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Verbrechen und andere Kleinigkeiten

Verbrechen und andere Kleinigkeiten

Ein Film von Woody Allen

(USA, 1989)



„Show business is dog-eat-dog. It's worse than dog-eat-dog. It's dog-doesn't-return-other-dog's-phone-calls...“



Man kann verstehen, warum Woody Allen in Europa geliebt und verehrt, in den USA dagegen kaum beachtet wird, das liberale Ostküstenintellektuellenmilieu einmal absehen. Er denkt nicht ‚big’, und er dreht auch nicht ‚big’. Seine Geschichten sind häufig verhalten und allein auf das Menschliche gerichtet. Auf die kleinen Spielchen zwischen Mann und Frau, auf den menschlichen Makel, auf die distinktiven Geschmacksgrabenkämpfe des Künstlertums. Böse Zungen behaupten, seine Filme seien meistens nichts als dialoglastiges Beziehungsgedöns. (Manche Fans auch.)

Gerade in den Blockbuster verliebten Achtzigern nimmt sich Crimes And Misdemeanors (Verbrechen und andere Kleinigkeiten, 1989) fast anachronistisch aus. Die Kritik erkannte durchaus, dass dies einer seiner besten Filme sei (für einige gar der beste). Allen erhielt Oskarnominierungen für Drehbuch und sogar Regie. Und es ist bezeichnend, dass es der kommerziell erfolgloseste war.

Allen lässt zwei Handlungen nebeneinander herlaufen und am Schluss zusammenfinden. In der einen ist er selbst mit von der Partie, in der anderen übernimmt Martin Laundau das Zepter. Er spielt den erfolgreichen jüdischen Augenarzt Judah Rosentahl, der eine tolle Frau, ebenso tolle Kinder, ein großes
Haus und steile Karriere sein Eigen nennen kann. Doch all dies hinderte ihn nicht daran, eine Affäre mit der Stewardess Dolores (Anjelica Huston) zu beginnen. Diese wird irgendwann bockig und bedrängt Judah, seine Frau zu verlassen. Andernfalls droht sie mit der Wahrheit – und die schließt nicht nur eine auffliegende Affäre, sondern auch ‚Unregelmäßigkeiten’ bei der Finanzierung eines Krankenhauses mit ein. Dolores wird zur Bedrohung seines wohlgeordneten Lebensentwurfes. Judahs zwielichtiger Bruder Jack (Jerry Orbach) rät ihm zum kurzen Prozess. Judah Ist zuerst entsetz, doch die emotional labile und schwer berechenbare Dolores drängt ihn immer mehr in die Enge. Schließlich entschließt sich Judah, das Angebot anzunehmen.

Die andere Geschichte platziert Woody Allen in der wohlbekannten Welt des Wer-mit-wem. Er ist der erfolglose Filmemacher Cliff Stern, der an einer Dokumentation über den Philosophieprofessor Luis Levy arbeitet. Nicht gerade der Stoff, um in Amerika Geld zu machen. Seine Ehe mit Wendy (Joanna Gleason) ist so gut wie im Eimer. Sie verschafft ihm, mehr aus Scham über seine Erfolglosigkeit als aus Zuneigung, eine lukrative Auftragsarbeit. Er soll ein Portrait ihres Bruders, den eitlen Fernsehproduzenten Lester drehen, der all das verkörpert, was Cliff hasst: pragmatisches Erfolgsdenken und aufgeblasene Egozentrik. Eine Paraderolle für Allen Alda, ein fester Bestandteil von Allens Ensemblekosmos. Genau so wie Mia Farrow, sie spielt die Filmemacherin Halley Reed, in die sich Cliff sogleich verliebt. Sie ist klug und kunstaffin, die beiden scheinen perfekt zueinander zu passen. Doch auch Lester macht Avancen.

Verbrechen und andere KleinigkeitenVerbrechen und andere KleinigkeitenVerbrechen und andere Kleinigkeiten
In „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ verknüpft Allen eine philosophisch reflektierte Geschichte über Schuld und Reue mit einer leicht und humorig gezeichneten Geschichte über Sehn- und Eifersucht, über die Beziehungskisten zwischen den Geschlechtern, die in ihrer emotionalen und kulturellen Bedeutung so essenziell sind, dass sie überall funktionieren, in der Pickel-Prawda BRAVO genauso wie in einem Kunstwerk. Der Zuschauer leidet mit Allen, vor allem als man ahnt, dass zwischen Lester und Halley doch etwas laufen könnte. Dabei ist sein Eheleben schon öde genug, und dazu ein passender Rahmen, um den fast obligatorischen Hitlerwitz zu reißen: „Wir hatten keinen Sex mehr seit dem 20 April. Ich weiß es noch genau, denn da war Hitlers Geburtstag.“

Die Geschichte von Judah Rosenthal wiederum ist, obschon nicht unbedingt originell, jedoch von bedrückender Nähe. Vor dem Hintergrund einer realistischen, gut antizipierbaren Alltagspraktik, der Affäre, wird Judahs Panik im Angesicht der Verzwicktheit spür- und greifbar. Umso ungeheuerlicher seine Entscheidung, und umso eindringlicher die Frage nach den zentralen ethischen Kategorien Richtig und Falsch. „Man kann sie doch nicht zerquetschen wie ein Insekt, nur weil sie lästig wird.“

