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Lost in Beijing

Lost in Beijing

Ein Film von Yu Li

Ein junges Mädchen mit langem Zopf bahnt sich beschwingt ihren Weg durch das turbulente Beijing, Chinas Hauptstadt. Sie betritt das Foyer eines noblen Hotels, die Kamera ihr dicht auf der Spur, und durchschreitet flotten Schrittes die engen Korridore zu einem bestimmten Hotelzimmer. Hier wartet ihr Freier schon auf sie – der Besitzer des florierenden Massagesalons „Golden Basin“, Lin Dong (Tony Leung Ka Fai). Lin Dong hat es zu großem Reichtum geschafft. Dieses hauptsächlich durch seine Disziplin und Strenge bei der Handhabung des Personals. Das Wohl der Kunden ist ihm das oberste Gebot. Dass er dabei nicht zimperlich mit dem durchgehend weiblichen Personal umgeht verwundert deswegen auch kaum. Lin Dong genießt, wie er selbst von sich überzeugt ist, hoch verdient die Achtung und den Respekt seines Umfelds und das ist für ihn das größte Benefiz seiner beruflichen Stellung. Der Salonbesitzer präsentiert seinen Wohlstand auch immer und überall, trägt Goldketten und maßgeschneiderte Anzüge, fährt einen Mercedes und entlohnt die Prostituierten, mit denen er sich regelmäßig und anonym in Hotelzimmern vergnügt, sehr großzügig – sogar das Taxigeld steckt er ihnen zu. Das junge Mädchen, das unseren Fokus auf diesen außerordentlichen, stattlichen Mann gelenkt hat, macht nun einen Fehler. Sie teilt ihrem Freier mit, dass sie sich beeilen muss, um nachher einen Termin mit ihren Freundinnen nicht zu verpassen. Lin Dong ist außer sich. Er ist hier also nur ein
e Zwischennummer, ein Zeitvertreib und dabei schneller Gelderwerb für die nächste Shoppingtour? Unmöglich!!! Das Mädchen wird prompt raus geworfen und die in Aussicht gestellten, sinnlichen Freuden sind dahin. Beide Menschen, die sich zu einem bestimmten Zweck in stillschweigendem Einvernehmen eingefunden haben, trennen sich wieder – enttäuscht und frustriert, unverstanden und verloren in den eigenen Erwartungen.
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So wie Yu Li den Einstieg in die schwierige Thematik ihres Films wählt, so kontrovers, innerlich widersprüchlich nimmt das Drama auch die nächsten anderthalb Stunden seinen Lauf.
Im Folgenden macht der Zuschauer Bekanntschaft mit Liu Pingguo (Fan Bingbing), einer fleißigen, sich aufopfernden Angestellten in Dongs Massagesalon, und ihrem Ehemann An Kun (Tong Dawei), einem frustrierten Fensterreiniger, der mit der miserablen Situation des Paars, sowohl was ihrer beide Jobs als auch was ihre Lebensverhältnisse anbelangt, höchst unzufrieden ist. Beide Menschen sind aus dem Norden Chinas in die Hauptstadt emigriert und führen hier das typische Leben der Arbeiterklasse – ein immer währender Kampf um das Existenzminimum. Die Kluft zwischen Pingguo, ihrem Mann Kun und dem reichen, sich selbst verherrlichenden Besitzer Dong könnte gar nicht größer sein. Umso unerhörter fällt der Skandal aus als Pingguo fahrlässig sich in ihrer Arbeit betrinkt und sich in ihrem getrübten Zustand im Hotelzimmer dem Chef ausliefert. Dong nutzt die Gelegenheit natürlich schamlos aus und vergewaltigt seine Angestellte, ohne zu wissen, dass just in diesem Moment deren Ehemann gerade das Fenster des zum Tatort gewordenen Appartements putzt. Für An Kun ist das Vorgefallene die größte, vorstellbare Beleidigung. Und sein erster Impuls ist den unverschämten Lüstling gleich an Ort und Stelle zu verprügeln, was durch die Sicherheitsbeamten des Lokals verhindert wird. Kun greift in seiner unermesslichen Wut zu anderen, kleineren Racheakten. Da sie aber kaum Eindruck machen, beschließt er Lin Dong zu erpressen und dabei eine hohe Geldsumme heraus zu schlagen. Als auch das nicht gelingt, ergreift der gehörnte Ehemann die letzte Möglichkeit, die ihm einfällt. Er schwärzt Dong bei seiner Ehegattin Wang Mei (Elaine Jin) an. Doch diese ist kaum beeindruckt, da sie von den Liebschaften ihres untreuen Mannes weiß. Vielmehr überzeugt sie Kun, dass die bitterste Rache eines gehörnten Mannes sich dann erfüllt, wenn er es seinem Peiniger mit gleichen Mitteln heimzahlt. Damit manipuliert Mei den aufgebrachten jungen Fensterputzer nur dazu, mit ihr zu schlafen.
Kuns Verlangen nach Vergeltung ist aber mit dieser Aktion noch lange nicht gestillt und als seine Frau unverhofft schwanger wird, sucht der kleine Arbeiter die Schuld bei dem stolzen Mann mit dem dicken Geldbeutel. Er unternimmt einen weiteren Erpressungsversuch. Dong ist aber auch diesmal wenig beeindruckt, lässt er sich doch von niemandem um den Finger wickeln. Doch nach längerem Überlegen beschließt er die Situation zugunsten von seiner kinderlosen, zerbrechenden Ehe zu nutzen. Er geht also auf die Forderungen des Jünglings ein, nur unter der Voraussetzung, dass das Kind zweifellos von ihm stammt und Pingguo dieses nach der Geburt auch als zwischenzeitige Mutter und Amme versorgt.
