„How can we trust you?“
„General, I grew up in Kansas.“
Da haben sich zwei gefunden: Der eine ein altgedienter Held, auf die Erde gesandt, um der Menschheit ein leuchtendes Vorbild zu sein; der andere ein Regisseur, der im Grunde all dies auch gern wäre, bisher jedoch hauptsächlich „nur“ optisch extravagante Filme wie „
300“ [2006] oder „Die Legende der Wächter“ [2010] gedreht hat. Der Name des Ersteren: Kal-El / Superman; der des Letzteren:
Zack Snyder, welcher sich vor allem mit seinem recht kontrovers diskutierten Fanservice „
Watchmen - Die Wächter“ [2009] einen Namen gemacht hat. Was diese beiden so unterschiedlichen Typen eint, ist der Umstand, dass sie gerne missverstanden werden. Während der – Kryptonit einmal außen vorgelassen – unverwundbare Superman seinen größten Feind immer schon in der Binsenweisheit fand, dass er zu glatt, zu sauber, zu perfekt sei und infolge dessen mit seinem letzten Kinoausflug „
Superman Returns“ [2006] eine glatte, aber unverdiente Bruchlandung hinlegte, suchte Regie-Ästhet Snyder sein künstlerisches Heil bisher augenscheinlich in der Flucht nach vorn. Optisches Spektakel hier, visuelle Bildgewalt dort – für viele wird der Regisseur und Produzent wohl nie über den Ruf eines bl
oßen Blenders hinauskommen. Dabei hat gerade „Watchmen“ nachhaltig bewiesen, dass sich Multimillionen-Dollar-Visualität und inhaltlicher Anspruch keinesfalls ausschließen müssen, auch wenn sich hier, wie könnte es anders sein, kritische Stimmen auftaten.
Stimmen, die ein anderer DC-Held nur zu gut kennt. Denn als Regisseur Joel Schumacher nach Tim Burton das Regiezepter übernahm und Batman in weitere Film-Abenteuer stürzte, sahen nicht wenige den Niedergang des Dunklen Ritters nahen. Und so wurde es lange Zeit still um das einstige DC-Aushängeschild. Erst Christopher Nolans erfolgreicher Neubeginn „
Batman Begins“ [2005], dem sich der superbe „
The Dark Knight“ [2008] und das gelungene Finale „
The Dark Knight Rises“ [2012] anschlossen, machte deutlich, welch’ noch ungenutztes Potential in dem Helden steckte. Vormals kritische Stimmen wandelten sich plötzlich zu positiven, und niemals waren Fans und Kritiker einhelligerer Meinung: Totgesagte leben manchmal eben doch länger. Ist es da ein Wunder, dass sich ein Regisseur wie Zack Snyder, dessen Ruf nach der gefloppten Männerphantasie „
Sucker Punch“ [2011] recht ramponiert war, zusammen mit Christopher Nolan dem zuletzt ebenfalls eher erfolglosen Supermann Kal-El annahm, um es sich und der Filmwelt ein für alle Mal zu beweisen? Irgendwie nicht, denn Nerven aus Stahl hatte der scheinbar kritikresistente Snyder schon seit jeher. Und so präsentiert sich
„MAN OF STEEL“, dieser filmgewordene Befreiungsschlag zweier verkannter Individuen, gewissermaßen als eine doppelte Wiedergeburt, wie sie das moderne Kino lange nicht mehr gesehen hat:
Was tut man, wenn man eines Tages erfährt, dass man nicht von der Erde stammt, sondern außerirdischen Ursprungs ist? Diese Frage beschäftigt Clark Kent a.k.a. Kal-El (sehr überzeugend: Henry Cavill, „
Der Sternwanderer“ [2007]) zeit seines jungen Lebens. Mit unmenschlichen Kräften gesegnet, ist der junge Mann dazu verdammt, im Geheimen zu agieren. Denn die Welt, so seine Meinung, ist noch nicht reif für ihn. Dabei möchte Clark niemandem etwas Böses, sondern steht stets für das Gute ein. Doch ist dies Aufgabe genug? Zu handeln, ohne dass ihn jemand bewusst wahrnimmt? Erst als zwei Überlebende von Kal-Els zerstörtem Heimatplaneten Krypton, der zu allem bereite General Zod (schön wahnsinnig: Michael Shannon, „
Dead Birds“ [2004]) und dessen bösartige Partnerin Faora (Antje Traue, „Pandorum“ [2009]), auf der Erde aufschlagen, um einen perfiden Plan in die Tat umzusetzen, erkennt Clark seine wahre Berufung. Doch kommt diese Einsicht womöglich zu spät?