Allem voran Allen Aldas Darstellung begeistert. Die Figur des aufgeblasenen, dummschwätzenden Produzentenekels hat ihr reales Vorbild in dem Fernsehregisseur Larry Gelbart, für den Allen und Alda in früheren Zeiten arbeiten mussten. Allen in seiner Zeit als Drehbuchautor (wie übrigens auch Mel Brooks und Carl Reiner), Alda als Hauptdarsteller der von ihm gedrehten Fernsehserie M*A*S*H. Dies war die Revanche. Doch im Grunde fällt niemand aus diesem Reigen negativ raus. Alle agieren fabelhaft in diesem Film, der musterhaft stringent gestaltet ist, und doch Raum für kleine, surreelle Imaginationen lässt. (Lediglich Mia Farrow fällt etwas aus dem Rahmen. Um ehrlich zu sein, man kann sie glatt übersehen. Ihre Funktion besteht darin, die Frau zu sein, um die sich Allen und Alda balgen.)

So beispielsweise, wenn Judah in sein altes Elternhaus zurückkehrt, von Schuldgefühlen zerfressen. Er sieht seine Familie am Esstisch sitzen und beginnt mit ihnen zu reden. Mit seinem Vater, dem strengen Rabbi. Ob Gott wirklich alles sieht und keine Schuld ungesühnt bleibt. Eine der tollsten Szenen. Auch knallig die Einstellung, in der Cliff Lester die ersten Ausschnitte aus seiner Dokumentation zeigt. Er hat Lesters selbstgefällige Monologe und Schimpftiraden mit den Reden von Mussolini zusammen geschnitten. Und einige andere kleine Racheakte.

Verbrechen und andere KleinigkeitenVerbrechen und andere KleinigkeitenVerbrechen und andere Kleinigkeiten
Zum Schluss finden Cliff und Judah zusammen, denn Judahs Arbeitskollege ist um einige Ecken mit Cliff verwandt. Auf ihrer Hochzeit treffen sie aufeinander. Judah hat seine Schuldgefühle überwunden, der Mord an seiner Geliebten ist praktischerweise jemand anderem in die Schuhe geschoben worden. Er hat hoch gespielt und gewonnen. Sein Leben gehört wieder ihm. Cliff hingegen hat, wie könnte es anders sein, die Arschkarte gezogen. Halley kehrt von einem längeren Londonaufenthalt zurück und ist nun mit Lester zusammen. Und, ach, „er ist ja gar nicht so, wie du denkst, er kann ganz hinreißend sein.“ Er sieht sie Arm in Arm unter den anderen Hochzeitsgästen. Dieser Blick, den Allen dann aufsetzt, man muss ihn gesehen haben. Einen der traurigsten Gesichter, die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Wenn man sich den Gesichtsausdruck eines Menschen, in dem gerade etwas runterfällt und zerschellt, malen müsste, er müsste genau so aussehen.

Und so sitzen Cliff und Judah dann zusammen vor einem Klavier, sie reden nur kurz. Judah beschreibt ihm seine Geschichte als fiktive Idee für ein Drehbuch. Cliff entgegnet, dass sich ‚der Schuldige’ stellen müsse. Doch Judah winkt ab. Wolle er ein Happy End, müsse er sich schon einen Hollywoodfilm ansehen.

Man muss sich immer wieder vor Augen halten, wie unfassbar bitter, aber auch realistisch dieses Ende ist. Judah, der im Leben immer Erfolg hatte, der trotzdem eine Affäre begann, der nicht den Mut hatte mit die Wahrheit rauszurücken, und der auch noch den Tod seiner Liebhaberin in Kauf nimmt, kommt ungeschoren davon, Schuldgefühle hin oder her. Cliff verliert den Kampf um seine Liebe gegen den Mann, denn er hasst wie keinen zweiten (außer Hitler). Seine Frau wird sich von ihm scheiden lassen, seine Dokumentation wird unvollendet bleiben, denn der Professor für existenzialistische Philosophie hat sich, wie passend, das Leben genommen. Seine Erläuterungen und Reflexionen über das Leben im Allgemeinen und die Liebe im Besonderen kommentieren die Handlung und den Kulminationspunkt dieser Geschichte, der Allen ein schweres, aber auch wahrhaftiges Ende verpasst hat. Es räumt mit dem Selbstbetrug auf, der in der Sozialpsychologie als defensive Attribution bezeichnet wird. Die Vorstellung, dass guten Menschen gute Dinge, und schlechten Menschen schlechte Dinge geschehen. Oder dass Menschen immer das kriegen, was sie wirklich verdienen. Die Mechanismen, mit denen wir versuchen, den Glauben an eine geordnete und gerechte, moralisch berechenbar strukturierte Welt aufrecht zu erhalten. Dasselbe nennt man in Hollywood ‚Happy End’. Und das gibt es nicht. Nicht in diesem, im richtigen Leben.

Eine Rezension von Gordon Gernand
(03. Juni 2007)
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Daten zum Film
Verbrechen und andere Kleinigkeiten 1989
(Crimes and Misdemeanors)
Regie Woody Allen Drehbuch Woody Allen
Produktion Kamera Sven Nykvist
Darsteller Martin Landau, Woody Allen, Allen Alda, Mia Farrow, Anjelica Huston, Joanna Gleason, Jerry Orbach
Länge 104 Min. FSK ab 12
Oscarnominierungen für: Beste Regie + Bestes Drehbuch (Woody Allen), Bester Nebendarsteller (Martin Landau)
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