Ein Pakt wird aufgesetzt, der auf einmal scheinbar jedem Beteiligten einen Nutzen abwirft. Lin Dong bekommt einen lang ersehnten Nachfolger und kann die Freuden als frischer Vater genießen. An Kun kommt als armer Schlucker nun doch noch an das große Geld und seine Bemühungen zahlen sich aus. Pingguo kann aus ihrer mißlichen Lage, zwischen einem launischen Chef und einem eifersüchtigen Ehegatten zu stehen, mit etwas Mühe heraus gelangen. Und die Gattin des Chefs Wang Mei kann mit der Geburt des Babys mit mehr Reife und Treue von Seiten ihres Mannes rechnen. Doch um kein Risiko einzugehen, sichert auch sie sich mit einem Vertrag mit Dong ab, welcher verfügt, dass wenn er sie noch einmal betrügt, sie 50 Prozent seines Gesamtvermögens bekommt.
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Regisseurin und Drehbuchautorin Yu Li strickt dieses äußerst komplexe Beziehungsgeflecht zwischen den vier Protagonisten mit sehr viel Können und Feingefühl. Die Handlung erfährt mit der Geburt von Pingguos Kind einen gut vorbereiteten Höhepunkt und Li schafft es auch diesen besonderen Zustand lange unter Spannung zu halten, bis sie diesen dann dem tragischen Ende zuführt. Dabei ist besonders die äußere Struktur der Geschichte sehr schlüssig und abgerundet. Während zu Beginn die soziale Situation und die unterschiedlichen Rangordnungen der vier Menschen sehr authentisch gezeigt werden und dabei der ernüchternde Alltag in Beijing mit dem krassen Klassenunterschied sehr detailliert gezeichnet ist, so nimmt die Handlung zum Höhepunkt der Geschichte einen sehr mitreißenden Lauf. Im Mittelteil von „Lost in Beijing“ kommt es auch zu sehr vielen befreienden Szenen und ein subtiler Humor schwingt auf einamal auch mit. Die gesellschaftlichen Zwänge, unter denen die Figuren leiden, können dabei kurz ausgeblendet werden und es ergeben sich sehr viele skurrile Momenten, wenn z.B. der sonst egoistische Dong plötzlich Vatergefühle entwickelt, für die kleinbürgerliche Familie einkauft, ihnen Tipps zum gesünderen und hygienischeren Leben gibt und von dem Pärchen mehr Sorgfalt und sexuelle Enthaltsamkeit während der Schwangerschaft verlangt.
Doch lange währt das Glück und die Harmonie nicht. Eifersucht, Habsucht, Misstrauen und Egoismus lassen das Abkommen und das Nutzverhältnis zwischen den Vieren aufbrechen und stürzt jeden einzelnen in eine entwurzelte Einzelexistenz.
Yu Li's „Lost in Beijing“ wurde in ihrem Entstehungsland China letztendlich gänzlich verboten. Die angeführten Gründe waren die angeblich pornografischen Szenen, wie die Vergewaltigung Pingguos und die Duschszenen zwischen An Kun und Pingguo, welche als solche keine pornografischen Szenen sind. Die Sexualität nimmt hier lange nicht den unterstellten Explizitätsgrad ein und steht hingegen als ein wichtiges Plotelement. Vielmehr darf der Grund der Kontroverse und Aufruhr bei der chinesischen Regierung in der kritischen Portraitierung der Gesellschaft von Beijing und der verzerrten Rollenverteilung gesucht werden. Hier steht dem klassischen reichen Mann ein Vertreter der mittellosen Masse entgegen, der kleine Mann, der Arbeiter, der im kommunistischen China schon immer der Sympathieträger des Publikums gewesen ist. Doch Li kehrt in ihrem Film die Rollen um. Während Dong zu Beginn der klassische ausbeutende Despot gewesen ist, macht er im Laufe des Films eine Wandlung zum bekehrten Wohltuer und Familienmenschen durch. Der Fensterputzer An Kun dagegen verliert mit der unermesslichen Habsucht und dem Profitschlagen aus jeder Situation die Gunst des Zusehers und wird zum Paradebeispiel der menschlichen Lasterhaftigkeit.
Aber auch die Frauenrollen sind mit Pingguo und Mei sehr glaubhaft gezeichnet und wunderbar gespielt. Die Frauen nehmen in Li’s Film eine entscheidende Rolle ein und haben aktive Einwirkung auf die Entwicklung der Geschichte.
Yu Li's Film besticht somit vor allem durch seine differenzierte Charakterzeichnungen, die brillanten Schauspieler, die innovativen Einfälle und konsequent ausgearbeiteten Handlungsstränge und nicht zuletzt auch durch den stilistischen Einsatz der Kamera, die durch Verwacklungen, Unschärfe und Abdriften den Zuschauer permanent in das Gefühl des Verloren-Seins und des Fragmentarischen versetzt.

Eine Rezension von Eduard Beitinger
(20. April 2008)
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Daten zum Film
Lost in Beijing China 2007
(Ping Guo)
Regie Yu Li Drehbuch Li Fang, Yu Li
Produktion Laurel Films Kamera Yu Wang
Darsteller Tony Leung Ka Fai, Bingbing Fan, Dawei Tong, Elaine Jin
Länge 112 min. FSK ab 16
Filmmusik Portishead
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