Bereits die ersten Minuten des Films, die die Zerstörung Kryptons und damit einhergehend Baby Supermans unfreiwillige Reise zur Erde thematisieren, lassen keinen Zweifel daran, dass sich Snyder im Folgenden nicht allzu lange mit Kleinigkeiten aufhalten, sondern stattdessen ordentlich klotzen wird. Die effektorientierte Inszenierung, die in ihrer visuellen Bildgewalt wahrlich ihresgleichen sucht (hauptverantwortliche und derzeit wohl beste Effektfirma auf dem Markt: Peter Jacksons
WETA DIGITAL), destilliert aus der zugrundeliegenden Geschichte überdeutlich die Comic-Essenz heraus, verleiht dieser aber einen weitaus realistischeren Schein, als es überlicherweise bei Comic-Verfilmungen der Fall ist. Dies gelingt Snyder und seinem Team durch einen einfachen, aber überaus wirkungsvollen Kniff, der vielleicht zunächst etwas befremdlich wirken mag. Denn so sehr die realen und digitalisierten Breitwand-Bilder auch auf die Leinwand eindreschen, als gäbe es kein Morgen mehr, so wenig scheint hierzu letztlich der Entschluss zu passen, einen nicht unbeträchtlichen Teil des actiongeladenen Films in überraschend grobkörnige, wackelige Handkamera-Takes zu verpacken, die eher an klassische 35mm-Aufnahmen denn digitales Filmmaterial erinnern. Gerade bei der nachkonvertierten 3D-Fassung wird hier stark und recht mutig auf eine hohe Toleranzgrenze des Zuschauers gepocht, der sich entweder reizüberflutet abwenden oder aber, ebenfalls reizüberflutet, ganz und gar frohlockend dem epischen Effektegewitter hingeben wird. Einen Mittelweg gibt es hier nicht, es entsteht vielmehr der allseits bekannte Kampf um Sieg oder Niederlage, der sich individuell im Kopf jedes Einzelnen entscheidet und von Snyder wie noch niemals zuvor genüsslich auf die Spitze getrieben wird. Soviel ist in jedem Fall schon einmal sicher.
Doch nun weg von den wie vermutet grandiosen Effekten und wieder zurück zum bereits angesprochenen realistischen Ansatz bei
„MAN OF STEEL“, der die Fangemeinde unter Garantie spalten wird. Denn der Gebrauch von wackeligen Handkameras, der laut Snyder eine gewisse Nähe zu den Film-Charakteren erschaffen soll, macht auf dem Papier vielleicht noch Sinn, wirkt aber in einem Film, in dem es eigentlich ununterbrochen zur Sache geht, zumindest anfangs mehr gewollt als gekonnt. So geben Zooms im gefühlten Sekundentakt mit einer, nennen wir sie ruhig:
dynamischen Kameraführung ein Stelldichein der gemischten Gefühle, das in den ersten Minuten nur nach einem verlangt: Ruhe. Doch der Wunsch bleibt bis zum Ende des Films ein frommer, ein unerfüllter, da die Zeit zum Luftholen genauso knapp bemessen ist wie das Storykorsett, in das Snyder und Co-Autor Nolan ihren Helden zwängen. Immerhin: Die nichtsdestotrotz toll choreographierten Actionsequenzen kompensieren die recht einfache Geschichte um Selbstfindung schon erheblich und lassen nach einer kurzen Phase der Eingewöhnung gar vollends über die gewählte Art der Inszenierung, die auf Teufel, komm' raus zeitgemäß sein will, hinwegsehen. Willkommen im 21. Jahrhundert.
