Wer bereits John Stockwells müden Schocker „
Turistas“ von 2006 gesehen hat, könnte sich eigentlich die Sichtung des französischen Genre-Pendants „Captifs“ getrost sparen – würde dieses nicht eine nahezu identische Story ungleich packender erzählen.
Im Gegensatz zur genannten US-Produktion lullt Yann Gozlans Werk sein Publikum weder mit einer exotischen Kulisse noch mit durchgestylten Charakteren ein – ein klaustrophobisches Setting und bodenständige Figuren stehen im Mittelpunkt des Geschehens, das man als erfahrener Horrorkenner zwar sehr schnell durchschaut, aber welches sich aufgrund dieser Tatsache auch nicht gerade als freundlich entpuppt.
Auch wenn sich der Spielfilmdebütant bestimmt nicht scheut, ein paar wirklich hässliche Grausamkeiten abzubilden, kommt „Captifs“ dennoch vergleichsweise zahm daher.
Einen knüppelharten
Torture-Porn sucht man hier ebenso vergebens wie die neue Gewaltspitze aus französischen Landen.
Es muss ja auch nicht immer gleich zwingend das nächste große Kino-Blutbad sein. Oder?
Carole (Zoé Félix, „Willkommen bei den Sch'tis“) arbeitet zusammen mit ihren Kollegen Samir (Arié Elmaleh) und Mathias (Eric Savin, „Wahnsinnig verliebt“) als Entwicklungshelferin im ehemaligen Jugoslawien.
Da die Drei während einer Überfahrt an einer Sperrzone Halt machen müssen, kommen sie rasch auf die dümmste Idee, die man in einem Film dieser Art haben darf:
Sie wählen eine andere, unbekannte Route aus.
Natürlich dauert es nicht lange, bis das Unheil seinen Lauf nimmt und das Trio von einigen sinistren Einheimischen auf einer verlassenen Straße überfallen und verschleppt wird.
In einem dunklen Keller mit noch anderen Personen in Zellen gesperrt, wissen sie zunächst nicht recht, was ihre Entführung zu bedeuten hat.
Wenn sie jemand schlicht hätte umbringen wollen, hätte derjenige das schon zuvor erledigen können.
Außerdem stellen ihnen ihre gewaltbereiten Bewacher ausreichend Nahrung zu Verfügung und auch ein Arzt kümmert sich um die Verletzten.
Ist Lösegeld wohlmöglich der Grund für ihre missliche Lage?
Als bald darauf ein Telefon im Gang klingelt, wird ihnen ihr Schicksal in Anbetracht der folgenden Ereignisse schlagartig bewusst...
„Captifs“ ist eine Arbeit, die sich allein aufgrund ihres Herstellungslandes wohl oder übel mit anderen Vertretern der sogenannten
new wave of extreme French horror films, wie etwa Alexandre Ajas „
High Tension“ (2003) oder Xavier Gens' „
Frontier(s)“ (2007), wird messen lassen müssen.
In Punkto
explizite Gewalt wird Gozlans Film bei Freunden der härteren Gangart ohne Zweifel gleich den Kürzeren ziehen.
Doch abgesehen davon besitzt dieser, trotz seiner altbekannten Story und einiger unüberlegter Handlungen der Protagonisten gegen Ende, durchaus seine Qualitäten.
Das Motiv der Täter ist zum Beispiel zwar nicht sonderlich originell ausgefallen, aber verfehlt aufgrund der bitteren Konsequenz für die sympathisch gezeichneten Charaktere keinesfalls seine Wirkung.
Ein kurzer, grauenerfüllender Augenblick reicht, um eine Sache glasklar werden zu lassen:
Wenn die Kollegen mit der humanitären Aufgabe nicht rasch handeln, werden sie diese Geschichte nicht überleben.
Das Spannungsmoment brodelt vielleicht zunächst nur auf kleiner Flamme - aber die Temperatur steigt rapide, bis sich die entstandene Energie dann in einem ansehnlichen Showdown entlädt.
Zu Anfang des Films sehen wir Carole, Samir und Mathias in ihrem Wagen durch die für sie fremde Landschaft fahren.
Wir fühlen uns wie sie verloren, als sie schließlich auf der vermeintlichen Umleitung vom Weg abkommen.
Als sie dann später in ihren Zellen erwachen, möchten wir, dass sie handeln.
Die Türen oder Fenster aufbrechen. Ihre Entführer überwältigen oder töten.
Und fliehen.
Ja, fliehen – nur wohin?
Yann Gozlan hat verstanden, dass das Kapital von „Captifs“ vor allem in seinen Protagonisten und der lähmenden Darstellung ihres scheinbar auswegslosen Umfeldes liegt - dass Carole dabei zugleich ein frühes Kindheitstrauma an die Backe geheftet bekommen hat, darf man allerdings wohl eher als schnödes Zugeständnis an die Genre-Konventionen abtun.
Eine etwas differenziertere Charakterisierung der Bösewichte liegt dem Regisseur offensichtlich nicht so sehr am Herzen. Sie sind halt böse, brutal und verfolgen einen ganz und gar skrupellosen Plan.
Im Prinzip ist dieser Punkt für das Funktionieren der Story auch gar nicht so wichtig.
Allerdings ist der Film, der mal wieder auf wahren Begebenheiten beruhen soll, bereits im Internet von serbischer Seite als Propaganda-Kampagne, welche die realen Vorfälle falsch widerspiegele, um die Serben in der Öffentlichkeit erneut als Schurken abzustempeln, in Kritik geraten.
Unbegründet ist die Verärgerung mit Sicherheit nicht (bei weiterem Interesse, siehe
hier. Vorsicht Spoiler!).
Ob es sich dabei nun wirklich um eine im Vorfeld geplante Propaganda-Aktion handelt oder ob die Drehbuchschreiber bei den Tatsachen schlicht etwas durcheinandergewirbelt haben, das vermag der Rezensent selbstverständlich nicht zu beurteilen.
In erster Linie soll „Captifs“ wohl nur ein kleiner Eintrag ins große Horrorbuch sein, der vermutlich eh nur ganz wenige Zuschauer dazu animieren wird, sich ernsthaft mit irgendwelchen geschichtlichen Hintergründen auseinanderzusetzen.
Was bleibt nun noch zu sagen?
„Captifs“ ist effektives und straff inszeniertes Genre-Kino ohne Schnörkel. Etwas Neues wird man hier allerdings vergeblich suchen.