven Story ist der sehr theatralisch inszenierte Selbstmord Albrechts. Zwar ist dieser durchaus nachvollziehbar, jedoch auch sehr Effekt haschend (vgl. die Ästhetisierung jener Sequenz), und die Unterjochung des individualistischen Sohnes durch einen unbarmherzigen, tyrannischen Vater, der Albrecht solange schikaniert, bis dieser keinen anderen Ausweg mehr als die Selbsttötung findet, ist nichts anderes als ein weiteres, gut bewährtes Klischee (vgl. „Der Club der toten Dichter“ [1988] – wenn auch es dort noch originell ist).
Hier scheint das Drehbuch es sich etwas zu leicht zu machen, nur um Friedrichs Reaktion, die im heldenhaften, edelmütigen Aufbegehren gegen das System besteht und schlussendlich zu seinem Schulverweis führt, glaubwürdiger zu machen und noch mehr dramatische Emotionen ins Geschehen einzubringen, was einem thematisch sehr dichten Film wie „Napola“ letztlich mehr schadet als nützt, weil er damit zu überladen wird. Darüber hinaus hat ja bereits Gladen, der aufgrund seines Bettnässens von den diabolischen Ausbildnern permanent gedemütigt wurde, indem er sich über eine gezündete Granate warf, um so seinen Kameraden das Leben zu retten, mehr oder weniger Selbstmord begangen, wobei sich jene Szene um einiges intensiver gestaltet und mehr Kritik am System aufweist.
Der historische Berater des Films Hans Müncheberg, selbst ein ehemaliger Napola-Schüler, habe sich angeblich noch während der Produktion vom Projekt distanziert, weil ihm einige Ungenauigkeiten und Verfälschungen zu sehr ein Dorn im Auge gewesen seien. Diese Haltung Münchebergs zeigt, dass man nicht mit einer zu historiographischen Brille (was angehende Historiker wie ich gerne tun) an Filme wie diesen herangehen sollte. Stattdessen liegt hier dem Zuseher ein persönliches Drama vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus’, das durch seine frei erfundene Geschichte eines individuellen Schicksals nicht den Anspruch erhebt, „historisch“ zu sein, vor.
„Napola“ ist ein nachdenklich stimmender Film, dessen Größe nicht auf die Originalität von Maggie Perens und Dennis Gansels naivem Script, das aus mir unverständlichen Gründen 2003 den Deutschen Filmpreis für das beste noch nicht verfilmte Drehbuch erhielt, zurückzuführen ist. Viel mehr zählt, mit welch eindrucksvollen Bildern, Tönen, Klängen und Emotionen Gansel das Dritte Reich wiederauferstehen lässt. Zahlreiche Sequenzen, wie die Begrüßungsszene und das vom Schmettern der Trompeten begleitete Singen des Hitlerjugend-Marsches „Unsere Fahne flattert uns voran“, sind so bewegend und mitreißend, dass das kollektive Begeisterungspotenzial der nationalsozialistischen Propagandamaschinerie fühlbar nachvollziehbar wird.
Es sind jene Momente, wie die Bloßstellung Gladens, der jede Nacht in sein Bett uriniert, indem ihn ein sadistischer Ausbildner zwingt, am Burghof vor seinen Schulkollegen die Hose runterzulassen und auf die eigene Matratze zu pinkeln, wobei er im Anschluss daran noch als ‚Kameradenschwein’ angeprangert wird, wie die Instrumentalisierung von Gladens Tod, nämlich die Rüge des Schuldirektors an die Überlebenden des Vorfalls mit der Handgranate, von denen sich jeder einzelne fragen sollte, warum er so feige war, sein eigenes Leben über das seiner Gefährten zu stellen, anstatt sich selbst für die anderen aufzuopfern, oder wie das Aufspüren der entflohenen russischen Kriegsgefangenen im Nebel verhangenen Nachtwald, welches darin endet, dass den in Panik geratenen Jungen die Nerven durchgehen und sie unkontrolliert auf die Ausgebrochenen, die selbst noch Kinder sind, schießen, die „Napola“ zu einem brauchbaren Beitrag der gegenwärtigen Aufarbeitung unserer jüngeren Vergangenheit machen.
Die Trennlinie zwischen Opfer und Täter wird immer diffuser – wenn auch das bei „Napola“ aufgrund seiner Schwarz-Weiß Malerei meist nicht im wünschenswerten Ausmaß geschieht (letztlich interessieren uns ja heute die Grauzonen) –, vielleicht für viele eine Provokation, aber als Form der Vergangenheitsbewältigung zutiefst notwendig.