Zudem wäre es grundlegend falsch,
„MAN OF STEEL“ als bloßes Effektegewitter ohne Sinn und Verstand abzukanzeln, auch wenn beim bisherigen Lesen der Eindruck entstanden sein sollte. Natürlich dröhnt und kracht es beinah pausenlos, wenn sich
Hans Zimmers brachialer Score wie ein hartnäckiger Heavy-Metal-Ohrwurm in die Gehörgänge windet und Zack Snyder einen auf
Michael Bay macht, um im ausladenden Finale seinen Hang zur überbordenden Action ohne Rücksicht auf irgendwelche Verluste auszuleben. Und selbstverständlich hätte man hier und da straffen können, ohne dass es dem Film, der eigentlich ein einziges großes Finale ist, geschadet hätte. Aber wir befinden uns, was viele anscheinend gerne vergessen, immer noch in einer Superheldenverfilmung und in keiner dramatischen Charakterstudie, die spätestens seit Christopher Nolans Batman-Trilogie so schwer in Mode ist. Warum also kritisieren, wenn
„MAN OF STEEL“ doch im Grunde alles richtig macht, indem er als bildgewaltige, ernste Comicverfilmung auftritt? Identitätskrisen mögen ja schön und gut sein und im Falle von Nolans Batman-Oper mit Einschränkungen auch wunderbar funktioniert haben, doch irgendwann sollte man, zumindest nach Ansicht des Rezensenten, die inneren Dämonen bitte langsam wieder zur Ruhe kommen lassen.
Ganz frei von einem selbstzweifelnden Helden ist dann jedoch auch der vorliegende Film nicht, da sich zwischenzeitlich einige äußerst gelungene Momente der Einkehr auftun, wenn sich Superman etwa die Frage stellt, woher er nun kommt und was ihn eigentlich antreibt. Mehr noch: Ist die Welt überhaupt reif für einen derartigen Helden? Garniert mit vereinzelt eingestreuten Flashbacks, die pflichtschuldig bekannte Stationen im Leben des jungen Kal-El / Clark Kent abklappern, entsteht so über die gesamte Laufzeit ein bestimmt nicht neuer, aber ungleich interessanterer Blickwinkel auf den bekanntesten aller Superhelden, dessen physische Präsenz allein Bände spricht. Wo mit Schallgeschwindigkeit geflogen wird, da fallen eben in nicht unerheblichem Maße Späne. Und unsereins erkennt, dass dieser starke Mann da vorne auf der Leinwand nicht aus Federn, sondern wahrlich aus Stahl ist. Von daher ist das dargebotene Spektakel, das gänzlich anders als etwa die unoriginelle, kindliche Zerstörungsorgie „
Transformers 3“ [2010] zu jeder Zeit mit Leidenschaft und einem erwachsenen Blick für die Liebe zum Detail über die Leinwand flimmert, eigentlich nur konsequent. Das kann und darf man durchaus kritisch sehen. Ob dies den Mann aus Stahl wirklich kümmert, steht hingegen auf einem ganz anderen Blatt, irgendwo verborgen inmitten meterhoch aufgetürmten Schutts.
Fazit: Dieser Superman hat es in sich: Zack Snyders
„MAN OF STEEL“ ist zwar kein Meilenstein, dafür aber ein über alle Maßen bombastischer Blockbuster-Actioner, der die Sinne betäubt und dabei sinnigerweise nicht immer Sinn ergibt. Immerhin finden sich im Spektakel auch ruhige, innige Momente der Einkehr, die den von vielen gerne als Saubermann unter den Superhelden verschrienen Weltenretter als Menschen mit Ecken und Kanten zeigen, während der ganze Rest des optisch brillanten und über weite Strecken durchaus gewagten Films regelrecht nach einer Großbildleinwand verlangt. Geben wir sie ihm.
Bilder: Copyright Warner Bros.