Spätestens seit
Mr. & Mrs. Smith (2005) wissen wir, dass eine Ehe nur mit reichlich Zündstoff aus ihrer Lethargie gerissen werden kann. Was in Doug Limans Blockbuster dem doppelten Nicht-Wissen der Protagonisten geschuldet ist und zu einem amüsanten und actiongeladenen Krieg der Geschlechter ausartet, verpackte Woody Allen bereits 1993 in einem charmanten Genre-Mix aus Milieustudie, Komödie und Kriminalgeschichte. Sein parodistisches
Manhattan Murder Mystery, das sich raffiniert um Themen wie Privatheit und Beziehungsroutine entspannt und mit einem bezaubernden Ensemble aufwartet, ist einerseits ein typischer Allen, der aber durch seine eingewobene Kriminalgeschichte deutlich temporeicher als die typischen Beziehungsautopsien des Autorenfilmers daherkommt.
Carol (Diane Keaton; Der Club der Teufelinnen, Die Stadtneurotiker) und Larry Lipton (Woody Allen) leben in einem kleinen Apartment in Manhattan und leiden an den typischen Symptomen einer langjährigen Ehe: Sie sehnt sich nach Gesellschaft, ihm ist das Abendprogramm im Fernsehen aber wichtiger. Einen gemeinsamen Nenner gibt es nur darin dass es keinen gemeinsamen Nenner gibt. Ganz anders sieht es beim benachbarten Rentnerehepaar House aus, die immer noch wie frisch verliebt miteinander turteln. So sucht Carol zunehmend die Gesellschaft der beiden, während Larry sich ganz und gar nicht mit der Briefmarkensammlung von Paul (Jerry Adler) an
freunden kann. Doch schon bald wird das harmonische Bild radikal gebrochen: Die ausgeglichene Lillian House (Lynn Cohen) segnet nach einem Herzschlag das Zeitliche, ihr Mann Paul scheint eigenartig unberührt. Dies ruft das Misstrauen von Carol auf den Plan, die schon bald zu schnüffeln beginnt. Ihr Mann Larry ist zuerst gar nicht begeistert von der detektivischen Ader seiner Frau, ändert aber seine Meinung als diese bald im gemeinsamen Freund Ted (Alan Alda; Was Frauen wollen, Alle sagen – I Love You)einen Verbündeten findet. Dieser hat schon längst ein Auge auf Carol geworfen und so befinden sich die Großstädter bald in einem doppelten Verwirrspiel wieder…
Der Nachbar hat etwas zu verbergen, wohingegen die eigene Ehe eher ein Hafen des Erwartbaren und damit völlig spannungslos ist: Mit scharfsinnigem Blick spielt Allen die voyeuristische Tendenz seiner Protagonistin gegen die etablierten Routinen des Ehe- und Gesellschaftslebens aus.
Manhattan Murder Mystery ist dann auch kein Psychogramm einer Ehe, sondern eine ironisch gebrochene Suche nach den Paradoxien des Liebes- und Großstadtlebens in seinen institutionalisierten Formen. Konsequent entlarvt der Regisseur diese Widersprüche wie gewohnt in situativen Kontexten, wenn beispielsweise die illustre Runde in adretter Gesellschaft im gehobenen Speiselokal lautstark ihre Mordtheorien austauscht und damit verstörte Mienen bei den restlichen Gästen erzeugt. Die Suche nach der Wahrheit hinter dem mysteriösen Todesfall wird somit unter anderem zur Suche nach der der verlorenen Passion.
Von einigen Kritikern gescholten, ist auch die Kamera von Carlo DiPalma ein zusätzlicher Protagonist im doppelbödigen Katz- und Maus-Spiel: Gemeinsam mit Carol Lipton schnüffelt sie in privaten Gemächern, schlüpft suchend unter Betten, in Schubladen und verharrt auch mal beobachtend. Sie weiß bereits vorher, wenn der verdächtige Ehemann eilig auf dem Nachhauseweg ist, während Carol noch dessen Unterlagen durchstöbert. Sie erzeugt Spannung in einer Kulisse, die sich auf den ersten Blick wie ein Hort der Sicherheit präsentiert, diesen dann aber umso defätistischer dekonstruiert. Zwar ist der formale Aufbau von
Manhattan Murder Mystery über weite Strecken erwartbar; auf diesem Fundament zelebriert Allen aber immer wieder die Spontaneität seiner Dialoge.
Der Regisseur selbst übernimmt in
Manhattan Murder Mystery eine Hauptrolle, was für manch einen Grund genug sein dürfte, dem Film die kalte Schulter zu zeigen. Wer aber jetzt eine Darstellung als Selbstzweck erwartet darf aufatmen. Allen agiert längst nicht so überzogen wie bei manch anderem seiner Auftritte und harmoniert ganz ausgezeichnet mit der rastlosen Diane Keaton. Erstaunlicherweise funktioniert der sonst so zappelige Allen oft sogar als ruhender Gegenpol der selbsternannten Detektivin. Für die eine oder andere grandiose Situationskomik sorgt auch der Kontrast des schmächtigen Larry zur frivolen Schauspielerin Marcia Fox (Anjelica Huston; Die Ehre der Prizzis, Darjeeling Limited), die sich zu so etwas wie dem Gegenpart zu Larrys Eifersuchtsgrund Ted entwickelt. Dabei spielt Allen gekonnt feinsinnig mit typischen Geschlechterklischees: Während Carol sich nach einem Mann zum Pferdestehlen sehnt und diesen in Ted zu finden glaubt, zieht Marcia die Männer durch ihre sinnliche Präsenz in den Bann - am augenzwinkernden Umgang mit dieser Ikonografie der Geschlechter könnte sich so manch plumper Streifen der Gegenwart ein Beispiel nehmen.
Hitchcock meets Allen –
Manhattan Murder Mystery ist unterhaltsam, witzig und spannend zugleich, ohne dabei zu einem planlosen Wildern in den verschiedenen Genres auszuarten. Der Film funktioniert als Abendunterhaltung ebenso wie als bitterböse Abrechnung mit moderner Wohnkartografie und voyeuristischem Abenteuer. Im Stile typischer Allen-Komödien mag der Ausgang der Geschichte dem einen oder anderen dann etwas aufstoßen: Der gesellschaftliche Abgrund schließt sich nämlich wieder - aber nicht ohne einen feinen Riss auf dem New Yorker Zement zu hinterlassen.